Guns 'n Protests

Bild: Michael Saechang (CC BY-SA 2.0)

Ein Rekordjahr für Waffenverkäufe in den USA. Händler und Hersteller profitieren von Panikkäufen, Protesten und der Pandemie-Hilfe

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In einem Jahr, das in den USA wie sonst nirgendwo auf der Welt geprägt ist von Coronavirus-Ängsten, einem Wirtschaftseinbruch mit Millionen von Arbeitslosen und landesweiten Protestmärschen, die ein Ende des systemischen Rassismus fordern, wollen sich immer mehr Menschen bewaffnen. Zwar zeigen Daten des FBI zu den Hintergrundüberprüfungen ("background checks") seit Jahren steigende Zahlen, doch dieses Jahr zeichnet sich bereits ein neuer Rekord ab. Laut den jüngsten Daten des National Instant Criminal Background Check (NICS) des FBI wurden dieses Jahr so viele Hintergrundüberprüfungen für Waffenkäufe gemacht wie nie zuvor in einem vergleichbaren Zeitraum.

Die Amerikaner haben im Juni mit 3,9 Millionen background checks einen neuen Rekord aufgestellt. Damit wurde der im März erreichte bisherige Höchstwert in einem Monat seit dessen Einführung im Jahr 1998 eingestellt. Der Juli verlief nicht anders: erneut 3,7 Millionen. Laut einer Top-10 Statistik der NCIS über die meisten background checks pro Woche belegt das Jahr 2020 acht der zehn Plätze: vier im Juni, zwei im Juli und zwei im März. In jeweils einer Woche nach dem Amoklauf an der Sandy Hook Grundschule im Jahr 2012 und nach dem Terroranschlag in San Bernardino im Jahr 2015 gab es einen ähnlich großen Run auf die Waffengeschäfte.

Bild: TP

Dieses Jahr war es zunächst die Pandemie samt Wirtschaftseinbruch, explodierenden Arbeitslosenzahlen sowie Angst vor Lock- und Shutdown, die die US-Bürger an den Waffengeschäften Schlange stehen ließ. Die Zahlen vom Juni und Juli zeugen allerdings auch von einem anderen Motivator: Die teils eskalierenden Massenproteste samt Plünderungen sowie der eskalierenden Polizeigewalt in den Straßen Portlands im Juni und Juli sorgten wohl für einen großen Wunsch nach Selbstverteidigung.

Insgesamt wurden dieses Jahr über 22.819.271 Background Checks durchgeführt. Bei einem Drittel ging es um den Verkauf von Handfeuerwaffen, insgesamt 7.188.053 und damit bereits mehr als im gesamten letzten Jahr. Bei weiteren 3.715.173 background checks war der Verkauf eines Gewehrs der Grund. Von den background checks sind allerdings private Verkäufe, einschließlich durch Waffenschauen, Online-Marktplätze oder soziale Medien ausgenommen und solche Waffenverkäufe werden nicht vom FBI erfasst. Schätzungsweise erfolgt jeder fünfte Waffenkauf in Amerika ohne eine solche Hintergrundsüberprüfung.

Das macht es schwierig Aussagen darüber zu treffen, wie viele Menschen zu Erstkäufern zählen. Laut eines Berichts der National Shooting Sports Foundation (NSSF), neben der NRA die wichtigste Lobby-Gruppe der Schusswaffenindustrie, zu der rund 8000 Waffen- und Munitionshersteller und -händler zählen, sollen es allein in der ersten Hälfte des Jahres 2,5 Millionen Menschen sein, die das erste Mal eine Waffe gekauft haben.

Die Zahl der Erstkäufer ist so hoch, dass es bereits Diskussionen darüber gibt, ob mit ihr auch die Zahl jener steigt, die in Zukunft striktere Waffengesetze ablehnen werden. Denn sowohl der designierte Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten Joe Biden als auch seine "Running Mate" Kamala Harris wollen sich für schärfere Waffengesetze einsetzen, etwa dem "Verbot der Herstellung und des Verkaufs von Sturmwaffen und Magazinen mit hohem Fassungsvermögen".

"Wir warten nicht auf gute Ideen - wir haben gute Ideen. Wir warten nicht auf eine weitere Tragödie - wir haben die schlimmsten menschlichen Tragödien gesehen, die wir uns vorstellen können. Was fehlt, ist, dass die Politiker in Washington den Mut haben, der NRA die Stirn zu bieten", schrieb Harris in einer Grundsatzerklärung auf ihrer Kampagnen-Website.

Corona-Hilfe für Waffenhändler und -hersteller

Viele Waffengeschäfte beklagen bereits, über nicht genug Inventar zu verfügen, um der Nachfrage gerecht zu werden. Jim Bartol, Präsident des in Pennsylvania ansässigen regionalen Großhändlers Accuflite, sagte gegenüber The Trace, er habe in seiner 43-jährigen Karriere "so etwas noch nie gesehen" - "nicht einmal annähernd". Accuflite habe noch nie so schnell mehrere Marken von Handfeuerwaffen (einschließlich Glock und Taurus) und alle seine Gewehre ausverkauft. Bryan Tucker, der CEO von Davidson's, einem der größten Waffenhändler des Landes, sagte, dass sein Unternehmen seit März alle Produkte, die es erhält, sofort ausliefern könne. Er bezeichnete die derzeitige Nachfrage nach Schusswaffen als die stärkste, die er in seinen fast vier Jahrzehnten in der Branche erlebt habe. Die Stimmung werde auch von kleineren regionalen Händlern geteilt. Allerdings mache sich auch bei Waffengeschäften die Sorge breit, dass potentielle Käufer sich an Online-Shops wenden, wenn die Nachfrage nicht bedient werden könne.

Viele dieser Unternehmen wandten sich auch an die Darlehen des Paycheck Protection Program (PPP). The Trace identifizierte mehr als 200 lizenzierte Schusswaffenhändler, die durch das Darlehensprogramm Geld erhielten, wobei die Auszahlungen insgesamt zwischen 57 und 137 Millionen Dollar lagen. Die Unternehmen - bei denen es sich mehrheitlich um Eisenwaren- und Sportartikelgeschäfte und nicht um eigenständige Waffengeschäfte handelt - berichteten, dass sie durch die Gelder fast 10.000 Arbeitsplätze erhalten konnten.

Das Paycheck Protection Program (PPP) ist ein Darlehensprogramm im Rahmen des Zwei-Billionen-Dollar-Konjunkturpakets "Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security Act" (CARES Act) der US-Regierung. Das Programm bietet kleineren Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern Darlehen. Diese müsse unter bestimmten Bedingungen nicht zurückgezahlt werden. Waffenhersteller erhielten ebenfalls PPP-Darlehen in Höhe von mehreren zehn Millionen Dollar. The Trace identifizierte mehr als 50 Hersteller von Waffen und Waffenzubehör, die solche Kredite erhielten, die sich insgesamt auf bis zu 75 Millionen Dollar beliefen. Die Unternehmen berichteten laut The Trace, dass sie mehr als 3.000 Arbeitsplätze erhalten konnten, die andernfalls verloren gegangen wären, obwohl die Schusswaffenverkäufe die letzten Monate Rekordhöhen erreichten.