Der Angriff auf das ZDF-"heute-show"-Team: Wieso und weshalb?

Verschiedene Gewaltaktionen im Umfeld von Corona-Demonstrationen werfen Fragen auf

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April 2020, wir erinnern uns: Woche für Woche nahm die Zahl derjenigen zu, die gegen die autoritären Corona-Maßnahmen auf die Straße gingen. In Berlin lag der Fokus auf dem Rosa-Luxemburg-Platz, der zu einer Art Treffpunkt und Debattenort der Kritiker wurde. Im Ausnahmenotzustand der nationalen Einheit war das nicht vorgesehen und schon gar nicht erwünscht. Die Polizei musste immer mehr Kräfte zur Eindämmung einsetzen, die halbe Pressestelle erschien vor Ort, um zu moderieren, auch verdeckt arbeitende Beamte in Zivil bereicherten das Ensemble.

In diesem Gesamtkontext kam es am 1. Mai zu einem Vorfall, der bis heute Fragen aufwirft und zu dem man die Logik sucht. Ein Kamerateam, das zusammen mit dem Satiriker Abdelkarim für die ZDF-Sendung "heute-show" auf dem Rosa-Luxemburg-Platz gedreht hatte, wurde nach Beendigung der Arbeiten von etwa 20 jungen Leuten angegriffen und zum Teil schwer verletzt.

Schnell wurde ein Zusammenhang hergestellt mit der sogenannten "Hygienedemonstration" vom Rosa-Luxemburg-Platz, die schon zuvor mit einer speziellen Art von Hate-speech ("Verschwörungstheoretiker, Aluhüte, Nazis") von Lockdown-Befürwortern bedacht worden war.

"Hygienedemonstranten" die Angreifer? Die Darstellung hält sich in gewisser Weise bis heute. Dabei kann man ein solches Szenario nach allem, was man weiß, ziemlich sicher ausschließen - und zwar unter anderem deshalb, weil die Angreifer laut Staatsanwaltschaft aus dem "linken" politischen Spektrum gekommen sein sollen, während man dort die "Hygienedemonstranten" ja "rechtsoffen" verortete.

Die Mitteilung, die Angreifer seien "Linke" gewesen, sorgte jedenfalls a) für Überraschung, b) dafür, sich nicht mehr allzu intensiv mit dem Vorfall zu beschäftigen, und c) für komplette Ratlosigkeit über das mögliche Motiv der Gewalttat. Warum sollte ausgerechnet das Kamerateam einer Satiresendung, die sich immer wieder über AfD, Pegida und Co. lustig machte, angegriffen werden? Zumal mit Abdelkarim Zemhoute ein deutsch-marokkanischer Künstler der Protagonist des Drehs war.

Was weiß man bisher?

Der Überfall ereignete sich am Nachmittag des 1. Mai gegen 16:30 Uhr auf einem kleinen, unbelebten Platz, vom Rosa-Luxemburg-Platz aus gesehen südlich hinter dem Bahndamm in etwa 500 Metern Entfernung. Das siebenköpfige Team hatte die Dreharbeiten beendet, als es von mehreren sportlichen jungen Männern und Frauen unvermittelt angegriffen wurde. Die Polizei spricht von "bis zu 25 Personen". Dabei wurden auch Metallstangen als Waffen eingesetzt.

Eine Person wurde bis zur Bewusstlosigkeit getreten und so schwer verletzt, dass sie noch acht Wochen später krankgeschrieben war. Die Betroffenen sprachen von einer großen Brutalität, mit der auf sie eingeschlagen worden sei.

Auffallend war, berichten Beteiligte, dass sich die Angreifer vor allem auf den Kameramann und den Tonmann konzentrierten, weniger auf die Securitykräfte. Ein Securitymann sei sogar abgehauen und habe sich den Angreifern nicht entgegengestellt. Abdelkarim rannte weg, um bei der nahen Polizei Hilfe zu holen.

Die Angreifer waren vermummt, und zwar nicht mit Gesundheitsmasken, sondern mit sogenannten Sturmhauben. Sie müssen das Kamerateam beobachtet haben und ihm gefolgt sein. Nach der Tat sah ein Zeuge, dass jemand die Kleidung wechselte. Andere Zeugen sahen Angreifer auf Fahrräder und in ein Fahrzeug steigen. Aufgrund all dieser Details gehen die Ermittler davon aus, dass die Tat vorbereitet war.

Damit verbunden ist die Frage, woher die Angreifer wussten, dass das "heute-show"-Team an diesem Tag dort Filmaufnahmen mache.

Sechs der Angreifer wurden über Nacht in Gewahrsam genommen und am nächsten Tag wieder entlassen. Sie gelten nach wie vor als Beschuldigte. Zum Tatvorwurf soll sich bisher keiner von ihnen geäußert haben.

Dass sie der "linken Szene" zuzurechnen seien, hätte sich einmal durch einen "linken Aufkleber" ergeben, so die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage, zwei andere Personen seien in der Vergangenheit aufgrund "links-motivierter Taten straffällig" gewesen.

Bemerkenswert dann, dass zwei der Beschuldigten in Baden-Württemberg gemeldet sind. Dabei handelt es sich um ein Geschwisterpaar aus einem Ort in der Nähe von Heilbronn, wie die Welt am Sonntag erfuhr.

In Heilbronn bewegten auch sie sich in der linken Szene, beispielsweise dem Sozialen Zentrum Käthe, wie man dort bestätigte. Zugleich verurteilte man dort den Angriff auf das ZDF-Team "aufs Schärfste".

Stellte man sich in der Einrichtung zunächst noch der Presse, beantwortet man heute keine Fragen mehr und verweist lediglich auf die Stellungnahme auf der Homepage. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass ihre Kommunikationsbereitschaft auf der Internetplattform Indymedia kritisiert wurde. Das "zerstöre Vertrauen" und sei durch "nichts zu rechtfertigen." Auch zu diesen Vorwürfen will man sich im "Käthe"-Zentrum in Heilbronn nicht äußern.

Mutmaßlich Beteiligte an einer Aktion, die Hunderte von Kilometern angereist sind? Auch das würde für eine längerfristige Planung sprechen.

Wer wusste wann davon, dass die "heute-show" die "Hygiene-Demos" zum Gegenstand ihrer Sendung machen wollte?

Auch beim ZDF und der Firma Prime Productions, die die "heute-show" produziert, rätselte man, wie zu erfahren ist, wer denn der Maulwurf gewesen sein könnte. Eine Antwort hat man nicht. Die Polizei sei nicht vorab über den Dreh informiert worden. Über den Staatsschutz gibt es Berührungspunkte zu allen möglichen politischen Szenen. Dagegen wusste die bestellte Security-Firma bereits ein paar Tage vorher von dem Vorhaben.

Die Fernsehanstalt nimmt heute keine Stellung mehr zu dem ungeklärten Vorfall und beantwortet mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen keinerlei Fragen. Für ein unabhängiges Medium eine seltsame Haltung.

Sicher ist, dass man im Umfeld der Firma des Medienaktivisten Ken Jebsen ("KenFM") am Vortag von dem Einsatz der "heute-show" am 1. Mai erfuhr. Jebsen unterstützte die "Hygienedemonstrationen" auf populistische Weise. In dem Podcast-Format Tagesdosis äußerte sich der Kommentator Bernhard Loyen am 30. April wörtlich folgendermaßen: "Diese Woche werden Freitag und Samstag Demonstrationen in Berlin stattfinden. Die Heute-Show vom ZDF wird extra ein Kamerateam hinschicken. Ich konnte durch Zufall in Erfahrung bringen, man möchte gezielt Verpeilte und Verstrahlte rauspicken, um sie für das dürstende ZDF-Publikum vorzuführen. Lächerlich machen. (...)"

Der Weg der Information soll einigermaßen profan gewesen sein. Sie war von einem Mitarbeiter der Firma TV-United, die für die ZDF-Produktionsfirma Prime Productions Kamera- und Tonmann stellte, an einen Mitarbeiter der Jebsen-Firma gelangt. So schildert es der Geschäftsführer von TV-United, Harald Ortmann. Beide Firmen haben im selben Gebäude Arbeitsräume. Die beiden Mitarbeiter der beiden Firmen hätten sich in einer Pause darüber unterhalten, wer was am 1. Mai mache. Dabei sei der Dreh für die heute-show zur Sprache gekommen.

Nach dem Übergriff teilten die TV-United-Verantwortlichen den Sachverhalt der ermittelnden Kriminalpolizei mit. Von dort könnte er den Weg zum Spiegel gefunden haben, der berichtete, herausgefunden zu haben, dass die Jebsen-Firma ein Studio der Ortmann-Firma nutzte.

Ortmann bestätigt das. Er hatte eine zweite Firma betrieben, die TV-United Studio GmbH, die ein Studio für TV-Aufnahmen vermietete. Kunden waren unter anderem ZDF, ARD, Pro 7, aber auch Ken Jebsen - sowie der Spiegel. Das Medienhaus war also selber Teil des Gegenstandes, über den es berichtete, ohne das allerdings zu erwähnen. Bei der Offenlegung jener "bislang unbekannten Verbindung zwischen KenFM und TV United", wie es im Spiegel-Artikel heißt, sparte man sich selber aus.

Der Studio-Nutzungsvertrag mit Jebsen war vor Jahren geschlossen worden, erklärt Ortmann. Bereits seit 2018 habe er allerdings versucht, aus dem Geschäft auszusteigen und das Studio zu verkaufen. Erst jetzt sei ihm das gelungen, seit Anfang Mai ist er nicht mehr der Besitzer.

Was bedeutet die Verbindung für den Übergriff auf das Kamerateam?

Bei genauer Betrachtung nicht viel. Einen Tag vor dem Dreh davon zu erfahren, am 30. April, reicht schwerlich aus, um einen Angriff zu organisieren, wie er dann stattfand. Zudem passen Jebsen-Anhänger nicht unbedingt zu der politischen Richtung, aus der die Täter gekommen sein sollen.

Hinzu kommt aber vor allem, dass die sogenannten "Hygienedemonstranten" gar nichts von den Interviews der "heute-show" vor Ort mitbekommen haben. Das lag daran, dass es an jenem 1. Mai noch eine andere Inszenierung gegeben hat.

Bis dahin war mehrere Samstage lang stets der Platz vor der Volksbühne der Treffpunkt der Coronapolitik-Kritiker gewesen. Allerdings gab es keinen Verantwortlichen, keine polizeiliche Anmeldung, keinen Ablaufplan. Es waren lediglich Ort und Zeit, die die Protestwilligen immer wieder aufs Neue zusammenführten.

Am 1. Mai griff die Polizei zu einer Finte. Sie vergab sozusagen den Platz an eine Antifa-Gruppe, die dafür brav eine Kundgebung anmeldete. Und zwar für den Zeitraum von 12 bis 22 Uhr, also praktisch den gesamten Tag. Damit war die "Hygienedemo" raus. Gleichzeitig sperrte die Polizei das Areal um den Rosa-Luxemburg-Platz weiträumig ab. Mit der Begründung, der Platz sei mit den maximal erlaubten 20 Personen bereits belegt, durfte niemand mehr passieren. Selbst die Luxemburg-Straße war dicht. Lediglich Journalisten wurden durchgelassen.

Es war ein abgekartetes Spiel, das sich mehrfach wiederholte. Ein Antifa-Redner bedankte sich einmal explizit bei der Polizei, dass die ihnen diese "Inszenierung" ermöglicht habe.

Zentrum der "Hygienedemo" am 1. Mai war der Schendelplatz ein paar hundert Meter nord-westlich der Volksbühne. Dort waren über 1000 Leute versammelt, unter denen die Polizei im Laufe des Nachmittags wieder tüchtig abräumte. Vom "heute-show"-Team, das an ihnen interessiert war, bekam man dort nichts mit. Und das Team wiederum nichts von ihnen.

Abdelkarim stand mit seinen Mitarbeitern wie verloren auf dem praktisch menschenleeren Platz vor der Volksbühne und interviewte für seinen Beitrag Antifa-Aktivisten, die er für Hygienedemonstranten hielt. Das Antifa-Motto "Keine Diskriminierung von Reptilienmenschen" samt einer herumspazierenden Saurierpuppe mag das grandiose Missverständnis begünstigt haben.

Erst durch diese Recherchen erfuhren die Beteiligten, dass sie dort gar nicht mit den verfemten Hygienedemonstranten zu tun hatten, sondern mit deren Gegnern.

Jedenfalls ist damit belegt, dass es an jenem 1. Mai mindestens eine Inszenierung gab, an der die Polizei im Zusammenspiel mit anderen Personen beteiligt war. Warum könnte also der Anschlag auf das ZDF-Team nicht ebenfalls eine inszenierte Aktion mit spezifischer Absicht gewesen sein?

Was war die Tatmotivation?

Damit tut sich die Staatsanwaltschaft auch Monate später nach wie vor schwer. Sie kann keine nennen. Fortschritte bei den Ermittlungen sind nur schwer zu erkennen. Vielleicht war das Ziel der Attacke, genau das zu erzeugen, was dann sehr schnell und nachhaltig Medienecho wurde. Sie wurde in einen Zusammenhang mit der Hygienedemo gestellt. Das wurde mal subtil formuliert, mal offen und plakativ.

Die Deutsche Presseagentur (dpa) schrieb: "Das ZDF-Team der Satiresendung heute-show hatte bei einer Demonstration gegen die Corona-Regeln gefilmt. Danach wurde es in einer Seitenstraße von mindestens 15 Menschen angegriffen." Und: "Vor der Volksbühne hatten zuletzt mehrfach Gegner der Eindämmungsverordnungen aus allen möglichen politischen Richtungen gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert, darunter auch Rechtspopulisten und Anhänger von Verschwörungstheorien. Auch diese Versammlungen waren nicht erlaubt."

Für die Berliner Morgenpost hat sich der Vorfall "im Rahmen einer Demonstration auf dem Rosa-Luxemburg-Platz" ereignet. Nach Darstellung der taz fand zur Zeit der Attacke "ganz in der Nähe die Kundgebung der verschwörungsideologischen Hygienedemo statt, bei der Teilnehmende, die sich selbst als links identifizieren, mit Personen des extrem rechten Spektrums zusammenkommen. Sie alle eint eine Ablehnung der etablierten Medien."

Die Bildzeitung: "Das Team der Satire-Sendung heute-show hatte bei einer Demo gegen Corona-Regeln nahe dem Alexanderplatz gedreht, dabei wohl auch die Angreifer gefilmt."

Die Deutsche Welle: "Mitarbeiter des TV-Senders ZDF hatten am 1. Mai für die satirische Heute-Show eine sogenannte Hygiene-Demonstration gefilmt. Kurz darauf wurde das Team - womöglich gezielt - von rund 15 vermummten Personen angegriffen und teilweise erheblich verletzt."

Das ARD-Investigativ-Ressort und das Medienmagazin Zapp des Norddeutschen Rundfunks (NDR): "Viel ist noch nicht bekannt über die Hintergründe des Angriffs auf das Team der heute-show. Doch fest steht: (...) Ein beispielloser Fall von Gewalt gegen Medienvertreter. Das Team hatte zuvor bei einer Demonstration von Verschwörungsideologen am Rosa-Luxemburg-Platz gedreht, ein Zusammenhang gilt als wahrscheinlich."

Soweit einige Glanzstücke der Elite des unabhängigen deutschen Journalismus'.

War dieses Konstrukt das Ziel der Tat? Anschläge sind Indikatoren für fremde Einflüsse auf politische Entwicklungen.

Weiterer Anschlag in Stuttgart

Es gibt einen zweiten bemerkenswerten gewalttätigen Angriff, der eine ähnliche Handschrift trägt und der aktuell bis in den Bundestag führte. Schauplatz war Stuttgart.

Auch im Südwesten der Republik entwickelten sich im Frühjahr Demonstrationen gegen die Corona-Restriktionen und die Außerkraftsetzung von Grundrechten. Auf dem Weg zu einer solchen Kundgebung auf dem Stuttgarter Festgelände Wasen wurden am Samstag, 16. Mai, mehrere Teilnehmer angegriffen, drei wurden verletzt, einer davon lebensgefährlich. Er lag wochenlang im Koma. Bei den Angegriffenen handelte es sich um Mitglieder der stramm rechtsdrehenden Gewerkschaftgruppe Zentrum Automobil (ZA), die es beim Autobauer Daimler Benz mit mehreren Leuten in den Betriebsrat geschafft hat. Auch der Schwerverletzte, Andreas Z., ist ZA-Betriebsrat.

Rechte Aktivisten als Angriffsziel. Das unterscheidet Stuttgart von Berlin. Doch wie in Berlin gehen auch in Stuttgart Polizei und Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Angreifer aus der "linken Szene" kamen. Wiederum im Gegensatz zu Berlin können oder wollen die Ermittlungsbehörden in Stuttgart aber keine Angaben machen, wie sie darauf kommen.

Ein verwirrender Text auf Indymedia

In dieser Situation kommt nun erneut - wie in Berlin - die "linke" Internetplattform Indymedia ins Spiel - und den Ermittlungsbehörden zu Hilfe. Die Autoren schreiben: "Die Aktion ist nur ein Beispiel von verschiedenen handfesten antifaschistischen Interventionen, die sich an diesem Tag gezielt gegen faschistische Präsenz auf der rechtsoffenen Veranstaltung richteten." Das kann man bereits als Tatbekennung interpretieren.

Weiter geht es auf Indymedia mit dem Statement: "Momentan kann es nicht das Ziel antifaschistischer Angriffe sein, Nazis in Straßenauseinandersetzungen schwere bis tödliche Verletzungen zuzufügen. Aber wie sind nicht naiv: (...) Schon ein Faustschlag kann unter Umständen tödliche Folgen haben. (...) Dieses Risiko gehen wir ein." Mit diesen Sätzen wird gar der Tatvorwurf des versuchten Totschlags bestätigt. Wenn dann obendrein noch Details der Attacke genannt werden, wie "zwei Schlagringe", die der dann Schwerverletzte habe einsetzen wollen, geben die Antifa-Schreiber mögliche spezifische Tatkenntnisse preis. Sie dokumentieren, dass sie mit den Tätern in Verbindung stehen könnten oder sogar selber dazu zählen.

Damit konterkarieren die Indymediaschreiber auch die Schlusssätze ihres Textes: "Kein unnötiges Geschwätz über die Aktionen, keine Hinweise, die den Bullen bei ihren Ermittlungen irgendwie weiterhelfen könnten." Sie inszenieren sich damit zwar als "linke" politische Ordnungshüter und Türsteher, tatsächlich haben sie das, was sie verbieten wollen, längst selber getan.

Alles in allem ein Text, der auch wegen seiner inhumanen und anti-politischen Attitüde wirkt wie eine Provokation. Bevor wir auf die weiteren Entwicklungen eingehen, deshalb zunächst noch ein paar Worte zur Betriebsratsgruppe Zentrum Automobil (ZA), die Ziel des gewalttätigen Angriffs gewesen ist.

Betriebsratsgruppe Zentrum Automobil

ZA-Chef ist Oliver Hilburger, der unter den angegriffenen ZA-Mitgliedern gewesen sein soll, aber davonkam. Die Person Hilburger führt direkt mitten in den NSU-Komplex. Er war einst Mitglied der Neonaziband "Noie Werte" und hatte intensive Kontakte nach Chemnitz, wo sich auch das NSU-Kerntrio versteckt hielt. Mit seiner Band trat er oft auch im Osten auf. Erste unfertige Versionen des späteren NSU-Mord-Propagandavideos waren mit Musik von "Noie Werte" unterlegt.

Im November 2017 musste Hilburger als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag erscheinen. Dabei distanzierte er sich vom NSU. Zugleich machte er aber Aussagen, die man so werten muss, dass die Band "Noie Werte" einst mit dem polizeilichen Staatsschutz kooperierte. Sie hätten immer "begrüßt", sagte Hilburger, wenn Polizei bei ihren Konzerten anwesend war, und hätten Wert darauf gelegt, dass die Beamten "mitten im Raum" sind - in Zivil versteht sich.

Neonazi-Musiker als Spitzel - diese Rolle hätte Hilburger nicht einmal exklusiv innegehabt. Beispielsweise waren die rechtsextremen "Musiker" Ralf Marschner, Achim Schmid oder Roland Sokol V-Männer des Verfassungsschutzes.

Besteht die Verbindung von Hilburger zu Sicherheitsbehörden bis heute? Das hätte man gerne gewusst, denn das könnte auch auf den Konflikt vom 16. Mai im Zusammenhang mit der "Hygienedemo" ein neues Licht werfen. Sicher ist jedenfalls, dass der Aktivist, heute ähnlich rechtsextrem unterwegs wie früher, von Polizei oder Verfassungsschutz bisher nicht enttarnt wurde.

Razzien gegen Anhänger der linken Szene

Über Hilburger und das ZA kommt in Stuttgart jedenfalls der Staatsschutz als potentieller Player ins Spiel - so wie in Berlin über die genannte Antifa-Gruppe.

Am 2. Juli 2020 kam es nun im Rahmen der Ermittlungen zur Attacke vom 16. Mai landesweit in sieben Städten (Stuttgart, Ludwigsburg, Remseck, Fellbach, Waiblingen, Tübingen und Karlsruhe) zu Razzien gegen Anhänger der linken Szene.

Ein Mann kam in Untersuchungshaft. Ihm wird versuchter Totschlag vorgeworfen. Sieben weiteren Beschuldigten wird schwerer Landfriedensbruch zur Last gelegt. Ursprünglich waren es deren acht. Und dieser achte Beschuldigte macht den Vorgang nun zu einem brisanten Politikum. Er ist nämlich Mitarbeiter des Tübinger Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Tobias Pflüger.

Der Vorwurf gegen Pflügers Mitarbeiter war von Anfang an haltlos. Er war an jenem 16. Mai gar nicht in Stuttgart, sondern bei einer anderen Demonstration in Sindelfingen. Mit zweiwöchiger Verzögerung hat das die Staatsanwaltschaft eingesehen und das Verfahren gegen ihn eingestellt.

Doch damit sind nun erst recht Fragen zu dem Vorgang aufgeworfen. Auch, weil das Vorgehen der Polizei in Wildsüdwestmanier erfolgte. So soll bei der Entnahme einer DNA-Probe Zwang angewandt worden sein.

Tobias Pflüger rätselt, ob mit der Polizeimaßnahme gegen seinen Mitarbeiter er selber getroffen werden sollte oder ob die Polizei schlicht übersah, dass ein Bundestagsabgeordneter an der Sache dranhängt, die damit natürlich politisch heikel wurde. Sein Verdacht ist allerdings, dass sein Mitarbeiter als "Beschuldigter" ausgesucht wurde aufgrund der politischen Themen, an denen beide arbeiten: Bundeswehr, Kommando Spezialkräfte (KSK), Rechtsextremismus.

Pflügers Tübinger Mitstreiter hatte unter anderem herausgefunden und veröffentlicht, dass die baden-württembergische Landesregierung den Corona-Lockdown nutzen wollte, um das Polizeigesetz zu verschärfen.

Einen Zusammenhang zu den verbliebenen acht Beschuldigten kann Pflüger nicht erkennen. Einen oder zwei kenne sein Mitarbeiter oberflächlich, einen politischen Zusammenhang gebe es aber nicht. Damit stellt sich die Frage, ob die Polizei gegenüber Personen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, mittels eines Ermittlungsverfahrens einen Zusammenhang konstruieren wollte.

Damit gibt es jetzt drei ungeklärte Ereignisse: Die Übergriffe vom 1. und 16. Mai und die Razzia vom 2. Juli.