Israel und Vereinigte Emirate: "Annexion des Westjordanlands temporär ausgesetzt"

Mohammed bin Zayed Al-Nahyan. Archivbild: Imre Solt/CC BY-SA 3.0

Der Fahrplan zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und einem arabischen Staat: Trump und Netanjahu als Kandidaten für den Friedensnobelpreis?

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Hält man die laufende Geschichtsschreibung für einen Moment an, so zeigt man uns, am Tag nach dem Emirate-Israel-Deal, zwei "historische Helden": Donald Trump und Benjamin Netanjahu.

Auf der Webseite des Nachrichtensenders ntv ist man der Meinung, dass Trump nun den Friedensnobelpreis verdient hätte. Ein paar Meldungen weiter unten erfährt der Leser, dass derselbe Politiker gerade mit der Blockade der Briefwahl drohe.

Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird in einer Winner-Loser-Analyse von Times of Israel auf die Höhe zweier früherer Preisträger gestellt: "Nun betritt er den exklusiven Pantheon israelischer Regierungschefs, die einen Vertrag mit einem arabischen Staat unterzeichnet haben, und reiht sich ein in den Rang von Menachem Begin und Jitzchak Rabin." Begin erhielt den Nobelpreis zusammen mit Anwar al-Sadat 1978. Rabin erhielt ihn 1994 zusammen mit Schimon Peres und Jassir Arafat.

Bevor die Vereinbarung zwischen Israel und den VAE, der "Friedensdeal" (Spiegel), gestern bekannt wurde, machten weder Trump noch Netanjahu gute Figur.

Für beide kommt der diplomatische Erfolg zu einem günstigen Zeitpunkt. Trump braucht Aufwind im Wahlkampf, Netanjahu ist eigentlich dauernd im Wahlkampf. Die Korruptionsaffäre und wütende Proteste der jüngsten Zeit ließen ihn nicht gut aussehen. Er kann nun durch den Deal punkten. Auch wenn der wiederum zu Protesten, diesmal seitens der Siedler und der Rechten, geführt hat, so kann er daraus politisches Ansehen ziehen. Er wird als Staatsmann gefeiert, es zählt das große Ergebnis. Dem euphorischen Ton vieler Schlagzeilen zum Trotz gibt es dazu aber sehr unterschiedliche Auffassungen.

Für Netanjahu ist die Vereinbarung mit den VAE der Beginn "einer neuen Ära israelischer Beziehungen mit arabischen Staaten" an: Die Normalisierung der Verhältnisse. Der Vereinbarung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sollen weitere "arabische und muslimische Länder" folgen, so Netanjahu. In unterschiedlichen Veröffentlichungen wird zum Beispiel Bahrain genannt. Auch aus Saudi-Arabien sollen unterstützende Signale gekommen sein.

Zwischen Saudi-Arabien, den VAE und Israel war es in den letzten Jahren zu einer Annäherung gekommen. So gesehen überrascht der "diplomatische Durchbruch", wie es in dem Statement heißt, nicht. Es bestätigt eine Realität und doch macht es einen Unterschied, ob das offiziell dokumentiert wird. Dass die VAE die Vorreiterrolle übernahmen und sich Saudi-Arabien im Hintergrund hält, aller Wahrscheinlichkeit nach aber den Schritt abgesprochen und gutgeheißen hat, signalisiert, dass damit ein Risiko verbunden ist, innenpolitisch und in der Region.

Geisterrolle für die Palästinenser

Die Palästinenser spielen in dem Deal - wie laut einer Studie in israelischen Lehrplänen zur Besatzung im Westjordanland - eine Geisterrolle. Sie sind Verhandlungsgegenstand, keine Verhandlungspartner.

Es hat sich in den letzten Jahren einiges in der Wahrnehmung der Palästinenser geändert und damit auch die politischen Abwägungen. Mussten arabische Staaten, die eine offizielle Verabredung mit Israel zur Normalisierung der Verhältnisse eingehen würden, früher mit großem Protest, die sich zu schwer kontrollierbaren Unruhen ausweiten könnten, rechnen, so fürchten die Golfstaaten seit den 2011 anderes. "Islamismus und Iran", so der Golfstaaten-Experte Kristian Ulrichsen. Die Abwägung würde demnach lauten, dass eine Verbindung mit Israel mehr Sicherheit garantiert als Verbindungen mit radikalen Islamisten aus dem Widerstandslager gegen Israel.

Die diplomatische Annäherung zwischen den Golfstaaten und Israel werde jedoch auch die Kluft zwischen den Antagonisten vertiefen, argumentiert ein früherer Leiter des B’Tselem-Büros in den USA und Co-Chef der Jewish Voice for Peace, Mitchell Plitnick, da die Palästinenser nun noch weniger Hoffnung haben, dass sie von diplomatischen Verhandlungen etwas zu erwarten haben. Das werde Verhärtung und Militarisierung zur Folge haben, zumal es in der arabischen Bevölkerung mehrheitlich eine Unterstützung für Forderungen der Palästinenser gibt, die mit der Normalisierung politisch ein sehr viel geringeres Gewicht bekommen. Insbesondere in Jordanien könnte eine Annexion des Westjordanlandes zu einer Destabilisierung führen.

Wie lange bleibt die Annexion ausgesetzt?

Bei der Frage der Annexion gibt es eine Unklarheit. Sie ist mit der Vereinbarung nicht vom Tisch, sondern nur aufgeschoben. Ein ungenannter ranghoher israelischer Vertreter wird von Times of Israel damit zitiert, dass Israel der Annexion von Teilen der Westbank verpflichtet bleibe und die Trump-Administration lediglich darum gebeten habe, dass deren Ankündigung für einen Zeitraum ausgesetzt werde, weil die historische Vereinbarung mit den VAE Vorrang habe. Auch Netanjahu wird ähnlich zitiert, er bleibe "der israelischen Souveränität in Judea und Samaria verpflichtet", aber das gehe nur in Koordination mit den Vereinigten Staaten, Trump habe einen "temporären Stopp" gefordert.

Wie lange die Annexion aufgeschoben ist, gehört zu den fluiden Angelegenheiten des Deals ebenso wie die konkrete Umsetzung einer Normalisierung. Wie Verhandlungspartner Muhammad bin Zayid Al Nahyan, der Kronprinz von Abu Dhabi und stellvertretender Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate, über Twitter mitteilt wurde der Deal per Telefon abgemacht - nicht über eine feierliche Unterzeichnung eines Abkommens -, mit der Absicht, "die weitere Annexion von palästinensischem Territorium zu stoppen und einen Fahrplan aufzustellen, der in Richtung der Schaffung einer bilateralen Beziehung geht".

Das zeigt eine gewisse Vorsicht an und Spielräume, die man sich aufseiten der VAE offiziell offenhalten will, je nachdem, wie die Reaktion auf die Vereinbarung aussieht, die gestern und heute als große Nachricht um die Welt ging. Die Telefonaktion war allerdings keine spontane, die Vereinbarung wurde seit Juni durch mehrere Treffen und mit Beteiligung des Mossad vorbereitet.