Geschichte als "Lehrmeisterin des Lebens"

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Die Pädagogik hat ihre Grenzen: "Es lernen nur die, die es auch wollen"

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Im Zuge der gegenwärtigen Verbreitung skurriler Theorien von Seiten fragwürdiger Promis, wie den bekannten veganen Koch Attila Hildmann, stellt sich die Frage, inwieweit Geschichte zur Aufklärung der Gesellschaft beitragen kann. Hildmann machte nämlich zuletzt durch antisemitische Äußerungen auf sich aufmerksam, wobei er auch behauptet, dass Adolf Hitler verglichen mit Angela Merkel "ein Segen" gewesen sei.

In Anbetracht der Verbreitung eines solchen Gedankenguts und der Erstarkung rechter Parteien in weiten Teilen der Welt, mag man sich wundern, ob nicht an der Behauptung, dass sich die Geschichte wiederhole, doch etwas Wahres dran ist. Aber wenn dem so wäre, warum lernen wir dann nichts von ihr?

Geschichte und Vergangenheit

Historiker und Geschichtsdidaktiker haben unterschiedliche Meinungen darüber, inwieweit man aus der Geschichte Schlüsse für das Leben ziehen kann. Auch in den Schulen hat sie der Umgang mit Geschichte über die Jahre verändert.

Bis in die 1960er Jahre war die Erzählung von Geschichte die gängigste Form der Stoffvermittlung an den Schulen. Geschichte war somit bereits geschrieben. Die Lernenden hatten die Aufgabe die Ereignisse, Persönlichkeiten und Jahreszahlen auswendig zu lernen. Geschichte wurde also mit Vergangenheit gleichgesetzt und selten hinterfragt.

Den Unterschied zwischen Vergangenheit und Geschichte zu verdeutlichen, ist heute hingegen an den österreichischen und deutschen Schulen zentral: Geschichte ist der Versuch einer Rekonstruktion von Vergangenem, wobei dieser Prozess mit der Hilfe historischer Quellen in der Gegenwart stattfindet. Obgleich historische Narrationen stets wesentlich für das historische Lernen bleiben werden, so wird der Rezipient der Narration allein anhand des Rezipierens keine sinnvollen Schlüsse für das eigene Handeln ziehen können.

Die Inhalte müssen unter anderem auch analysiert und reflektiert werden. So appelliert auch der deutsche Geschichtsdidaktiker Michael Sauer daran, nicht nur die Gesellschaften der Vergangenheit anhand unseres heutigen moralischen Maßstabs zu verurteilen. Viel mehr ginge es darum, die Gründe für ihr Handeln zu untersuchen und sich somit in die Gedanken des Fremden hineinzuversetzen. Allerdings ist dies leichter gesagt als getan.

Die Motive für das Handeln eines jeden Einzelnen sind individuell und anhand historischer Quellen lediglich bedingt rekonstruierbar. Hier wird ein weiteres Problem von Geschichte deutlich: Unser Blick in die Vergangenheit ist von Fragestellungen der Gegenwart abhängig. Aufgrund des fragmentarischen Charakters von Geschichte werden gewisse Fragen womöglich für immer unbeantwortet bleiben.

Die Frage, ob man nun aus der Geschichte lernen könne oder nicht, bejaht der Historiker Philipp Blom. Allerdings bedeute dies nicht, dass ganze Gesellschaften aus ihr lernen können. Dies hängt auch damit zusammen, dass jeder, der sich mit Geschichte befasst, unterschiedliche Lehren aus ihr zieht und individuelle Ansprüche hat.

Während der eine womöglich tatsächlich das Bedürfnis hat, aus der Geschichte lernen zu wollen, so möchte der andere lediglich über eine bestimmte historische Epoche mehr erfahren, ohne dabei die daraus gewonnen Lehren auf sein Handeln übertragen zu wollen.

Dann wiederum gibt es jene, die Geschichte instrumentalisieren, um das eigene Handeln zu legitimieren, ganz ähnlich, wie es auch beim Umgang von Religionen der Fall ist. Hierbei wird sehr häufig selektiv ein bestimmtes Ereignis ausgewählt, um der eigenen Tat Geltungskraft zu verleihen. In dieser Konstellation widmet man sich nicht demütig dem Studium der Geschichte, sondern man missbraucht sie.

Der Erwerb von Kompetenzen für einen aufgeklärten Umgang mit Geschichte

Damit Lernende nicht bloß Rezipienten historischer Darstellungen bleiben, plädiert die Geschichtsdidaktik seit einigen Jahren für den kompetenzorientierten Unterricht an den Schulen. Auch in Österreich ist das Kompetenzmodell fest in den Lehrplänen des Unterrichtsfachs Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung verankert.

In diesem Zusammenhang ist auch die Dekonstruktion bereits vorhandener Narrationen der Geschichte zentral. Der Historiker wird dadurch nicht mehr als allwissender Erzähler der Vergangenheit begriffen, sondern als ein Narrator unter vielen. Die geschichtlichen Darstellungen werden demnach auch hinsichtlich ihrer Argumentationsstruktur, Fragestellungen und Intention analysiert - zumindest im Idealfall.

Doch die Pädagogik hat auch ihre Grenzen. Historisches Lernen kann nur gelingen, wenn man bereit ist, von der historischen Welt zu lernen. Oder um es in den Worten des polnischen Historikers Włodzimierz Borodziej zu sagen: "Aus der Geschichte lernen nur die, die auch lernen wollen.".

Einen Holocaust-Leugner anhand historischer Evidenz davon zu überzeugen, dass seine Haltung falsch ist, wird in den seltensten Fällen gelingen. Eine kritische Haltung in Bezug auf historischen Quellen und Darstellungen zu haben, setzt voraus, dass man sich mit ihnen befasst. Diese jedoch pauschal als falsch abzustempeln, bedeutet, sich auf keine Diskussion einlassen zu wollen. Aber bedeutet dies, dass sich die Geschichte zwangsläufig wiederholt? Wohl kaum.

Geschichte wiederholt sich nicht, auch wenn uns Ereignisse der Gegenwart an Geschehnisse der Vergangenheit erinnern, so sind doch die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen stets andere. Wir können sehr wohl sehen, dass wir aus der Geschichte lernen.

Die gegenwärtigen Schmierereien auf fragwürdigen Statuen namhafter Imperialisten zeigt, dass Geschichte eben nicht nur mit Vergangenheit zu tun hat. Eine schöne lebensnahe Aufgabe für den Geschichtsunterricht wäre es beispielsweise zu diskutieren, welche alternativen Lösungswege es in der Handhabung mit diesen Statuen gäbe und eventuell sogar zu versuchen mit den Lernenden an der Gestaltung eines neuen Lösungsweges aktiv mitzuwirken.

Auf der anderen Seite könnte man diskutieren, wie sinnvoll bereits vorhandene Alternativvorschläge sind. Es gibt beispielsweise Stimmen, die fordern die Denkmäler in Museen auszustellen, anstatt auf der Straße. Doch in vielen europäischen Museen befinden sich bis heute zahlreiche Ausstellungsstücke, die im Zuge imperialistischer Ausbeutung dorthin gelangt sind.

Es stellt sich somit die Frage, ob der pädagogische Auftrag der Museen bezüglich der Aufarbeitung des kolonialen und imperialistischen Zeitalters unter diesen Umständen überzeugen kann, wenngleich die geraubten Kulturgüter nicht in die Ursprungsländer zurückgebracht worden sind.