Es geht steil bergauf - mit der Angst

Coronavirus in Frankreich: Furcht vor Übersterblichkeit und zweiter Welle sorgen für mehr Schrecken als Terror und Gewalt

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Die Politiker wie auch Medien können auf einen Sockel auf Angst in der Bevölkerung bauen. "Noch nie war die Beunruhigung (französisch: l’inquiétude) unserer Landsleute so hoch", kommentiert die bürgerlich-konservative Zeitung Le Figaro eine Umfrage, bei der heraussticht, dass sich zwei Drittel der Franzosen vor einer zweiten Sars-CoV-2-Welle fürchten.

Insgesamt geben 68 Prozent der Befragten an, dass sie sich unsicher fühlen; die Angst vor der Corona-Pandemie nimmt dabei mit 66 Prozent die erste Stelle ein. Da aber seit Januar das Vertrauen in die Regierung, dass sie mit "täglichen Risiken" umgehen kann, laut dem Barometer des Meinungsforschungsinstituts Odoxa gewachsen ist, erklären sich die Analysten den rekordmäßigen Beunruhigungsausschlag mit einem "Umzug der Angst".

Vor Corona hätten die Franzosen, wenn es um ihre Ängste und Sorgen ging, zwangsläufig an Gewalttätigkeiten, Unfälle, Verbrechen und Terroranschläge gedacht, mit der Pandemie habe sich das "Quartier der Ängste" verändert. Sie seien an die Front der Gesundheitsvorsorge umgezogen, wie man sich die Umfrageergebnisse beim Figaro erklärt.

Im Januar lag der Level der beunruhigten Bürgerinnen und Bürger noch bei 58 %. Seither ging der Wert um 10 Prozent steil nach oben. Nummer 1 ist wie erwähnt die Befürchtung des Risikos einer zweiten Corona-Viruswelle mit 66 Prozent. Mit großem Abstand (35 %) folgt die Sorge vor einem bösen Alltagsereignis, etwa Verbrechen oder Unfall. Nicht ganz jede(r) Dritte (29 Prozent) fürchtet das Risiko eines erneuten Terroranschlags wie auch solche durch gewalttätige Demonstrationen (wie schon im letzten Jahr gibt es Stimmen, die einen "heißen Herbst" auf der Straße ankündigen). Vor Cyberattacken fürchten sich 8 Prozent und 6 Prozent vor einem bewaffneten Konflikt.

Als bemerkenswert zeigt sich an der Umfrage auch, dass die Bevölkerung im Nachbarland, die ja oft als "widerspenstig" gezeichnet wird, mit den Regelungen gut zurechtkommt, die die Verbreitung des Coronavirus eindämmen sollen. 93 Prozent sind damit einverstanden, grundsätzliche Maßnahmen, wie etwa Abstandhalten, Händewaschen, kein Händeschütteln noch Monate lang beizubehalten, was für eine gewisse Verbreitung der Achtsamkeit spricht.

Die gerade in Frankreich verkündete "verschärfte Maskenpflicht", für die Gesundheitsminister Olivier Véran an den "Bürgersinn" appelliert, wird leider nicht eigens in der aktuellen Umfrage angesprochen. Verhängt wurde sie für Geschäfte, Banken und andere öffentlich zugängliche Räume. "Auch in Fitnessstudios und Orten der Religionsausübung ist eine Maske nun Pflicht. Bei einer Missachtung droht ein Bußgeld von 135 Euro." (Tagesschau). Letzte Woche deutete eine Umfrage auf eine große Mehrheit (85 Prozent), die die Maskenpflicht unterstützt.

Die Erklärung dafür drängt sich anhand der Zahlen in Frankreich auf. Zwar gibt es in Frankreich weniger gemeldete mit Sars-CoV-2 Infizierte als in Deutschland - Worldometer zeigt gegenwärtig 177.338 Fälle in Frankreich gegenüber 203.890 an. Aber es werden weitaus mehr Tote im Zusammenhang mit Covid-19 ausgewiesen, nämlich 30.165 gegenüber 9.181 in Deutschland (Stand 22.07.2020).

Die Suche nach Erklärungen für die hohe Zahl an Todesfällen ist noch in vollem Gang. Ein paar Mosaiksteine liefert ein Bericht der nationalen Gesundheitsbehörde Santé Publique, der die Mortalität im Verlauf der Corona-Epidemie vom 2. März bis 31. Mai 2020 untersucht.

Um dies vorwegzunehmen, die Behörde plädiert nicht von ungefähr für eine genauere, besser koordinierte und damit elektronische Datenerfassung der Todesfälle, weil das jetzige Verfahren nicht gut genug ist für eine verlässliche Analyse. Bislang wird die genaue Todesursache schriftlich auf Papier notiert und nur Teilangaben werden an die elektronischen Datenerfassungen weitergegeben. Erst mit viel Zeitaufwand werden die genaueren Todesursachen aus den schriftlichen Dokumenten ausgelesen.

Die vorliegende Untersuchung hat also ihre Lücken und eben genau diese, die in Diskussionen häufig angesprochen werden: Was heißt es, wenn ein Toter als Covid-Toter registriert wird? Heißt es, dass er vor allem am Virus gestorben ist oder kann es sein, dass Vorerkrankungen oder Begleiterkrankungen nicht auch eine wesentliche Rolle gespielt haben? Genau das Problem steckt auch hinter den Zahlen, die die Gesundheitsbehörde veröffentlicht und wird im Bericht auch deutlich angesprochen.

Er ist also nur "provisorisch", auch wenn die Überschriften in Medienberichten dazu erschrecken. So überschreibt die Zeitung Le Monde ihren Bericht damit, dass die Sterberate in Frankreich während der Covid-19-Epidemie ein Hoch von 60 Prozent hatte.

Tatsächlich liefert die Untersuchung der Gesundheitsbehörde diese sensationelle "Chiffre", aber das ist ein Wochenergebnis. In der Woche vom 30. März zum 5. April erreicht die "Übersterblichkeit" einen Höhepunkt von 60 Prozent, um bis Ende April wieder auf Normalniveau zu kommen.

Bekanntlich ist der Begriff "Übersterblichkeit" so effektheischend, wie er umstritten ist. Daher soll er hier in Anführungszeichen bleiben. Die Grundlage liefert hier die Beobachtung der Gesundheitsbehörde, dass im März dieses Jahres in Frankreich mehr Menschen gestorben sind als im Vergleichszeitraum in den Jahren zuvor. Anfang März beträgt der Unterschied 7 Prozent im Verglich zu den erwarteten Werten, in der genannten Woche Ende März/Anfang April kommt es dann zur 60-Prozent-Steigerung gegenüber dem statistisch erwarteten Wert . Danach sinkt die Sterblichkeitsrate wieder auf normale Werte.

In absoluten Zahlen sind es im Zeitraum von 2. März bis 31. Mai zwischen 25.000 und 30.000 Tote, die über der statistisch erwarteten Zahl der Toten liegen. Die Schwankungsbreite zeigt bereits das Problem der Datenerfassung an. Die eine Zahl zeigt eine Schätzung an, die vom Nationalen Statistischen Institut kommt, die andere beruht auf Schätzungen aufgrund von Tests in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen (Ehpad), die mit Todeszahlen verbunden werden.

Die genaue Auflistung nach Altersgruppen zeigt an, dass 23.400 der Toten über 65 Jahre alt waren und dort auch die höchste "Übersterblichkeit" registriert wurde (plus 18, 2 Prozent). Dazu wird noch ein anderes Ergebnis hervorgehoben, dass bei zwei Dritteln aller Fälle noch mindestens ein zweiter Todesgrund angegeben wurde, der wie im Fall von starkem Übergewicht und Krebs auch bei 25 Prozent der 40-59-Jährigen erwähnt wird.

Aufgrund der Ungenauigkeiten bei der Erfassung der Todesursachen sei dies nur ein vorläufiges Zwischenergebnis, wird betont. Was sich zeigt, wurde in anderen Berichten schon herausgestellt: Dass Altenpflegeheime ein besonderes Risiko boten, wie auch die Bevölkerung im Großraum Paris durch Wohnverhältnisse, Arbeitsstellen und Vorerkrankungen einem weitaus höheren Risiko ausgesetzt war, sich anzustecken und von Covid-19 lebensgefährlich bedroht zu werden.