Weltbevölkerung: 8,8 Milliarden bis zum Jahr 2100

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Studie: "Afrika und die arabische Welt werden unsere Zukunft prägen, während Europa und Asien an Einfluss verlieren"

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Bis Ende dieses Jahrhunderts prognostizierte ein UN-Bericht von 2019 eine Weltbevölkerung von 10, 9 Milliarden. Im Vorwort wird das Selbstverständliche betont, "dass Prognosen für das Jahr 2100 einem hohen Maß an Ungewissheit unterworfen sind". Nichtsdestotrotz tauchen die Prognosen ständig in Diskussionen auf, bei denen es hoch hergeht. "Ich würde meinem Sohn beibringen, wie man mit einem Gewehr umgeht", heißt es auf der letzten Seite des Buches "10 Milliarden" von Stephen Emmott. "I think we're fucked."

Und bald sind wir zehn Milliarden? Das sei eine Prophezeiung, die von Jahr zu Jahr realistischer wird, so der Suhrkamp Verlag, bei dem die deutsche Ausgabe des Bestsellers erscheint.

Nein, es werden nur 8,8 Milliarden Menschen bis Ende des Jahrhunderts auf der Erde leben, behauptet dagegen eine Studie eines Instituts der Universität Washington, die aktuell in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet erscheint. Sie versucht sich an einer "Vorhersage-Analyse" zur "Fruchtbarkeit, Sterblichkeit, Migration und Bevölkerungsszenarien für 195 Länder und Gebiete zwischen 2017 und 2100".

Auf 22 Seiten im PDF zur Studie gibt es allerhand Erstaunliches zu lesen, so etwa, dass Nigeria im Jahr 2100 hinter Indien Platz zwei der bevölkerungsreichsten Länder der Welt belegen wird. Nigeria hat dann voraussichtlich 791 Millionen Einwohner gegenüber Indien mit knapp 1,1 Milliarden. Für China werden 732 Millionen vorausgesehen, für die viertplatzierten USA 336 Millionen. Auf Platz 5 folgt Pakistan mit 248 Millionen.

Wie kommt es dazu?

Dreh- und Angelpunkt der Vorhersagen des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) sind die Geburtenraten. Als besondere Eigentümlichkeit wird von den Verfassern hervorgehoben, dass man die Kohortenfertilität (CCF) von 50-jährigen Frauen als Maßgabe nahm, da sie eine stabilere Grundlage liefere als die oft verwendete totale Fertilitätsrate (TFR). Soweit zum Grundansatz, Feinheiten zur Methode finden sich in der Studie.

Das IHME ist spezialisiert für die Analyse und Auswertung von Statistiken zur Weltgesundheit, englisch: "global health". Als wesentliche Quelle für ihre Voraussage-Modelle werden Daten zum Forschungsbereich Global Burden of Diseases angegeben, wozu das IHME schon mehrere Studien durchgeführt hat. Grenzen der Vorhersagbarkeit sind auch ohne genaueres Methodenstudium offenbar, allein schon die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus und die Reaktionen darauf, besonders auch im ökonomischen Bereich, bieten Anschauungsmaterial genug dafür, mit welchen Schwierigkeiten Prognosen zu tun haben.

Gegründet und gesponsort wird das Institut von der Bill and & Melinda Gates Foundation, die im Lauf der Pandemie Kritik und Verdächtigungen ausgesetzt war. Substanzielle Kritik an der Arbeit und Ausrichtung der Foundation gab es schon vor Ausbruch der Corona-Krise; Aufwind bekommen hat seither eine karikaturenhafte, zum Teil auch agitatorische Verzerrung der Machtrolle und der Person Bill Gates. Für die Zeichner dieses Bildes liefert auch die genannte aktuelle Studie gewiss ein paar Suchbilder.

Die große Kurve, die sie präsentiert, sieht einen Anstieg der Weltbevölkerung bis 2064 auf 9,7 Milliarden vor, danach geht die Bevölkerung weltweit zurück auf 8,8 Milliarden. Begründet wird dies mit der Prognose, dass sich die Zugänglichkeit zu Verhütungsmethoden verbessern werde wie auch das Ausbildungsniveau der Frauen, was dazu führt, dass sie ihr erstes Kind erst später zur Welt bringen.

Im Jahr 2050, so die Vorhersage-Modelle des IHME, werde die Kohortenfertilität (CCF) in 151 Ländern geringer sein als die Quote, die zur Aufrechterhaltung des Bevölkerungsniveaus erforderlich ist (replacement level). Bis zum Jahr 2100 werde die Geburtenrate von 183 Ländern (von 195, die in der Studie erfasst werden) auf einen Wert unter 2,1 liegen. Im Gesamtdurchschnitt würde sie bis zum Ende des Jahrhunderts global auf einen Wert von 1,66 sinken.

Davon ausgehend ergibt sich für die Welt im Jahr 2100 ein interessantes Bild. In Afrika, südlich der Sahara und im Norden, wird ebenso wie in Ländern des Nahen Ostens die Bevölkerung angestiegen sein. Von 1 Milliarde auf 3 Milliarden in den Ländern südlich der Sahara, auf knapp eine Milliarde (978 Millionen) in den Ländern Nordafrikas und für den Nahen Osten berechnet man die Bevölkerungszahl am Ende des Jahrhunderts auf 600 Millionen.

Demgegenüber verzeichnen die Modelle des IHME einen starken Rückgang - nämlich um die Hälfte - der Bevölkerung in 23 Ländern, genannt werden Japan, Thailand, Südkorea, Italien, Spanien, Portugal, aber auch China. Die Bevölkerung Italiens gehe von 61 Millionen auf 30 Millionen zurück, Spanien von 46 auf 23 Millionen, Portugal von 11 auf 5 Millionen und China von 1,4 Milliarden auf 732 Millionen.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien

Bemerkenswert: In Frankreich, Großbritannien und Deutschland kommt es laut der IHME-Prognose nicht zu einem derart krassen Rückgang. Für Deutschland sieht man voraus, dass 2035 ein Höchststand mit 85 Millionen Einwohnern erreicht wird. Angesichts einer Geburtenrate, die von dem jetzigen Wert von 1,39 auf 1,35 sinken wird, geht man davon aus, dass im Jahr 2100 66 Millionen Menschen in Deutschland leben werden. Für Großbritannien und Frankreich werden sogar leichte Zuwächse vorhergesagt, von 67 Millionen im UK auf 71 Millionen am Ende des Jahrhunderts und von 65 Millionen in Frankreich jetzt auf 67 Millionen in 80 Jahren.

So würden die drei genannten europäischen Länder auch ihren Rang unter den stärksten Wirtschaftsmächten behalten. Italien aber falle von Platz 9 auf den 29. Rang und China würde zwar im Jahr 2035 die USA als erste Wirtschaftsmacht der Welt ablösen, aber durch den Rückgang der Bevölkerung, den Spitzenplatz danach wieder an die USA abgeben: "Wenn die USA die Einwanderungsquote beibehalten".

Die Einwanderung ist neben der Bildung und der neuen demografischen Stellung afrikanischer Länder und des Nahen Ostens ein großes Leitmotiv, das die Studie durchzieht. Sie schließt sich darin Aussagen an, die vor der Überalterung der westlichen Gesellschaften (auch dafür findet man viel Anschauungsmaterial in der Studie - weltweit sollen 2100 2,37 Milliarden über 65 Jahre alt sein und es sechsmal so viele 80-Jährige geben wie heute; 1,7 Milliarden sollen dann weniger als 20 Jahre alt sein) warnen und dafür eintreten, durch Einwanderung dafür zu sorgen, dass Folgen des Geburtenrückgangs kompensiert werden.

Lancet-Chef Richard Horton folgert aus der Studie:

"Afrika und die arabische Welt werden unsere Zukunft prägen, während Europa und Asien an Einfluss verlieren. Ende des Jahrhunderts werden wir eine multipolare Welt erleben, in der Indien, Nigeria, China und die USA die dominanten Kräfte sind."