Menschenzukunft: Prüfstein Atombombe

The "Baker" explosion - Atomwaffentest, Bikini-Atoll, 25. Juli 1946. Bild: US-Verteidigungsministerium

Das Ende der nuklearen Heilslehre wäre ein Lackmustest, der die Liebhaber des Lebens erkennbar macht und eine neue Politik einleiten könnte - ein "Planspiel" zum Antikriegstag

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Müdigkeit stellt sich ein bei vielen, die sich noch bekümmern lassen. Seit Jahrzehnten können wir Woche für Woche verfolgen, wie die Dogmen eines destruktiven Zivilisationsmodells den dringlichen Paradigmenwechsel in Weltgesellschaft, Politik, Ökonomie, Technologie, Wissenschaft und Kultur sabotieren.

Ein wenig Ökologie und Klimagerechtigkeit müssen freilich auch konservative Kandidaten heute auf ihre Plakate schreiben, die gestern noch "Vorfahrt für die freie Wirtschaft" verkündeten. Am maßgeblichen Kurs ändert sich hierdurch rein gar nichts.

Insbesondere ist zum Antikriegstag 2020 erneut Klage darüber zu führen, dass Deutschland sich im dritten Jahrtausend mitnichten auszeichnet durch einen überzeugenden "Dienst am Frieden in der Welt" (Präambel Grundgesetz), der im Kontext neuer Allianzen an der Vision von Vereinten Nationen (1945!) festhält und zugleich Perspektiven für eine global vernetzte Antwort auf den menschengemachten Klimawandel eröffnet.

Soll eine neue Politik zugunsten der jungen und der noch nicht geborenen Mitglieder der menschlichen Familie erst - zu spät - kommen, wenn die Akteure der real existierenden "Politik des Weiter so" schon im Himmel oder unter der Erde sind? Zahlreich sind die Versuchungen, sich der Traurigkeit zu ergeben oder in esoterische Wahngebilde zu flüchten. Wer wälzt uns den Stein vom Grab der Vergeblichkeiten?

Angesichts der schier endlosen Schauplätze des Aberwitzes bräuchten wir ein konkretes politisches Projekt, das die menschenverachtenden Abgründe in einer auch "symbolträchtigen" Weise anschaulich macht, zugleich die Liebhaber/innen des Lebens in einer Bewegung zusammenführt und die Anbeter des Todes nötigt, Farbe zu bekennen.

Weniges scheint hierbei gegenwärtig so sehr geeignet zu sein wie ein breites gesellschaftliches Bündnis zur Beendigung der deutschen Atombombenteilhabe. In den bundesweiten Zusammenschlüssen der Friedensbewegung steht dieses Anliegen 75 Jahre nach Hiroshima ohnehin überall oben auf der Agenda.

Der politische Fetisch des Todes

Solange es Konzerne mit profitabler Militärproduktion gibt, ist Friedenspolitik nicht denkbar. Die "Bombe" aber führt uns in besonderer Weise die selbstmörderischen Potenzen des homo sapiens vor Augen. Es gibt keinen Fetisch, in dem sich die auf Allmachtwahn und Konkurrenz basierenden Todesstrukturen der vom Patriarchat gelenkten Zivilisationsrichtung so verdichten.

Hervorgebracht hat diesen Fetisch eine Beherrschungswissenschaft, die glaubt, die menschliche Großhirnrinde sei dazu da, etwas zu erfinden, das in kürzester Zeit möglichst viele Mitglieder der eigenen Gattung vernichtet, den Überlebenden endloses Leiden bereitet und Lebensräume unbewohnbar macht.

In Hiroshima und Nagasaki wurde in Sekundenschnelle der augenblickliche oder langsame Tod von am Ende mehr als 300.000 Menschen bewerkstelligt. (Die Logistik zur wissenschaftlichen Überprüfung dieser bahnbrechenden Militärleistung stand bereit.) Bei Kriegen schon mit sogenannten "Mini-Atombomben", die als taktische Waffen nunmehr zur Verfügung stehen, wären heute Opferzahlen nur in Millionenhöhe zu zählen. Man kann aber, je nach Neigung, auch ganze Kontinente ausrotten.

Wagemutige Geschichtsphilosophen priesen die Bombe, denn sie erzwinge eine Weltzivilisation ohne Krieg und vollende somit auf paradoxe Weise die Menschwerdung des Menschen. Anzeichen hierfür sind freilich nirgendwo ansichtig - im Gegensatz zu den ökologischen Verheerungen durch Herstellung und Testung von Nuklearwaffen seit dem 2. Weltkrieg. (Im globalen Maßstab hat sich die Bombe - wie erwartet - als ultimative Attacke auf das demokratische Ideal von Diskurs und Kooperation erwiesen.)

Platonische Staatstheologen ersonnen andererseits Szenarien, die den atomaren Massenmord oder gar eine Totalauslöschung der Menschheit als ein alternativloses Werk zur höheren "Ehre Gottes" denkbar machen sollten. Für faschistoide "Christentümer" in den USA und anderswo ist in dieser Hinsicht auch heute noch alles möglich.

Die Bombe kommt aus dem Irrenhaus, und so darf es uns nicht verwundern, wenn ihre Apologeten in psychiatrischer Hinsicht auffällig werden.

Die Stör- und Unglücksfälle in den wenigen Jahrzehnten seit 1945 bewogen selbst versierte Militärs, die Sicherheitssysteme der Bombenzentralen als Roulette-Spiel zu bewerten. Vom "Atomkoffer" im Hause Donald Trump wollen wir an dieser Stelle ganz schweigen. Eine Zivilisation, die Atombomben herstellt, ist nicht unbedingt dazu prädestiniert, vorzugsweise von klugen und menschenfreundlichen Politikern regiert zu werden.

Die Bombe als Label einer Politik für zukünftige "Barbarei"

Kein Fall ist denkbar, in dem Androhung oder gar Durchführung eines Nuklearschlages mit geltendem Völkerrecht vereinbar wären. Doch die römisch-katholische Militärministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist hierzulande offenbar bereit, dem Götzen der Atombombenteilhabe für anstehende "Modernisierungen" (neue atomar bestückbare Kampfjets) bis zu acht Milliarden Euro in den Rachen zu werfen.

In weltweitem Maßstab geht es bei der Fortschreibung des politisch-militärisch-industriellen Nuklearkomplexes aller "Blöcke" um ein Hundertfaches, das der menschlichen Gesellschaft auf diesem Planeten geraubt werden soll und dann in den Budgets zur Lösung der drängenden Überlebensfragen fehlt. Die der irrationalen Macht- und Angstpolitik verhafteten, sich selbst als "pragmatisch" verstehenden Parlamentarier machen Gründe geltend, warum Deutschland im Boot der Bombe bleiben müsse. Doch diese "Argumente" halten schon im Rahmen der Logik ihrer eigenen politischen Schulrichtung nicht stand.

Es ist spät, sehr spät in unserer Welt. Wer noch immer an der Bombe festhält und in ihr sein Heil sucht, hat sich bezogen auf eine Politik für die nach uns Kommenden selbst disqualifiziert. Der vierte Weltkrieg, in dem Albert Einstein zufolge die nach einem dritten "militärischen Gesamtkunstwerk" verbliebene Weltbevölkerung wieder mit Knüppeln und Steinen ihre Konflikte austrägt, ist denkbar - heute leider unter größerer Besorgnis als noch vor 30 Jahren.

Die Bombe ist das "Label" derjenigen, die ein neues, zukunftsfähiges Paradigma jenseits von "Barbarei im Klimawandel" und Hochrüstung zum Tode sabotieren. Wer unverdrossen Milliarden in Vernichtungstechnologien investiert, muss im öffentlichen Raum endlich als unzurechnungsfähig gelten.

Den Krieg gemäß der Weisung des Erasmus von Rotterdam zu verlästern und der Bombe die Anbetung zu verweigern, das kann andererseits zum verbindenden Erkennungszeichen aller werden, die einen neuen - radikal menschlichen und rationalen - Kurs Richtung Leben einschlagen.