Post-Corona-Wars?

Bild: Matthias Cooper/Pexels

Zerstörungswut in Stuttgart gibt weiter Rätsel auf - Zusammenhang mit Corona-Leerlauf der letzten Monate vermutet - Partyszene wehrt sich gegen Unterstellungen. Update

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Ein Tag nach den Gewaltausschreitungen in Stuttgart in der Nacht auf den 21. Juni 2020 werden Erklärungen gesucht, sie spiegeln wider, wie Selbstverständigungsprozesse in der Republik ablaufen. Der Eindruck, der über traditionelle Medien, aber auch über Äußerungen auf Twitter entsteht, ist ein Konsens darüber, dass die Gewalttätigen hart bestraft werden müssen. Das hat auch Innenminister Seehofer gefordert. Auch Kanzlerin Merkel hat die Gewalt verurteilt. Dass sie sich überhaupt dazu geäußert hat, zeigt, wie hoch die Erregungswelle ist, die die Gewaltnacht in Stuttgart schlägt.

Die neuralgischen Fragen, die durch die Stuttgarter Randale neu hochgespült werden, sind schon länger in der Diskussion: Wird Gewalt gegen die Polizei verharmlost, wurde damit eine Stimmung geschaffen, die Hemmschwellen herabsetzt? Ist eine Art Parallelgesellschaft, die Werte des bundesrepublikanischen Konsens' untergräbt, zumindest nicht respektiert, für die Gewalt verantwortlich? Spielt die Gewaltbereitschaft von Migranten eine maßgebliche Rolle? Wird die Gewaltbereitschaft, die sich in der Innenstadt in Stuttgart entlud, aus politischen Motiven beschönigt? Wird sie instrumentalisiert, wie es der Autor dieser Zeilen am Ende seines kurzen Beitrags dazu gestern mutmaßte und dabei vor allem die Rechten im Blick hatte?

Auffallend ist bei den Stellungnahmen, die heute zu lesen waren, dass kategorielle Einordnungen des Personenkreises der Gewalttäter nicht wirklich sattelfest sind, wenn es um ganz konkrete Vorwürfe geht. So heißt es zum Beispiel, dass die Tatverdächtigen, die die Polizei festgenommen hat, im Alter zwischen 16 und 33 Jahren sind und "die deutsche, kroatische, irakische, portugiesische und lettische Staatsangehörigkeit" besitzen. Das lässt sich, wie die Aufzählung der Staatsangehörigkeiten zeigt, nicht auf ein Muster reduzieren, eher ist es ein Mosaik.

Man kann sie als jugendlich einordnen, die Grenzen dafür haben sich in unserer Gesellschaft seit Jahrzehnten nach oben verschoben. Aber man kann sie nach vorliegenden Informationen nicht ohne weiteres in dem Erklär-Schema unterbringen, das eine irgendwie kohärente Parallelgesellschaft mutmaßt. Das ist zum Beispiel bei einem Video der Fall, in dem erregt herumlaufende Gestalten gezeigt werden, die "Allahu Akhbar" rufen. Es kursiert in den sozialen Netzwerken und signalisiert, dass Islamismus eine Rolle spielen könnte.

Die baden-württembergische Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz gab jedoch heute zu Protokoll, dass es "weiterhin keinerlei Hinweise auf politische oder religiöse Motive hinter der Randale" gebe. Man ermittle dennoch weiter in alle Richtungen.

Elias Canetti schreibt in "Masse und Macht" von der Zerstörungssucht einer Masse, die in allen Ländern und Kulturen vorkommt, festgestellt und missbilligt, aber nie wirklich erklärt wird. Offensichtlich sei, dass die Zerbrechlichkeit von Dingen und der Lärm der Zerstörung ein Beträchtliches an der Freude der Zerstörung ausmacht.

Alkohol befeuert diese Meutenfreude. Auszuschließen ist es nicht, dass sich unter den Randalierern auch islamistisch Vernebelte befanden, aber eine Erklärung für das ganze Treiben der Nacht? Experten des Stuttgarter Nachtlebens sahen "Idioten" am Werk, "die sich am Eckensee und anderswo volllaufen lassen". So die Aussage eines Partyorganisators, der zusammen mit Club-Betreibern von den Stuttgarter Nachrichten nach deren Einschätzung befragt wurde.

Ihnen gemeinsam ist, dass sie sich gegen die Kategorisierung wehren, wonach die "Party- und Eventszene" für die Krawallnacht verantwortlich sei. Völlig undifferenziert und verantwortungslos sei es, dass der Stuttgarter Polizeichef eine komplette Branche in ein derart schlechtes Licht rücke. Dazu gibt es ein paar Ortskennerangaben mit interessanten Abgrenzungen:

Diese Szene, die sich am Eckensee seit einiger Zeit zum Saufen von Dosenbier und Billigfusel aus dem Supermarkt trifft, hat mit denen, die die Lokale auf dem Kleinen Schlossplatz besuchen und dort leckere Weine, Longdrinks und Snacks genießen, mal überhaupt gar nichts zu tun.

Betreiber eines Partyclubs in Stuttgart

Interessant ist das auch deshalb, weil von einem anderen Club-Vertreter die Beobachtung geäußert wird, dass "die Jungen und die Partyszene besonders am Wochenende orientierungslos durch die Stadt laufen". Schließlich seien alle Clubs geschlossen.

Wenn nun ein Clubbetreiber aber dem "schicken Ausgehpublikum" die anderen gegenüberstellt, die gar nicht in die Clubs kommen, weil sie "leider oft perspektivlose, junge Männer (sind), meistens mit Migrationshintergrund, denen langweilig geworden ist in den letzten Monaten", so ist allein die Schließung der Clubs durch Corona keine überzeugend kohärente Erklärung für die Gewaltausbrüche. Doch möglicherweise hat die Perspektivlosigkeit für Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen, in den letzten Monaten noch zugenommen.

Nachtrag

Angefügt werden sollte die Schilderung der Abläufe, wie sie von einem Kommentator des Hanf-Journals berichtet wird. Demnach zeichnete sich der Einsatz der Polizei nicht gerade durch eine Politik aus, die von Deeskalation geprägt ist.