Zentrale Mittelmeerroute: Künftig Einflusszone der Türkei?

Die militärische Abhängigkeit der libyschen Einheitsregierung GNA von der Türkei gibt Erdogan beste Karten, um dort eine maritime Basis und einen Militärflughafen einzurichten - keine guten Aussichten für die EU

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Die türkische Abordnung in Tripolis war hochkarätig. Außenminister Cavusoglu, Geheimdienstchef Hakan Fidan und Finanzminister Albayrak, der Schwiegersohn des Präsidenten, trafen sich mit dem Chef der libyschen Einheitsregierung (GNA) Sarradsch, um "nach Instruktionen von Erdogan" (Daily Sabah) wichtige Dinge zu besprechen. Auch Khalid Al-Mishri, Chef des Hohen Staatsrates, offiziell der zweiten Kammer Libyens, war mit von der Partie. Al-Mishri verfügt über gute Verbindungen zu den Muslimbrüdern, die er auf politischen Druck hin Anfang des Jahres offiziell verließ.

Einig waren sich Gastgeber und Besucher in der Gegnerschaft zum "Putschisten" (Erdogan) Khalifa Haftar. So gehörte die Aussage, dass Haftar im künftigen Libyen keine Rolle spielen soll, zu den wenigen konkreten Äußerungen, die ins offizielle Protokoll gelangten. Inoffiziell kursierten Aussagen aus türkischen "Regierungskreisen", die bestätigen, was die Libyenexperten in den letzten Wochen beschäftigte: Dass die Türkei in Libyen auf dem Weg ist, sich als Macht mit einer langfristigen Präsenz zu etablieren.

Zwar gibt es noch keine spruchreife Bestätigung einer länger schon erwarteten Einigung zwischen der GNA und der Türkei über zwei Militärbasen - einer maritimen in Misrata und dem Militärflughafen in al-Watija -, aber, was der Middle-East-Eye-Journalist Ragıp Soylu an "Insider-Informationen" streut, bekräftigt die weitreichenden Ambitionen der Erdogan-Regierung: So will die Türkei nach Informationen eines regierungsnahen Sabah-Journalisten F-16-Flugzeuge und Hubschrauber auf libyschem Boden stationieren, libysche Offiziere ausbilden - und sich darum kümmern, dass das libysche Öl auf internationale Märkte kommt und das Bankensystem reparieren.

Diese Absichten gehen an die Interessen Italiens und Frankreichs. Beide Länder sind mit ihren Konzernen Eni und Total dick im Ölgeschäft in Libyen involviert. Besonders Frankreich wird mit Argusaugen verfolgen, welchen Einfluss die Türkei auf das libysche Ölgeschäft bekommt.

Der Verbündete der Türkei, die GNA, zeigte im Mai 2019, welche Macht sie gegen die Geschäftsinteressen des französischen Konzern ausüben kann, als sie - allerdings sehr kurzeitig - die Lizenzen von Total suspendierte. Total operiert im Osten des Landes, im Herrschaftsgebiet Haftars; Eni mehr im Westen. Aber: Die Vermarktung des Öls auf dem internationalen Markt läuft über die National Oil Corporation (NOC), die ihren Sitz in der Hauptstadt Tripolis hat.

Die GNA und die Türkei haben gemeinsame Interessen bei der Ölförderung, nicht nur im östlichen Mittelmeer bei Zypern, sondern auch vor Libyens Küste - die Türkei hofft auf ihre erste große Ölförderkonzession in Libyen durch ihre militärische Unterstützung der GNA.

Die hat dazu geführt, dass sich das Kriegsgeschehen in Libyen in den vergangenen Wochen deutlich zugunsten der GNA verändert hat. Haftars LAN wurde von wichtigen strategischen Positionen, zu nennen ist hier der Militärflughafen Watija, zurückgedrängt. Man kann die Situation so zusammenfassen: Die GNA ist militärisch von der Türkei abhängig.

Ankara hat gute Karten, um permanente Basen in Libyen zu bekommen. Geht es nach Experten wie den österreichischen Sicherheitsanalysten Wolfgang Pusztai, so wird das längerfristig Auswirkungen haben, die die EU in eine schwierige Position bringen. Die maritime Basis bei Misrata wird es der Türkei gestatten, dort Kriegsschiffe zu stationieren und der Militärflughafen in al-Watjia ist ein Stützpunkt nicht für Kampfjets und Drohnen, sondern auch für Transportflugzeuge.

Damit, so Pusztai (hier, Min.: 09:25-14:35), würde die Türkei langfristig auch die zentrale Mittelmeerroute kontrollieren können, Erdogan kann dann auch auf dieser Route die EU mit Flüchtlingen unter Druck setzen. Die EU hat dem augenblicklich nicht viel entgegenzusetzen, zumal die Türkei Verbündeter der offiziell anerkannten GNA-Regierung ist, mit der auch die EU zusammenarbeitet. Die strategische Position der Türkei bei Verhandlungen mit der EU wird durch ihre neue Rolle in Libyen gewiss nicht schlechter.

Das alles spielt als Hintergrund zur derzeitigen Aufregung der französischen Regierung über das "extrem aggressive Verhalten" der Türkei mit hinein. In Paris ist man richtig sauer. Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly tischte bei der Nato-Tele-Konferenz der Verteidigungsminister dieser Woche erbost einen Vorfall auf, bei dem ein türkisches Schiff eine französische Fregatte bedrohte.

Die Fregatte Courbet sollte im Rahmen der Nato-Mission Sea Guardian auf Order der Nato-Kommandostelle Marcom (Allied Maritime Command) ein verdächtiges Schiff kontrollieren, wurde aber von einer der beiden türkischen Begleitschiffe mit einem "Radarlichtsignal" zur Abkehr gedrängt, das als Warnung vor einem folgenden Beschuss verstanden wurde.

Die Türkei widerspricht dieser Darstellung, die französische Fregatte habe ihrerseits ein gefährliches Manöver gefahren und das Signal sei missverstanden worden. Nato-Generalssekretär Stoltenberg lässt die Angelegenheit nun überprüfen. Wie Le Monde berichtet, haben sich die beiden türkischen Begleitschiffe eines Frachters über ein Nato-Identitätssignal auf die Funkanfrage der französischen Fregatte gemeldet.

Die Operation Sea Guardian dient auch der Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen. Der Frachter, der unter der Flagge Tansanias fuhr, sei aufgefallen, weil er sein Ortungs-Signal abgeschaltet hatte und, als er es wieder einschaltete, einen ganz anderen Kurs fuhr, nämlich Richtung Libyen, als er zunächst offiziell angegeben hatte. Zu diesen Seltsamkeiten kommt eine weitere hinzu: Italien macht gemeinsame Nato-Manöver im Mittelmeer mit der Türkei. Beim Nato-Treffen der Verteidigungsminister soll Italien sich aber auf die Seite Frankreichs gestellt haben.

Das nächste Kunststück in Sachen Libyen: Die Türkei will mit den USA zusammenarbeiten, so Außenminister Cavusoglu - und er hat die Unterstützung Irans.