Warum Menschen lieber keine Zahlen verwenden sollen, die nicht rund sind

Nicht runde Zahlen seien schrill, so eine Studie, und lenken die Aufmerksamkeit auf die Zahl und genauere Vergleiche, was die Wirksamkeit einer Produktwerbung oder einer gesundheitlichen Empfehlung in Zeiten einer Pandemie beeinträchtigen könnte

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Wir sind nun seit Monaten beschäftigt mit Zahlen und Rankings, die Wissenschaftlichkeit bezeugen sollen. Covid-19 fand und findet unter staatlicher Aufsicht statt, weswegen permanent möglichst genaue Daten produziert werden, die zeigen sollen, ob die Gefährdung zu- oder abnimmt. Da sind die Fallzahlen, die Reproduktionszahlen, die Mortalität, die Letalität etc. Nach einer Studie haben Menschen aber eine Vorliebe für runde Zahlen, was beeinflusst, wie wir ein quantifiziertes Geschehen wahrnehmen. Das könnten Regierungen, Behörden, Medien und Unternehmen dann auch entsprechend ausnutzen, um Menschen zu beeinflussen, indem sie Zahlen auf- oder abrunden.

Wir glauben, dass wir Preise beim Einkauf bevorzugen, die uns vorgaukeln, etwas billiger zu kaufen. Wir erwerben eher ein Produkt, das etwa 13,99 Euro kostet, als etwa eines, für das 14 Euro verlangt wird. Bei Schwellenwerten wie 9,99 und 10,00 wird das vielleicht noch deutlicher. Aber das, was überall beim Verkauf praktiziert wird, um das Kaufverhalten auszutricksen, ist nach einer Studie gar nicht zutreffend. Menschen würden glatte, aufgerundete Zahlen bevorzugen. Das zeige sich bei Trinkgeldern, die zu einem runden Betrag erhöht werden, beim Tanken, wo gerne bis zu einer runden Zahl eingefüllt wird, oder bei Pay-what-you-want-Angeboten (PWYW). Es scheint aber ein Denkfehler vorzuliegen. Müsste man in einem Restaurant 20 oder 30 Euro zahlen, würde der Zwang wohl kleiner, ein Trinkgeld zu zahlen, als wenn es beispielsweise 18,70 Euro wären, wo man dann eben aufrundet.

Dass runde Zahlen eine besondere Bedeutung haben, lässt sich an der Börse sehen, wenn eine runde Zahl über- oder unterschritten wird, aber auch an Geburtstagen. Dabei scheinen Zehnerzahlen - also nicht der 48ste, sondern der 50ste Geburtstag - besonders zu beeindrucken, was man mitunter damit zusammenbringt, dass Menschen zehn Finger haben und damit das Zählen gelernt haben. Nach 10 wird eine Schwelle überschritten.

Runde Zahlen benötigen weniger kognitiven Aufwand

Jetzt haben Gaurav Jain und seine Kollegen von der Lally School of Management am Rensselaer Polytechnic Institute eine Studie in Organizational Behavior and Human Decision Process veröffentlicht, die diese gerne gebrauchte Falle für die menschliche Gier in Frage stellt, zumindest aber versucht zu erklären, welche unerwünschten Folgen es haben kann, falls man jemanden beeinflussen will, wenn keine runden Zahlen verwendet werden.

Nach ihnen würde etwa ein Impfmittel gegen Covid-19, dass zu 91,27 Prozent wirksam ist, bei den Menschen als weniger leistungsstark eingestuft werden als eines, das mit einer Wirksamkeit von 90 Prozent dargestellt wird. Das wäre mithin das andere Szenario zu dem kaum geringeren Preis, der als Schnäppchen gegenüber der runden Zahl wahrgenommen wird. Unter 91,27 kann man sich wenig vorstellen, daher klingen 90 Prozent eingängiger. Mit Zahlen könne man die Aufmerksamkeit und Entscheidungsprozesse beeinflussen und beispielsweise Menschen dahin bringen, eher gesundheitlich gute oder schlechte Entscheidungen zu treffen, behauptet Jain.

Die Wissenschaftler haben für ihre Studie 1500 Menschen befragt, wie sie Mitteilungen mit runden und nicht runden Zahlen im Hinblick auf die Aufmerksamkeit für das angestrebte Ziel von dieser bewerten. Das Ergebnis: Nicht runde Zahlen werden als "einzigartig und schrill" wahrgenommen, sie verlangen mehr kognitive Verarbeitung und lenken die Aufmerksamkeit auf die numerischen Werte, die genauer und länger betrachtet würden, vor allem in einem negativen Zusammenhang. Das stört aber die Vermittlung der Botschaft, weil damit auch genaueres Vergleichen angeregt wird.

Menschen würden unrunde Zahlen gerne mit einem leicht verständlichen Maßstab vergleichen, beispielsweise mit 100 Prozent, während dies mit aufgerundeten Zahlern nicht gemacht würde, weswegen sie eingängiger sind und geringeres Nachdenken erfordern. Wenn also ein Preis mit beispielsweise 14,99 festgelegt wird, könnte danach der gegenteilige Effekt eintreten. Die Menschen denken eher über den Preis nach und beginnen zu vergleichen, was dann bei 15 Euro nicht der Fall sein sollte.

Lässt sich mit runden Zahlen leichter manipulieren?

Einen Unterschied scheint auch die Verwendung von runden Zahlen wie 10 oder 20 im Verhältnis zu genauen Zahlen wie 7 oder 18 der Fall zu sein. Nach einer Studie sollen die genauen Zahlen den Menschen korrekter und damit glaubwürdiger erscheinen. Und wenn in Verhandlungen über Kaufpreise zuerst genaue Zahlen und nicht aufgerundete Zahlen genannt werden, soll das Bedürfnis nach Feilschen sinken. Sie sollen einen genaueren Kenntnisstand suggerieren, was zu geringeren Berichtigungen beim Herunterhandeln führe.

Jain rät "Managern und Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitswesens" vorsichtig mit nicht runden Zahlen umzugehen, "weil deren Verwendung in Kommunikationsmitteilungen die subjektiven Bewertungen des Ziels aufgrund der damit verbundenen Assoziationen mindern kann", so Gaurav Jain. Das ist ein Aufruf, mit geglätteten Zahlen die Menschen hinters Licht zu führen, auch wenn diese nicht aufgerundete Zahlen vielleicht nicht richtig einordnen oder bewerten können.

Das nennt man heute auch Framing, womit Menschen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden sollen. Möglicherweise hat dies während der Corono-Krise dazu geführt, dass zu viel über die Flut an Zahlen, die nicht rund sind, nachgedacht wurde, was die Skepsis gegenüber Vorsichtsmaßnahmen verstärkt haben könnte.

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