Erdogan kündigt neuen Deal in Libyen an

Die französische Fregate FS Courbet, die kürzlich laut französischer Regierung von türkischen Schiffen im Mittelmeer aggressiv bedroht wurde. Archivbild (von 2017): Marine UK.

Indessen droht Ägypten erneut mit einer militärischen Intervention, falls rote Linien überschritten werden

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Zum ersten Mal wurden türkische Transportflugzeuge bei Landemanövern auf dem libyschen Militärflughafen al-Watija beobachtet. Seit einiger Zeit schon wird von Verhandlungen zwischen der Türkei und der libyschen Einheitsregierung GNA berichtet, wonach die Türkei in al-Waija eine permanente Basis errichten will. Das wäre gerade auch wegen der Stationierung von Versorgungsflugzeugen an dem strategisch bedeutenden Flughafen ein großer militärischer Vorteil für die Türkei.

Der türkische Präsident Erdogan kündigte heute an, dass ein "neuer Deal" mit der GNA-Regierung bevorstehe. Über den Inhalt sagte er allerdings nichts. Etwas rätselhaft ist die Zusatzbemerkung, von der das Sprachrohr der türkischen Regierung, die Zeitung Daily Sabah berichtet: Dass die UN in die Verhandlungen involviert seien. Wie in vorherigen Statements zur Rolle der Türkei betonte er auch dieses Mal die traditionellen Verbindungen zu Libyen ("seit 500 Jahren") und verteilte Seitenhiebe an Länder, die seinen Gegner, den "Putschisten Haftar" unterstützen, namentlich Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Kriegsgefahr

Seit Wochen befürchten Politiker und Beobachter, dass die Einheitsregierung in Tripolis dank der militärischen Unterstützung der Türkei eine Offensive auf den Küstenort Sirte und auf al-Jufra starten könnte. Der Militäreinsatz der Türkei in Libyen hat das Kriegsgeschehen gewendet, seither ist das zuvor bedrängte Lager, die GNA und verbündete Milizen, zu einem Akteur geworden, der nun selbst auf Eroberungen aus ist. Von der strategischen Lage abgesehen - wer Sirte beherrscht, hat gute Voraussetzungen für die Kontrolle eines guten Teils der Küste - geht es auch um reiche Vorkommen von Erdöl- und Gas, die im Meeresboden vor der Küstenstadt vermutet werden.

Allerdings ist die Rede von einer "roten Linie". Würde die GNA mit der türkischen Unterstützung Sirte angreifen, so würde sie überschritten und in eine Einflusszone übergreifen, was zum Beispiel Ägypten in Alarmbereitschaft versetzt. Schon einmal hat dessen Präsident al-Sisi damit gedroht, dass er gewillt ist, einen solchen Vorstoß auf Sirte militärisch zu beantworten.

Bei einem aktuellen Besuch ägyptischer Truppen an der Grenze zu Libyen wiederholte al-Sisi seine Warnung. Sollten die Türkei und ihre Verbündeten ihre Drohungen wahrmachen und Sirte mit gewalt einnehmen, könnte Ägypten militärisch intervenieren. Er schlage stattdessen Verhandlungen vor, zitiert ihn Bloomberg.

Auch bei einem Treffen mit libyschen Stammesangehörigen am gestrigen Donnerstag betonte er die Bereitschaft, militärisch einzugreifen, da es auch um nationale Sicherheitsinteressen Ägyptens gehe. Das libysche Parlament im Osten, die international anerkannte Abgeordnetenkammer (englisch meist mit HoR wiedergegeben), erteilte in der vergangenen Woche eine "Erlaubnis" zur Intervention Ägyptens.

Sollte es soweit kommen, hätte das türkische Militär einen ernsthaften Gegner, da Ägyptens Armee durch Waffenlieferungen aus den USA technisch sehr gut ausgestattet ist. Sie verfügt über modernste Kampfjets. Auch Frankreich versorgt Ägypten mit Kriegsgerät wie auch die Vereinigten Arabischen Emirate, die ebenfalls aufseiten Haftars stehen, dem Gegner der GNA und der Türkei. Die VAE bringen zudem russische Waffen an die LNA, der sogenannten libyschen Nationalarmee, unter dem Kommando des Generals Haftar, der seit über zwanzig Jahren auch die US-Staatsbürgerschaft hat.

Russland

In al-Jufra, das neben Sirte auf der Liste der möglichen Angriffsziele der GNA und ihrer Verbündeten steht, sind russische Flugzeuge - allerdings ohne Hoheitsabzeichen - stationiert. Das US-Afrika-Kommando machte dies vor Wochen bekannt. In der internationalen Öffentlichkeit schlug dies große Wellen und setzte Spekulationen in Gang. Eine davon lautete, dass die Flugzeuge dort zum Schutz der Söldner der russischen Wagner-Gruppe stationiert worden seien. Diese kämpfen aufseiten Haftars und hatten sich nach der Wende des militärischen Geschehens nach al-Jufra zurückgezogen. Niemand würde es wagen, eine Basis mit russischen Flugzeugen anzugreifen, so die Erklärung von Beobachtern des Geschehens in Libyen für die Stationierung der Flugzeuge.

Offiziell hält Russland Distanz zu den Kriegsparteien, man sei nicht in das Kriegsgeschehen verwickelt, betont die Führung in Moskau. Wie man im Kreml genau zum Einsatz der Wagner-Gruppe steht, weiß niemand. Die meisten Berichte zur russischen Rolle in Libyen gehen davon aus, dass die Wagner-Gruppe nicht in Libyen sein könnte, wenn die Führung unter Putin dagegen starke Einwände hätte. Die Rolle Russlands in Libyen ist ebenfalls Gegenstand vieler Spekulationen, darunter auch solche, die Russland einen starken Part als möglichen Vermittler zwischen den Fronten zuschreiben.

Haftar, der fließend russisch spricht, war in der Vergangenheit einige Male in Moskau, weswegen viele Berichte lange Zeit davon ausgingen, dass die Regierung Putin ihn unterstützt. Allerdings zeigten sich da auch Differenzen und zuletzt eine große Enttäuschung, als Haftar den russischen Vorschlag zu einer Waffenruhe nicht unterschrieb. Der "Feldmarschall" hat seine eigenen Vorstellungen und die liefen bis zur Wende des Kriegsgeschehens vor allem auf eine militärische Lösung hinaus. Auf die kann er nun nur über kräftige Unterstützung von auswärts setzen. Dass er mehr russische Unterstützung bekommt, ist nicht sicher - solange die Türkei und die GNA keine unüberlegten aggressiven Schritte unternehmen.

Eines ist sicher, Russland wird sich nicht mehr wie beim parteiischen Nato-Einsatz 2011, der zur Absetzung und Ermordung Gaddafis führte, aus Libyen heraushalten. Die damalige Einmischung, angeführt von Frankreich und Großbritannien und nach leichtem Zögern kräftig unterstützt vom US-Präsidenten Obama, hat in Russlands Führung einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Das soll sich nicht wiederholen, wie sich aus vielen Äußerungen dazu etwa von Außenminister Lawrow entnehmen lässt. Man will jetzt eine starke Rolle in Libyen spielen. Und man kann, jenseits der bekannten Schemen, die in westlichen Medien zu Putin angelegt werden, davon ausgehen, dass eine kriegerische Eskalation in Libyen nicht im Sinne Moskaus ist.

Die USA

Große Fragezeichen gibt es auch zur Rolle der USA im Konfliktfeld Libyen. Auch bei Trump sah man lange Zeit vor allem Zeichen der Unterstützung für Haftar. Zuletzt wurde allerdings gemunkelt, dass ihm der Feldmarschall nach dessen militärischen Misserfolg bei al-Watija nicht mehr besonders nahestehe. Zudem ist für die USA in Libyen nichts zu holen, was die Aufholjagd Trumps im Wahlkampf befeuern könnte. Die Konstellationen sind zu komplex, Trumps Lust auf militärische Abenteuer hält sich - zum Glück - sehr in Grenzen.

Es geht also auch in Washington, zumindest solange der Wahlkampf im Mittelpunkt steht, ums Austarieren. Da Nato-Partner auf verschiedenen Seiten stehen und die EU verwickelt ist, kann man an ein paar Knöpfen spielen. So wird sich Trump wahrscheinlich nicht allzu sehr darüber geärgert haben, dass Frankreich und die Türkei in einen Streit geraten sind, bei dem die EU keine gute Figur macht.

Nun kommen aus seiner Administration zwei Wortmeldungen zu Libyen, die anzeigen, dass es in der US-Administration keine einheitliche Position gibt. Der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Robert O’Brien, stellt sich auf Frankreichs Seite: "Wir haben viel großes Verständnis für Frankreichs Beunruhigung (i.O. "very sympathetic") und nehmen das sehr ernst." Frankreich wirft der Türkei aggressives Verhalten vor. Auslöser war ein Zwischenfall mit türkischen Kriegsschiffen am 10. Juni, aber die Vorwürfe der Regierung Macron zielen auf das gesamte Vorgehen der Türkei in Libyen, weil damit ihre eigene Machtpolitik in Nordafrika - und ihre Rohstoffinteressen - auf dem Spiel stehen.

Aus dem US-Außenministerium kam dagegen auch Kritik an Frankreich, wenn auch indirekt, über das Verhalten der EU. Angesprochen dürfte sich aber auch Frankreich von den Äußerungen David Schenkers, dem Assistant Secretary of State for Near Eastern Affairs, fühlen:

Die einzigen Verbote, die sie (die EU) macht, bezieht sich auf türkisches Militärgerät, das nach Libyen geschickt wird. Niemand aber verbietet dies russischen Flugzeugen, Flugzeugen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Flugzeugen aus Ägypten. Sie könnten doch zumindest, wenn sie seriös sein wollen, dies öffentlich klar machen. Öffentlich alle die benennen, die das Waffenembargo verletzen.

David Schenker

Da hat er Recht. Dass Frankreich gegen türkische Waffenlieferungen wettert, aber nichts gegen die Waffenlieferungen der Vereinigten Arabischen Emirate verlauten lässt, ist auffallend. Paris verschont den reichen Golfstaat, mit dem man nicht nur lukrative Waffengeschäfte macht. Freilich kommen bei Schenker noch andere Aspekte ins Spiel, die im Weißen Haus nicht hochgespielt werden, aber zu den großen Themen im Außenministerium gehören: Die Rolle Russlands in Libyen.

Die Nato und die Golfstaaten

Die wird bei der Haltung der Nato um Libyenkonflikt mitspielen. Deren Generalsekretär Stoltenberg stellte seine Sympathien eindeutig auf die Seite der GNA.

Manche Beobachter schließen aus alldem, dass den Golfstaaten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien, das ebenfalls die Seite Haftars unterstützt, nur ein kurzes Zeitfenster bleibt - da die Wiederwahl Trumps ziemlich unsicher ist und die Biden-Administration an den Obama-Kurs anschließen könnte. Beide Golfstaaten sind Gegner der Muslimbrüder, die im Bündnis der GNA und der Türkei präsent sind, und in den arabischen Aufständen 2011 in Ägypten an die Macht kamen.

Ein Alptraum für die Herrscherhäuser in Riad und Abu Dhabi. Die Frage ist nun nicht allein, wie sehr die GNA und die Türkei auf eine militärische Lösung drängen, sondern auch die Gegenseite.