Wasserkrise in Chile

Nach jahrelanger Dürre sind in Chile rund drei Viertel der Landesfläche geschädigt. Nun soll ein neuer Klimaschutzplan die schlimmste Katastrophe abwenden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die zehn Jahre andauernde Dürre hat ihre Spuren hinterlassen: Einst fruchtbare Regionen sind ausgetrocknet, zahlreiche Tiere verdurstet. Am stärksten betroffen sind die Gletscher der Anden - Chiles wichtigste Wasserspeicher. Flüsse und Seen, von denen es vor allem viele im Süden des Landes gibt, werden normalerweise mit dem Wasser aus den Gletschern wieder aufgefüllt. Doch die schmelzen seit Jahren dahin.

Das hat verheerende Auswirkungen auf die Ökosysteme, insbesondere die Wassereinzugsgebiete stromabwärts. So führen die Flussgewässer in Zentral- und Südchile im Herbst und im Winter 25 bis 75 Prozent weniger Phosphate und Nitrate in den Pazifik ab als vorher. Gerade diese Nährstoffe aber sind essenziell für das Wachstum von Phytoplankton, welches Krebsen, Sardellen, Sardinen und vielen anderen Tieren als Nahrungsgrundlage dient.

Private Haushalte sind mit acht, der Bergbau mit sieben Prozent am Wasserverbrauch beteiligt. Den Löwenanteil nimmt die Agrarindustrie mit rund 80 Prozent ein. Allein in der Region um Santiago gehen 74 Prozent des verfügbaren Wassers auf das Konto der Landwirtschaft.

Durstige Exportfrüchte

Chile gilt derzeit als einer der zehn wichtigsten Agrarexporteure weltweit. Plantagen mit Eukalyptus, Avocados und Zitrusfrüchten expandierten bereits unter der Diktatur von Pinochet. Während im Süden überwiegend Eukalyptus gefördert wurde, dominierte im Zentrum der Anbau von - wasserhungrigen - Avocados.

Rund 1.000 Liter Wasser bedarf es, um ein Kilogramm Avocados zu produzieren. Allein mit Kupfer und Avocados exportiert Chile derzeit 1.900 Millionen virtuelle Kubikmeter Wasser. Das ist die 1,4-fache Menge an jährlich verfügbarem Trinkwasser. Auch der Weinbau hängt als wichtiger Wirtschaftsfaktor stark von der Wasserversorgung ab.

Wegen der lang anhaltenden Dürre haben 17 Kommunalverwaltungen 2019 den landwirtschaftlichen Notstand ausgerufen. So ist der Anbau von Weizen deutlich zurückgegangen. Damit droht Chile seine Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt zu verlieren. Um die landwirtschaftliche Produktion aufrechtzuerhalten, plant die Regierung nun alternative Bewässerungsmethoden und treibt den Bau von Staudämmen voran.

Verschärfter Konflikt auf dem Lande

Wegen des steigenden Wasserverbrauches in der Agrarindustrie werde der Wasserstress in den nächsten Jahren weiter zunehmen, vermutet Raúl Cordero von der Universidad de Santiago.

Besonders heftig trifft die Dürre die arme ländliche Bevölkerung. Arme Landbewohner haben im Gegensatz zu Besitzern großer Ländereien und Plantagen kaum Zugang zu Wasser, erklärt der Klimaforscher. Der Klimawandel verschärft auch soziale Konflikte. So verkauften viele Kleinbauern im Limarí-Tal aus der Not heraus ihre Wasserrechte an Großunternehmer. Die Kleinbauern, deren Lebensgrundlage auf dem Spiel steht, spüren die Auswirkungen am heftigsten.

Die Unternehmer der Agrarindustrie kontrollieren die Wasserversorgung. "Sie stehlen uns das Wasser und werden dabei vom Staat unterstützt", klagt Alejandro Cortés. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Laura López hält er Ziegen und Schafe, außerdem kultiviert das Paar auf eigenem Land Nuss- und Obstbäume sowie Weintrauben. Alle 19 Tage wird ihnen Wasser geliefert. Es wird immer schwieriger, alle Pflanzen und Tiere mit Wasser zu versorgen.

Als Präsident der Comunidad de Aguas del Canal Mollar setzt sich der Bauer dafür ein, dass die Mitglieder der Gemeinde genug Wasser haben. Dafür legt er sich immer wieder mit den Agrarunternehmern an. Córtes hält das Código de Aguas - das bestehende Wasserrecht - für kriminell, weil es das Wasser zum Privatbesitz gemacht hat.

Zunehmender Wassermangel in Santiago

Grundsätzlich wird mehr Wasser verbraucht, als durch Regen nachkommt. Meist wird das Wasser aus den Flüssen abgeleitet oder aus dem Grundwasser hochgepumpt. So verliert der Río Maipo - mit rund 250 Kilometern einer der längsten und wichtigsten Flüsse in Chile - in seinem Verlauf immer mehr Wasser.

Glaubt man den Prognosen von Experten, steht den Bewohnern in und um Santiago bis zum Jahr 2070 rund 40 Prozent weniger frisches Trinkwasser zur Verfügung als heute. Mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung soll dann davon betroffen sein. Dem World Resources Institute (WRI) zufolge wird Chile bis zum Jahr 2040 zu den Ländern mit den größten Wasserproblemen weltweit gehören. Schon heute steht das Land auf der Liste der Länder mit dem höchsten Trockenheitsstress an 18. Stelle.

Auf der anderen Seite nehmen die Flutkatastrophen zu. So gab es in Santiago 2017 katastrophale Überschwemmungen. Schlamm und Erdrutsche blockierten vier Brücken. Damit war die Wasserversorgung von über sechs Millionen Menschen in der Region unterbrochen.

Wasser ist knapp, weil sein Besitz konzentriert ist, weiß Octavio Avendaño, der zu Wasserkonflikten und -gesetzgebung in Chile forscht. Mit der Privatisierung des Wassers sind Eigentumsrechte wichtiger geworden als Grundrechte. Das trifft nicht nur die Kleinbauern, sondern die gesamte Bevölkerung. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, sei eine Änderung der Verfassung, glaubt der Politikwissenschaftler.

Wasser muss wieder verstaatlicht werden

Die Privatisierung des chilenischen Wassers geht auf ein Gesetz aus dem Jahre 1981 zurück, das von der chilenischen Militärdiktatur verabschiedet wurde. Heute kontrollieren Unternehmen wie die französische Suez Group, Aguas de Barcelona und der japanische Konzern Marubeni das gesamte Wasservergabesystem. Zudem sind mehr als 40 Regierungsbehörden an der Bewirtschaftung der Wasserressourcen beteiligt.

Weil sie die hohen Preise nicht mehr zahlen können, greifen viele Menschen auf eigene Grundwasserquellen zurück. Doch die geben immer weniger Wasser her: Innerhalb von rund 30 Jahren - von 1969 bis 2001 - ist Santiagos Grundwasserspiegel von 12 auf 26 Meter unter der Erde gesunken. Seither dürfte er noch tiefer gefallen sein. Zwar sucht die Regierung mit Hilfe ausländischer Investoren nach Lösungen, doch private Unternehmen legen kaum Wert auf Nachhaltigkeit oder den Schutz der Ökosysteme. Damit Wasser zu erschwinglichen Preisen wieder für alle verfügbar ist, wollen die Befürworter einer neuen Verfassung die private Kontrolle der Wasserrechte abschaffen.

Auch Bergbauunternehmen sollen keine weiteren Wasserrechte mehr erhalten. Mit einer neuen Verfassung soll das marktorientierte Wirtschaftsmodell reformiert und an erstarrten Eigentumsverhältnissen gerüttelt werden.

Neuer Klimaschutzplan soll Krise überwinden

Forscher glauben, dass der Rückgang der Niederschläge mindestens zu einem Viertel auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückgeht. So waren die durchschnittlichen und maximalen Temperaturen in Chile von 2010 bis 2014 um 0,5 bis 1,5 Grad höher als zwischen 1970 und 2000. Mit kontinuierlich steigenden Temperaturen verdunstet immer mehr Wasser. Nun veröffentlichte die Regierung im April 2020 einen Nationalen Plan zur Anpassung an den Klimawandel.

Bis zum Jahr 2025 sollen die Emissionen von 95 Millionen Tonnen Kohlendioxid nicht übersteigen. In dem neuen Plan sind die Emissionen um 27,5 Prozent niedriger als vom ursprünglichen Plan vorgesehen. Zudem soll es bis 2050 einen partizipativen Prozess zur Ausarbeitung einer langfristigen Klimastrategie im Rahmen des Pariser Abkommens geben. Neben der gerechten Verteilung des Wassers werden auch die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Überwindung von Armut und Kosteneffizienz thematisiert. Vor allem sollen die Klimaschutzleistungen sozial gerecht aufgeteilt werden.

Gleichzeitig kündigte Präsident Sebastián Piñera den Bau neuer Wasserreservoirs entlang der Küste an. Der Testlauf einer Entsalzungsanlage in der Hafenstadt Antofagasta im Norden des Landes erwies sich als zu teuer und zu umweltschädlich: Die schädlichen Abwässer wurden einfach zurück ins Meer gepumpt.

Die Idee, Süßwasser aus den Flüssen und Seen des Südens über eine Wasserstraße in die trockenen zentralen und nördlichen Städte Chiles zu bringen, stößt bei den - indigenen - Einwohnern auf wenig Begeisterung. Kein Wunder, denn die Entnahme von Wasser würde die Fischpopulationen dezimieren und die Fischerei schädigen. Neben den Regenwassereinzugsgebieten gibt es die Idee, Wasser aus Nebel zu gewinnen.

Praktikabel klingt der Vorschlag, trockenresistente Baumarten zu pflanzen, die gleichzeitig die Böden verbessern. Und geschlossene Nährstoffkreisläufe in der Landwirtschaft reduzieren nicht nur den Wasserverbrauch, sondern auch die Treibhausgasemissionen.

Wasser ist lebenswichtig - nicht nur für den Menschen, sondern für alle Ökosysteme der Erde. Gelingt es nicht, den Klimawandel zu verlangsamen, werden künftig immer mehr Regionen austrocknen.