Spaniens Wirtschaft im freien Fall

Die Mehrzahl der Jobs, die verloren gingen, lag im Dienstleistungssektor, vor allem Tourismus. Bild: Maël Balland/Pexels

Das Land hat offiziell fast 1,1 Millionen Stellen verloren, doch die reale Zahl ist viel höher

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Derzeit hagelt es nur so schlechte Zahlen aus dem spanischen Statistikamt (INE) in Madrid. Die Corona-Krise trifft das Urlaubsland mit voller Wucht, was auch nicht anders zu erwarten war. Schrumpfte die spanische Wirtschaft schon im ersten Quartal um 5,2%, obwohl nur zwei Wochen von drei Monaten in den Alarmzustand fielen, waren es nun im Vergleich zum Vorquartal sogar schon 18,5% - ein nie dagewesener Wert.

Damit trifft es Spanien mit einer sehr ungesunden einseitigen Ökonomie wie sonst wohl kein anderes entwickeltes Land. Im Jahresvergleich ist die Wirtschaft sogar schon um 22,1% abgestürzt. In Deutschland waren es dagegen 10,1%, in den USA etwa 9,5% - auch wenn oft von 32,9% gesprochen wird -, in Frankreich 13,8% und in Italien, obwohl vom Coronavirus stärker betroffen, "nur" 12,4%. Damit liegt das Land nur leicht über dem Durchschnitt im Euroraum.

Diese Woche hatte INE auch Angaben zur Arbeitslosigkeit in Spanien gemacht. Dort ist man von einer hohen Arbeitslosigkeit (14%) in der letzten Krise nie heruntergekommen, weil, anders als beim Nachbar in Portugal, lange auf die verfehlte Austeritätspolitik gesetzt wurde. Nach INE-Angaben sind nun 15,3% arbeitslos. Das ist aber eine Mondzahl, weil sie den Verlust von 1,1 Millionen Stellen nicht darstellt, den auch das Statistikamt offiziell beziffert.

Diverse Beobachter gehen davon aus, dass die reale Zahl der Arbeitslosen eher schon bei 20% liegt. Viele Arbeitslose haben es angesichts lange geschlossener Behörden nicht geschafft, sich überhaupt im Juni arbeitslos zu melden. Wer keine Leistungen in Spanien zu erwarten hat, tut das ohnehin normalerweise nicht. Und das sind viele.

Dramatisches Ausmaß noch nicht absehbar

Das dramatische Ausmaß ist noch lange nicht absehbar. Sogar das INE muss einräumen, dass real 4,7 Millionen Menschen im letzten Quartal nicht gearbeitet haben. Fast 3,5 Millionen Menschen sind noch in sogenannten "ERTE" geparkt, wie Null-Kurzarbeit genannt wird, und von denen werden viele nie wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren, wie auch an dieser Stelle befürchtet wurde. Man darf annehmen, dass die enorme Zahl von 26% im Jahr 2013 in der letzten Krise noch deutlich überschritten werden wird.

Die Mehrzahl der Jobs, die verloren gingen, lag im Dienstleistungssektor (vor allem Tourismus), wo allein 800.000 Stellen offiziell weggefallen sind. Zwei Drittel der verlorenen Stellen waren befristet. Mehr als 90 Prozent aller Verträge werden hier befristet geschlossen, müssen also nicht gekündigt werden. Sie fielen damit nicht unter den Corona-Kündigungsschutz der spanischen Regierung im Alarmzustand, der bis zum 21. Juni andauerte.

Eigentlich sollte es nach zwei Arbeitsmarktreformen befristete Verträge kaum noch geben, mit denen der Kündigungsschutz praktisch beseitigt und die Abfindungen erheblich verbilligt wurden. Doch sie feiern Urstände. Die "Linksregierung" hat ihr wiederholtes Versprechen gebrochen, wenigstens diese besonders schädliche Reform der rechten Vorgänger zu streichen, und wurde dafür gerade bei Wahlen abgestraft.

Infektionszahlen, Reisewarnungen und Quarantäne

Besserung ist für Spanien nicht in Sicht. Obwohl es überall neue wachsende Infektionsherde gibt, die Zahl ist offiziell von 412 auf 483 geklettert, will die Regierung absurderweise nicht von einer 2. Welle sprechen, um Touristen nicht zu verscheuchen.

Allerdings wird der Infektionsherd Hauptstadtregion Madrid weitgehend unter den Tisch gekehrt. Trotz allem werden angesichts der Nachrichten aus Spanien Leute ausbleiben, die an einen Urlaub dort gedacht haben. Längst müssen Besucher in Großbritannien und Norwegen in eine 10 bis 14-tägige Quarantäne bei der Rückkehr.

Andere Länder haben - wie Deutschland - haben Warnungen für einige Regionen ausgesprochen, dabei fehlt allerdings der Infektionsherd Madrid. Dort entwickelt sich die Lage weiter dramatisch. Doch weder das Auswärtige Amt noch das Robert Koch Institut (RKI) wollen das zur Kenntnis nehmen. So weist das RKI nur Aragon (wo die Lage derweil außer Kontrolle ist), Navarra und Katalonien als Risikogebiete aus. Dabei hat Madrid auch nach offiziellen Zahlen des Gesundheitsamts gestern schon fast doppelt so viele neu ermittelte Neuinfektionen ausweisen müssen wie Katalonien (121).

Viel aussagekräftiger ist allerdings die Zahl der Einweisungen in Hospitäler. Wie hier schon ausgeführt, gibt sie mit etwas zweiwöchiger Verspätung ein Bild ab. Das ist für Madrid, wo kaum getestet wird (nur 40.000 gegenüber 500.000 in Katalonien) genauer als die Zahl der neu ermittelten Infizierten. Und die Zahl ist in den letzten sieben Tagen in Madrid auf 75 hochgeschnellt, während sie in Katalonien auf 24 gefallen ist. Das zeigt, dass die in Katalonien getroffenen Maßnahmen gewirkt haben, weshalb auch im Grenzgebiet zu Aragon die Notmaßnahmen schon wieder zurückgefahren werden können.

Madrid: Die "große Ausfahrt"

Ansteckungen und schlechte Tendenzen bei Einweisungen zeigen sich weiter im Land auch in Valencia, Andalusien oder Navarra. Da die Zahlen in Madrid alles andere als korrelieren, muss die Dunkelziffer dort enorm hoch sein. Wegen fehlender Test und Tracking hat man ein nur sehr verzerrtes Bild. Langsam beginnen sich auch einige in Madrid Sorgen zu machen. Die regierungsnahe Zeitung El Pais beschreibt, dass sich das Virus unter jungen Menschen in Madrid extrem schnell ausbreitet.

Eigentlich ist es angesichts der Entwicklung dringend anzuraten, auch Besucher und Rückkehrer aus Madrid in Deutschland einen Test zu unterziehen und nicht nur die aus Aragon, Navarra und Katalonien, wie es ab nächster Woche geplant ist. Eigentlich sollte das sogar für alle Menschen gelten, die aus dem spanischen Staat nach Deutschland kommen.

Denn heute beginnt die "große Ausfahrt" und auch Hunderttausende Madrider werden, etliche davon mit dem Virus im Gepäck, am Wochenende in das ganze Land ausströmen. Es ist eine ganz ähnliche Situation wie vor dem angekündigten Alarmzustand in März. Insofern wäre es eigentlich sogar angebracht, Großbritannien und Norwegen zu folgen und eine Quarantäne für Rückkehrer aus Spanien anzuordnen.