Covid-19 und Vitamin D

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Frankreich und England brechen das Tabu

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"Schützt Vitamin D vor Covid-19?" stand vor genau zwei Monaten fast schon provokativ in Telepolis. Anlass unter anderem ein Spiegel-Artikel, in dem untertitelt zu lesen stand: "Aktuell preisen Menschen Vitamin C und D als Wunderwaffe gegen Covid-19 an. Warum Sie sich trotzdem nicht dazu verleiten lassen sollten, sofort Nahrungsergänzungsmittel einzukaufen."

Nun, das sieht heute etwas anders aus. Man könnte schon sagen: Sie sollten sich verleiten lassen, zumindest wenn man der französchen Académie nationale de Médecine folgt. In einer Presseerklärung vom 22. Mai empfiehlt die Akademie, alle Senioren über 60 zu testen und solche, die unter Vitamin D-Mangel leiden, mit Bolusdosen von 50.000 - 100.000 Einheiten Vitamin D zu behandeln. Und sie empfiehlt Menschen unter 60, die sich mit C-19 infiziert haben, mit 800-1000 Einheiten pro Tag zu supplementieren.

Auch wenn vor allem der letztere Vorschlag viel zu niedrig zielt - das Vier- bis Fünffache wäre geboten -, ist es ein bemerkenswerter Vorgang, denn die französchen Akademien haben großes Ansehen und starkes Gewicht in der öffentlichen Debatte - ob zu Recht oder Unrecht, ist hier völlig gleichgültig. Und eine Äußerung wie:

Es wurde eine signifikante Korrelation zwischen niedrigen Vitamin-D-Spiegeln und der Sterblichkeit durch Covid-19 gezeigt.

bedeutet, dass man sich hier weit aus dem Fenster lehnt. Nicht dass das falsch wäre, aber es ist ein echter Tabubruch, steht doch etwas oberhalb noch: "But vitamin D also has unconventional effects." Man hört förmlich das tiefe Einatmen der Akademiemitglieder über diesen unerhörten Satz, galt ihnen doch wie allen anderen offiziellen Stellen Vitamin D bislang ausschließlich und alleine zuständig für die Rachitis bei Kindern und die Osteoporose bei den Senioren. Jetzt aber heißt es dort:

Es spielt eine Rolle bei der Regulierung und Unterdrückung der Zytokin-Entzündungsreaktion, die das akute Atemnotsyndrom verursacht, das die schweren und oft tödlichen Formen von Covid-19 charakterisiert.

Genau das stand auch schon im erwähnten TP-Artikel vor zwei Monaten:

D ist ein Immunmodulator, das Herunterregeln der Immunantwort gehört genauso zu seinen Funktionen, wie das Bereitstellen der Armee von Immunkriegern.[.. ] Die Vermutung ist, dass ein solider Vitamin-D-Level die Inzidenz von Zytokinsturm und Sepsis sehr stark senken könnte.

Und Großbritannien: Aufgrund ganz furchtbarer Todeszahlen vor allem unter der nicht-weißen Bevölkerung - 94% aller an C-19 verstorbenen Ärzte hatten einen BAME-Hintergrund (Black, Asian, and minority ethnic) - fordern nun offenbar UK-Behörden, dass Vitamin D in Bezug auf Corona untersucht werden solle: "British ministers order urgent review of vitamin D coronavirus" titeln dazu die FR24.news. Der Guardian schreibt:

Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens prüfen dringend die potenzielle Fähigkeit von Vitamin D, das Coronavirus-Risiko zu verringern. […] Der Wissenschaftliche Beratungsausschuss für Ernährung (SACN) hat diese Arbeit im vergangenen Monat begonnen und prüft die jüngsten Erkenntnisse zu Vitamin D und akuten Atemwegsinfektionen in der Allgemeinbevölkerung.

Was Multikulturalität so alles für Nebenfeffekte zeichnen kann. In Deutschland hingegen sieht es weiterhin trübe aus. Zitat aus einer Referentenantwort auf unseren Brief an Frau Dr. Merkel und die 16 Ministerpräsidenten:

Gibt es Belege, dass die Einnahme von hochdosiertem Vitamin D über Nahrungsergänzungsmittel eine Infektion mit SARS-CoV-2 verhindern kann?

Im Internet wird suggeriert, dass die Einnahme von (zum Teil sehr hoch dosierten) Vitamin-D-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln vor einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 bzw. der Auslösung der Erkrankung COVID-19 schützen kann. SARS-CoV-2 ist erst seit kurzer Zeit bekannt. Daher gibt es keine Studien, die untersucht haben, ob die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten vor einer Infektion mit diesem Virus bzw. der Auslösung der Erkrankung schützt.

[...]Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arzneimittel, sondern Lebensmittel, die die normale Ernährung ergänzen können.

Daran ist so gut wie alles falsch. Zum einen kann außer einer Schutzmaske der Klasse III oder einer echten ABC-Schutzmaske gar nichts vor einer Infektion schützen. Antikörper, die nach einer durchlebten Infektion oder einer Impfung entstanden sind, tragen dazu bei, die bösen Eindringlinge schnell zu vernichten, eine Infektion bleibt es trotz alledem. Die Formulierung "wird suggeriert" soll uns wohl auf Snake-Oil-Verkäufer-Niveau herabstufen, und Studien gibt es mittlerweile ausreichend, wenn auch keine prospektiven. Das aber ist den Ärzten geschuldet, die einfach keine machen, warum auch immer. Und natürlich auch der Politik, die solche Studien ja hätte ausschreiben können.

Der letzte Satz ist - mit Bezug auf unseren Brief - schlicht irreführend, Fake-News auf Trumpschen Niveau: Ab 1.000 IE pro Tag ist Vitamin D ein verschreibungs- und apothekenpflichtiges Arzneimittel. Dass man 5.000er Tropfen oder Kapseln frei kaufen kann, ist nur dem Trick geschuldet, dass drauf steht: nur 1x pro Woche. Und dass man mit 1.000 Einheiten pro Tag nirgendwo hinkommt, das hatten wir überall und immer deutlich genug beschrieben. Da wird dann wohl eine Dienstaufsichts- wie auch eine Fachaufsichtsbeschwerde folgen müssen. Und folgen. Wir bleiben dran.