Autoindustrie: Gewerkschaften mutlos

Bild: Banffy/CC BY-SA 4.0

Angesichts der massivsten Branchenkrise der letzten 70 Jahre plagt die IG Metall bleierne Phantasielosigkeit. Ein Kommentar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ist dieser Gewerkschaft noch zu helfen? Einst war die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) eine der stärksten Gewerkschaften Westeuropas. In Westdeutschland hat sie mit bahnbrechenden Streiks in den 1950er und 1980ern Jahren den Weg für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und für die 35-Stunden-Woche frei gemacht. Letzteres schon nicht mehr mit mit allzu großer Konsequenz. In der ostdeutschen Metallindustrie ist sie noch immer nicht durchgesetzt.

Und heute? Zehntausende Arbeitsplätze sind in der Windindustrie bedroht, weil eine bürokratische Ausschreibungspflicht eingeführt wurde und demnächst noch ein pauschaler Mindestabstand von einem Kilometer von jedem Wohnhaus hinzu kommen soll. An Land werden daher kaum noch neue Windkraftanlagen errichtet, aber von der Gewerkschaft der betroffenen Arbeiter ist kaum etwas zu hören. Nur hin und wieder meldet sich der Landesverband Küste zu Wort, doch in den bundesweiten Medien und beim IGM-Vorstand in Frankfurt findet das kaum Widerhall.

Kein Wunder. In einem Diskussionspapier der Küsten-Metaller, in dem über die Wirtschaftspolitik nach Corona sinniert wird, kommt das Stichwort "Windkraft" nur einmal vor und das auch nur, in dem sehr unspezifisch "mehr Förderung" gefordert, doch die errichteten Hürden mit keinem Wort erwähnt werden.

Zweierlei Maß

Ganz anders ist da die Lautstärke, wenn es um die strauchelnde Automobilindustrie geht. Da legt sich die Gewerkschaft schon mal mit der SPD an, weil diese sich nicht für eine Autokaufprämie für Verbrenner einsetzen mag. Und angesichts der drohenden Entlassungswelle legt man nach und fordert ein zweites Konjunkturpaket.

Das ist natürlich zunächst nicht ganz unberechtigt. 100.000 Arbeitsplätze sieht die Gewerkschaft in der Branche bedroht, und das ist natürlich nicht nur für die Betroffenen ein Problem, sondern auch für deren Familien, die Kommunen, in denen sie Lohnsteuer zahlen, für Einzelhandel und Gastronomie, die sie versorgen. Doch das gilt natürlich zum Beispiel auch für die Beschäftigten der Solarindustrie, in der ohne gewerkschaftlichen Widerstand im ausgehenden Jahrzehnt mehrere Zehntausend Jobs verloren gingen.

Im Grunde ist der Ruf nach einem weiteren Konjunkturpaket aber rückwärtsgewandt. Statt Anschluss an die Klimaschutzbewegung der Jugend zu suchen, plädiert er für ein "Weiter so". Und zwar in einer Zeit, in der einem großen Teil der Gesellschaft und vor allem der jüngeren Generationen längst klar ist, dass es ein solches "Weiter so" nicht geben darf, dass in der Industrie-, Energie-, Ressourcen- und Verkehrspolitik schleunigst und massiv umgesteuert werden muss.

Und ist es wirklich so schwer? Haben die deutschen Autokonzerne nicht gerade mehrere Milliarden Euro an Dividenden an ihre Aktionäre verteilt? Wieso kommt in der IGM-Zentrale keiner auf die Idee, den Verbleib dieses Geldes in den Unternehmen zu fordern. Damit ließe sich spielend als erster Schritt eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich finanzieren, die die geringere Nachfrage kompensieren könnte.

Umbau ohne Arbeitsplatzverlust

Längerfristig wird es aber vermutlich tatsächlich nicht ganz ohne staatliche Hilfen abgehen. Doch die müssten dann zumindest mit einer Beschäftigungsgarantie – nicht einmal diese Vokabel hört man von der IGM – und einem Umbau der Unternehmen zu Mobilitätskonzernen verbunden sein. Statt auf Deibel komm raus übergewichtige SUV für den Individualverkehr der gehobeneren Gesellschaftsklassen herzustellen, müssten vor allem Busse und Bahnen für einen hochwertigen öffentlichen Personen- und Gütertransport das Sortiment bestimmen.

Es ist nicht so, dass das für die IGMetall alles Neuland wäre, dass man in der Frankfurter Zentrale noch nie von derlei Konzepten gehört hätte. Derlei findet sich durchaus in dem einen oder anderen von Gewerkschaftstagen beschlossenen Dokument. Auch hat die Gewerkschaft durchaus viele Mitglieder in Bereichen wie der Bahntechnik, die von dem Umbau profitieren würden.

"Es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass eine Mobilitätswende mit einer Stärkung von Bahnindustrie und Schienenverkehr das notwendige Schrumpfen der Autoindustrie nicht auffangen könnte – verbunden mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung gibt es kein Beschäftigungsproblem bei der Mobilitätswende und dem dazu gehörenden Umbauplan."
Stephan Krull, ehemaliger VW-Betriebsrat

Es scheint wohl eher eine Kombination aus Mutlosigkeit und übermäßigen innergewerkschaftlichem Einfluss der Automobil-Betriebsräte zu sein, die die IGM nicht aus den alten Gleisen herauskommen lässt. Jahrzehntelang eingeübtes Co-Management und verbissenes Festhalten an einer von der Gegenseite längst aufgekündigten Sozialpartnerschaft tragen ein Übriges zur politischen Phantasielosigkeit der gewerkschaftlichen Führungsetage bei.