Alles "truly Sozialdemokraten"

Bild: fsHH/Pixabay License

Kommentar: Die Ausrufung von Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten ist eher symbolisch. Er ist bereit, die Niederlage zu verantworten. Der Streitpegel in der SPD-Führung dürfte wieder steigen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach Martin Schulz wurde mit Olaf Scholz erneut ein Anhänger der Schröder-SPD einstimmig zum Kanzlerkandidaten gewählt. Dabei versucht die SPD seit Jahren den Eindruck zu erwecken, sie wolle das Erbe der Schröder-SPD endlich hinter sich lassen. Darauf sprangen verschiedene Medien an und warfen meist mit kritischen Untertönen der SPD vor, den erfolgreichen Schröder-Kurs zu verlassen.

Erfolgreich war die Agenda-2010-Politik für den Wirtschaftsstandort Deutschland, und der ist der SPD natürlich noch immer ein besonderes Anliegen. Daher wurde die Diskussion auch immer unter falschen Prämissen geführt. In Wahrheit will sich niemand in der SPD von der Schröder-SPD befreien. Schließlich gehört es zum Markenkern der Partei, die kapitalistischen Grausamkeiten möglichst geräuschlos durchzusetzen, die ohne Beteiligung der SPD auf mehr Widerstand in der Bevölkerung stoßen würden.

Dafür steht die SPD nun seit mehr als 100 Jahren, auch wenn in jeder Generation immer neu die Illusion aufgewärmt wird, jetzt werde sich die SPD aber bestimmt ändern. In den letzten Jahren waren solche Hoffnungen mit Personalien wie Andrea Nahles, Saskia Esken, Norbert-Walter Borjans und Kevin Kühnert verbunden. Nun werden manche wieder mal enttäuscht sein, weil genau diese SPD-Politiker nun dem Schröder-Mann Olaf Scholz den Weg zur Kanzlerkandidatur ebneten.

Doch dabei unterliegen die Kritiker einer Selbsttäuschung. Es sind alles "truly Sozialdemokraten", wie sich Scholz selber mal klassifizierte, die auch mal links blinken, aber beharrlich rechte Politik machen. Kevin Kühnert zeigt nur, dass man Kurse in sozialdemokratischer Anpassungs -und Machtpolitik heute in wenigen Monaten absolvieren kann.

Es gab Zeiten, da brauchten sich rebellisch gebende Jusos dafür schon mal Jahre und der Schröder-Vorgänger beim Juso-Vorsitz, Uwe Benetter, wurde zwischenzeitlich sogar mal aus der SPD ausgeschlossen, bevor er die Parteilogik doch noch verinnerlichte.

Wie stromlinienförmig die SPD-Linke heute ist, zeigt das Deutschlandfunk-Interview mit Oliver Kaczmarek, der als Mitglied der Parlamentarischen Linken in der SPD vorgestellt wurde. Inhaltlich könnte er auch bei den rechten Seeheimer Kreis aktiv sein, macht keinen Unterschied. Alles "truly Sozialdemokraten" eben.

Gleich die erste Antwort zeigt, dass Kritikfähigkeit nicht zu den besonderen Eigenschaften von Sozialdemokraten gehört:

Philipp May: Ist Olaf Scholz auch der Kandidat Ihres Herzens?
Oliver Kaczmarek: Na klar, Olaf Scholz ist der Kandidat der gesamten Partei, und gerade auch in der Parlamentarischen Linken habe ich von vielen Kolleginnen und Kollegen vor unserer Sommerpause viel Zustimmung für seine Politik gehört und auch für die Aufgabe, die er jetzt übernimmt.

Deutschlandfunk

Erste Angriffe auf die Parteiführung

In Kaczmareks Interview deuten sich auch schon die neuen Konfliktlinien in der Partei an. Bald werden sich SPD-Mitglieder zu Wort melden, die jetzt auch die Parteiführung wieder in der Hand von Scholz oder zumindest seiner Vertrauten sehen wollen. Kaczmarek gibt im Interview da schon die Tonlage vor, als er darauf angesprochen wird, dass schließlich im letzten Jahr die Parteibasis ihr Votum für Esken und Borjans gegeben hat.

Kaczmarek: Aber das ist ja jetzt auch schon wieder eine Zeit lang her, und die politische Situation hat sich total verändert. Wir haben eine ganz tiefgreifende Krise, die alle unsere Bereiche von Gesellschaft und Politik und Wirtschaft erfasst, und mit der müssen wir umgehen. Da hat sich gerade bewährt, dass mit Olaf Scholz ein stabiler Anker, von dem man weiß, was er tut, der auch berechenbar und verlässlich ist, dass der an dieser Stelle Verantwortung trägt. Deswegen haben wir jetzt eine andere Lage, und es interessiert ja auch am Wahltag nicht nur, was vor anderthalb Jahren war, sondern wer dann die besten Konzepte für die Zukunft präsentiert.

Deutschlandfunk

Warum überhaupt einen SPD-Kanzlerkandidaten?

Schließlich ist auch Scholz und seinen Anhängern klar, dass seine Aufrufung zur Kanzlerkandidatur mehr als ein Jahr vor dem regulären Wahltermin ein symbolischer Akt ist. Viele fragen, warum eine Partei, die in Umfragen weit unter 20 % liegt, überhaupt einen Kanzlerkandidaten braucht.

Esken sorgte mit ihrer Erklärung, die SPD würde auch unter einem Bundeskanzler der Grünen ein Bündnis nicht ausschließen, für Unmut in der Partei. Es macht sich natürlich nicht gut, wenn man gleich am Beginn des Wahlkampfs so ehrlich ist, zuzugeben, dass die Grünen vor der SPD liegen könnten.

Nun haben sich die Grünen noch nicht einmal über ihre Kanzlerkandidatur geeinigt und noch weniger geklärt, ob sie ein Bündnis mit der SPD überhaupt wollen. Der Trend dort geht da hin, endlich das lange favorisierte Bündnis mit der Union zu wagen, das auch von den modernen Kapitalfraktionen sehr gerne gesehen wird. Die Union hat in Fragen beispielsweise bei der Einwanderungs- oder Identitätspolitik manche konservative Positionen geräumt, weil sie eben nicht mit den Interessen des digitalen Kapitalismus kompatibel sind.

Esken hat dann auch noch erklärt, sie könne sich auch ein Bündnis mit der Linken vorstellen. Nicht nur der FDP-Vorsitzende Lindner, sondern auch der Publizist Albrecht von Lucke, der die SPD gut genug kennt, dass er bereits vor einem Jahr auf Scholz setzte, sieht hier einen Widerspruch zur Kanzlerkandidatur des Schröder-Mannes Scholz.

Doch sie sind alle zu sehr auf die angeblichen Widersprüche in der SPD fixiert. Die einen wollen die "wahren" linken Sozialdemokraten immer wieder suchen, die anderen wollen skandalisieren, dass ein rechter Sozialdemokrat angeblich ein linkes Programm vertreten soll. Dabei hat sich immer gezeigt, was sozialdemokratischen Beteuerungen wert sind, wenn es um den Erhalt von Ministerposten geht.

Hat noch jemand Erinnerung, mit welcher Verve noch in der Nacht der letzten Wahl Nahles und Schulz die SPD in die Opposition führen wollten und die gleichen Personen die SPD dann mit ebenso großer Verve wieder in die Regierung führten? Dann wurde die Wahl von Esken/Borjans als Anfang vom Ende der Regierung mit der Union gewertet.

Davon war aber nicht mehr die Rede, seit sie amtieren. Nun könnte sich ein "NOlaf-Bündnis", das sich gegen Scholz richtet, zum Hoffnungsträger von jenen entwickeln, die noch immer auf der Suche nach den linken Sozialdemokraten sind. Kaczmarek zumindest wollte keine SPD-Repräsentanten dort entdecken.