Der Mahnruf des missachteten Gewissens

Atompliz über Hiroshima. Bild: DoD

Vor 75 Jahren warfen US-Soldaten erstmals in der Menschheitsgeschichte eine Atombombe auf bewohntes Gebiet ab. Am 6. August 1945 starben in Hiroshima 140.000 Menschen und kurz danach in Nagasaki 73.000

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Die US-Regierung rechtfertigt ihren brutalen Einsatz bis heute mit dem Argument, dass nur durch die beiden Atombomben der Zweite Weltkrieg im Fernen Osten rasch beendet werden konnte. Nicht nur japanische, auch US-Historiker bestreiten diese These und weisen darauf hin, dass die japanische Regierung schon vorher Friedens-Signale gesendet habe und Zeichen von "Kriegsmüdigkeit".

Bis zum Jahr 2020 sind jedoch noch einmal mehr als doppelt so viele Menschen an den Spätfolgen nuklearer Verstrahlung gestorben - insgesamt über 400.000. Und das Sterben geht bis heute weiter - noch 75 Jahre nach den Atombomben.

Vor einigen Jahren hatten mich die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki zu Vorträgen eingeladen. Mein Thema hieß "Vom Atomzeitalter ins Solarzeitalter". Wichtigere Orte zu diesem Thema gibt es wohl nicht. Ich habe dabei erfahren, dass auch in Japan die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich sowohl gegen Atomenergie als auch gegen Atombomben eingestellt sind.

Wer in Hiroshima und Nagasaki mit Strahlungsopfern spricht oder die beiden eindrucksvollen Gedenkstätten besucht, dem öffnet sich das Tor zur Hölle auf Erden. Im August 1945 geschah ein Massenmord, wie ihn sich die Welt bis dahin nicht vorstellen konnte. Innerhalb von Sekunden haben sich Zehntausende von Menschen in Nichts aufgelöst, waren allenfalls ein Häufchen Asche oder für den Rest ihres Lebens verstrahlt und verkrüppelt.

Am meisten erschüttert hat mich jedoch eine Zahl, die der Oberbürgermeister von Hiroshima nannte: Jedes Jahr sterben heute noch in Japan über 3.000 Menschen an den Folgen atomarer Verstrahlung aus dem Jahr 1945. Kurz vor meinem Vortrag in Nagasaki schob mir der stellvertretende Oberbürgermeister noch einen handgeschriebenem Zettel zu, auf den er die aktuelle Zahl der in seiner Stadt bisher durch atomare Verstrahlung getöteten Menschen geschrieben hatte: 140.144!

75 Jahre danach liegen Hiroshima und Nagasaki nicht hinter uns, sondern noch immer vor uns. Es wird weiter gestorben.

Wir wissen durch die jahrelangen Diskussionen um die Atombombe für Nordkorea und den Iran um den engen Zusammenhang zwischen der so genannten friedlichen Nutzung der Atomkraft und dem Bau von Atombomben. In AKWs wird auch der Stoff für die Bombe produziert. Ohne Atomkraftwerke gibt es - auch für den Iran und für Nordkorea - keine Atombombe. Die weltweiten Störfälle in vielen Atomanlagen müssten auch die größten Atomfreunde nachdenklich machen! Solange auf der Welt aber circa 400 AKWs laufen, werden skrupellose Machtpolitiker weiterhin versuchen, Atombomben zu bauen. 400 AKW sind 400 mögliche Atomunfälle. Es gibt kein einziges AKW auf der Welt, das zu 100% sicher ist.

Wir müssen zudem damit rechnen, dass Atombomben eines Tages auch in die Hände von Terroristen gelangen, wenn wir das Atomzeitalter nicht hinter uns lassen. Das aber heißt: Möglichst rasch alle AKWs schließen und die Energie künftig aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen - aus Sonne, Wind, Bioenergie, Erdwärme, Wasserkraft und Meeresenergie. Bei entsprechendem politischem Willen ist die solare Energiewende in 15 Jahren zu 100 Prozent möglich.

Die Oberbürgermeister von Hiroshima und Nagasaki haben sich schon vor 35 Jahren geschworen, dass der atomare Massenmord in ihren Städten von der Menschheit niemals vergessen oder verdrängt werden darf und gründeten die weltweite Organisation "Bürgermeister für den Frieden", der sich inzwischen 7.909 Bürgermeister aus 164 Ländern angeschlossen haben - darunter auch die Bürgermeister von 683 deutschen Städten und Gemeinden, unter anderen auch Berlin, München, Hamburg und Köln, aber auch kleinere Städte wie Heidelberg oder Baden-Baden oder Trier und Mainz. Nach einer FORSA-Umfrage sprechen sich 93% der Deutschen für ein völkerrechtliches Verbot von Atomwaffen aus und 85% befürworten einen Abzug der noch immer auf deutschem Boden gelagerten 25 Atomwaffen der USA.

Das Ziel der "Bürgermeister für den Frieden", die inzwischen über 300 Millionen Menschen vertreten: Eine atomwaffenfreie Welt!

Der Oberbürgermeister von Hiroshima, Tatadoshi Akiba, optimistisch:

Da es möglich war, weltweit die Bio- und Chemiewaffen abzuschaffen, ist es natürlich auch möglich, die gefährlichsten Waffen, die Atomwaffen, abzuschaffen. Keine andere Stadt der Welt soll jemals das Schicksal von Hiroshima oder Nagasaki erleiden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen aber noch viel mehr Städte und Dörfer unserem Bündnis beitreten. Bitte helfen Sie uns auch in Deutschland dabei. Denn nur durch viel Druck auf die mächtigen nationalen Politiker der Atombombenbesitzer können wir erreichen, dass die heute weltweit über 15.000 Atomsprengköpfe vernichtet werden. Damit kann die gesamte Menschheit mindestens 20mal ausgelöscht werden.

Tatadoshi Akiba

"Es gibt", sagt mir der stellvertretende Bürgermeister von Nagasaki zum Abschied, "nicht die geringste Rechtfertigung für die atomare Geiselnahme von Städten und Dörfern. Niemals mehr darf eine Stadt zur Zielscheibe von Atomwaffen werden." Mir geht dabei die Frage durch den Kopf, ob wir dieses Engagement für eine atomwaffenfreie Welt nicht auch unseren Kindern und Enkeln schuldig sind?

Atomwaffen sind Terrorwaffen, von denen auch noch heute 25 in Deutschland lagern - mit der Zerstörungskraft von jeweils 5 Hiroshimabomben! Es ist wohl die größte und gefährlichste Illusion der Menschheitsgeschichte, dass wir mit Atomwaffen auf Dauer Frieden sichern können.

2007 starb der Bomber-Pilot von Hiroshima, der US-Soldat Paul Tibbets. Noch kurz vor seinem Tod sagte er: "Ja, ich würde es wieder tun. Ich hatte deshalb keine schlaflose Nacht." Bis heute hat sich kein US-Präsident in Japan für die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und für den Massenmord entschuldigt.

Vor kurzem hatte mich der Bürgermeister von Fukushima zu einem Vortrag vor 400 japanischen Bürgermeistern eingeladen. Mein Thema hieß - wie zuvor in Hiroshima und Nagaski - "Vom Atomzeitalter ins Solarzeitalter". Dabei fragte ich den Fukushima-Bürgermeister, der soeben vom havarierten AKW gekommen war, was passieren würde, wenn er das Reaktorinnere betreten würde. Seine Antwort: "Nach Sekunden wäre ich Asche."

Zurzeit sucht die ganz Welt nach einem Impfstoff gegen die Corona-Pandemie. Den Impfstoff gegen die atomare Pandemie und gegen die fossile Pandemie haben wir bereits: Erneuerbare Energien.

Kriege sind ein Verbrechen an der Menschheit. Ein Atomkrieg wäre wohl der letzte Krieg, denn danach gäbe es wahrscheinlich keine Menschen mehr, die noch einen Krieg führen könnten. Der Mahnruf des bisher missachteten Gewissens heißt: Vergesst nicht die Lehren der vier großen Atomkatastrophen in Hiroshima, Nagasaki, Tschernobyl und Fukushima.

Die Bürgermeister von Hiroshima, Nagasaki und Fukushima sagten mir, dass sie allein eine atomwaffenfreie Welt und eine Welt ohne AKWs nicht schaffen. Dazu brauchen sie die Unterstützung vieler Kollegen und Kolleginnen in der ganzen Welt. Immerhin haben 2017 122 UNO-Staaten die Abschaffung aller Atomwaffen gefordert. Aber alle neun Atombomben-Regierungen haben dagegen gestimmt. Leider auch die deutsche Bundesregierung in der UNO. Es war bisher in Deutschland allein der frühere FDP-Außenminister Guido Westerwelle, der sich als Regierungsmitglied 2012 für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland aussprach. Wahrscheinlich müssen sich noch viel mehr deutsche Bürgermeister dafür einsetzen bis auch die Bundesregierung in Berlin sich dafür ausspricht. Damit könnte Deutschland zeigen, dass es aus seiner Geschichte nach 1945 tatsächlich etwas gelernt hat.

Seit 2000 Jahren gilt der altrömische Grundsatz "Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten." Das Ergebnis dieser Politik: 2000 Jahre lang Kriege, Massenmord und unendliches Leid. Auf Grund dieser Erfahrungen müssen wir endlich diese Philosophie entwickeln: "Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten." Also Abrüsten und nicht aufrüsten, wie es auch die derzeitige Bundesregierung tut, indem sie immer mehr Geld in die Rüstung steckt, vor allem, um den US-Präsidenten zu beruhigen. Von einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung kann man erwarten, dass sie sich eher an einer Politik der Bergpredigt orientiert als an den Wünschen eines gefährlichen US-Präsidenten, der jeden moralischen Kompass verloren hat.

Die USA geben mehr als achtmal mehr Geld für Rüstung und Militär aus als Russland und dreimal so viel wie China. Wer bedroht hier eigentlich wen? Mit einem Zehntel der weltweiten Militärausgaben könnten wir dafür sorgen, dass kein Kind mehr verhungern muss. Und mit einem weiteren Zehntel könnten wir dafür sorgen, dass alle Kinder zur Schule können. Wären das nicht lohnendere Ziele als ein neues Wettrüsten zu beginnen, wie es die USA, China und Russland, aber auch Deutschland gerade wieder tun? Wann endlich lernen wir, dass nicht Hass und wettrüsten der Sinn unseres Hierseins ist, sondern Liebe und Frieden?

Wir müssen Frieden und Sicherheit neu denken so wie es Jesus in der Bergpredigt gefordert hat.

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