Annexion des Westjordanlandes hätte für Israel weitreichende Folgen

Modi'in Illit, Siedlung im C-Gebiet. Foto: Dvirraz/CC BY-SA 3.0

Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags beurteilt Politik gegenüber Palästinensern als weitgehend völkerrechtswidrig

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Die Angliederung eines Teils des Westjordanlandes an Israel wäre völkerrechtlich als Annexion zu werten und würde die historische Anerkennung des Staates Israel sowie die Mitgliedschaft in der Organisation der Vereinten Nationen in Frage stellen, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags.

Das Gutachten, das Telepolis vorliegt, stützt die internationale Kritik an entsprechenden Plänen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Diese Woche hatten zudem die Außenminister von Ägypten, Deutschland, Frankreich und Jordanien vor einer dauerhaften Besatzung eines Teils des Westjordanlandes gewarnt. Netanjahu hatte diesen Schritt für den 1. Juli angekündigt, seinen Worten aber bislang keine Taten folgen lassen (Israelische Annexionspläne).

Die Bundestagswissenschaftler gehen bei Umsetzung der israelischen Pläne von einer Besetzung von rund 30 Prozent der sogenannten C-Gebiete aus, die nach dem sogenannten Oslo-II-Abkommen unter israelischer Kontrolle stehen. Dort wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche israelische Siedlungen errichtet. Völkerrechtlich wäre ein solcher Schritt eindeutig als Annexion zu werden, so das Gutachten:

"Darunter versteht man einen gegen das Gewaltverbot verstoßenden, nicht gerechtfertigten Erwerb eines fremden Territoriums durch einen Staat, der entweder durch eine einseitige Erklärung des annektierenden Staates oder einen Vertrag mit Zwangselement abgeschlossen wird."

Bereits der Anfang der 2000er Jahre begonnene Bau einer Sperranlage in den westlichen Gebieten des Westjordanlandes habe nach Einschätzung des Internationalen Gerichtshofes das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes verletzt und käme damit de facto einer Annexion gleich, heißt es in dem Papier weiter.

"So wenig wie die Annexion Ost-Jerusalems und die De-facto-Annexion durch die Sperranlage im Westjordanland völkerrechtskonform waren, so wird auch die nun angekündigte weitere Annexion der Westjordansenke letztlich aus den gleichen Gründen völkerrechtswidrig bleiben, solange sie ohne Zustimmung der Vertreter des palästinensischen Volkes erfolgt", so das Fazit des Wissenschaftlichen Dienstes. Daran ändere weder die Dauer der Besatzung etwas noch die Anerkennung annektierter Gebiete durch Drittstaaten wie den USA.

Zudem habe die damalige Demarkationslinie oder "Grüne Linie" nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948/49 als Grundlage für die Anerkennung Israels durch die internationale Gemeinschaft und Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen gedient.

Der Wissenschaftliche Dienst bestätige erneut den völkerrechtswidrigen Charakter zahlreicher Maßnahmen der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern, sagte die Linkspartei-Abgeordnete Heike Hänsel, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte. Gegenüber Telepolis sagte sie:

"Es kommt jetzt darauf an, dass die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft und ihres Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat diese Annexionspläne klar verurteilt und auf eine schnelle Anerkennung Palästinas als Staat sowie auf eine Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel drängt, um die israelischen Pläne zu stoppen."

Am Dienstag dieser Woche hatten auch die Außenminister Ägyptens, Deutschlands, Frankreichs und Jordaniens vor einer weiteren Besatzung des Westjordanlandes durch Israel gewarnt.

"Wir sind einhellig der Auffassung, dass jede Annexion der 1967 besetzten Palästinensischen Gebiete gegen das Völkerrecht verstoßen und die Grundlagen des Friedensprozesses gefährden würde", hieß es in der Erklärung. Man werde daher "keinerlei Veränderung der Grenzen von 1967 anerkennen, die nicht von beiden Konfliktparteien vereinbart wurden".