Bayern: Polizei greift auf Corona-Gästelisten zu

Daten, erhoben zum Schutz vor Corona, werden zweckentfremdet auch zur Ermittlung genutzt

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Es geht nur um eine relativ kleine Anzahl von Fällen, aber das Vorgehen der bayerischen Polizei mit den "Corona-Gästelisten" gibt all jenen Recht, die gegen die Vorratsdatenspeicherung argumentieren und kämpfen. Die Listen, die in Gaststätten ausliegen, um gegebenenfalls Infektionswege zurückzuverfolgen, wurden von der Polizei für Ermittlungen zu Kleinkriminalität genutzt, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Interessant ist die Mitteilung des bayerischen Innenministeriums auch deshalb, weil es bei insgesamt 24 Zugriffen auf die Gaststättenlisten um "repressive" wie auch "präventiv-polizeiliche" Verfahren gegangen sei. "Präventiv" ist das Schlüsselwort für einen Handlungsspielraum der Polizei mit neu verschobenen Grenzen, die zu bestimmen hauptsächlich dem Verdacht der Ermittler obliegt. Dass das bayerische Polizeigesetz starken Widerstand hervorrief, lag wesentlich auch daran, dass darin Präventiv-Kompetenzen erheblich ausgeweitet wurden.

Solche Befugniserweiterungen, die Grundgesetze unterhöhlen, unterstellen ein Vertrauen auf eine Polizeiarbeit, die sich an bestimmte Vorgaben hält, zum Beispiel an solche, die sie selbst aufstellt. Im Fall des Zugriffs auf Corona-Gästelisten wurde das anders kommuniziert, wie der Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, Thomas Geppert, der SZ Mitte Juli mitteilte.

Da wurde noch von Ermittlungsverfahren wegen schwerwiegender Straftaten gesprochen, die den Zugriff auf die Gästedaten begründeten. Tötungsdelikte wurden als Beispiel genannt, aber auch von einem "Rauschgiftfall", bei dem Fahnder eine Gästeliste angefordert haben, war die Rede. Das Spektrum bei der Rauschgiftkriminalität ist bekanntlich recht weit gesteckt, es reicht von Bagatellen bis zur organisierten Großkriminalität.

Im Hinterkopf hat man bei solchen vagen "Infos" die Vorwürfe, wonach Ausweitungen von polizeilichen Kompetenzen, ob in Frankreich durch den langen Ausnahmezustand infolge der Terroranschläge oder bei der Fahndung über gespeicherte Vorratsdaten, nicht unbedingt, wie postuliert, zum Schlag gegen Terroristen und Großverbrechertum genutzt werden, sondern auch opportun gegen politisch Missliebige und bei kleineren Gesetzesverstößen.

Bei den erwähnten 24 Fällen, bei denen bayerische Polizeiermittlungen auf Adresslisten von Gastronomen zurückgegriffen haben, "finden sich in der Liste durchaus weniger gravierende Straftaten: wie Beleidigung, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und Diebstahl. Drei Fälle betrafen Vermisstensuchen", schreibt die SZ.

Die Informationen bezieht sie aus einem Antwortschreiben des bayerischen Innenministeriums auf eine Anfrage des FDP-Fraktionsvorsitzenden Martin Hagen. Erwähnt werden dort auch die schwerwiegenden Fälle "bandenmäßiger Drogenhandel, Mord und Totschlag, schwerer Raub oder gefährliche Körperverletzung".

Wie das Verhältnis der schweren Fälle zu den weniger gravierenden zahlenmäßig genau aussieht, geht aus dem Bericht nicht hervor. Erwähnt wird aber sehr wohl, dass sich die Begründung, die der bayrische Innenminister Joachim Herrmann zur Kritik am Zugriff auf die Gästelisten lieferte, auf "schwere Straftaten und Notfälle als Anlass" bezog. Da nimmt man dann kleinere Vergehen einfach mit bei der Selbstbedienung aus dem Datenkorb?

Die Herrmannsche Begründung ist jedenfalls ein Musterbeispiel dafür, dass sich die bayerische CSU-Regierung grundsätzlich noch immer auf einer Kanzel wähnt, wo über Köpfe hinweg mehr gepredigt und belehrt wird, statt aufzuklären. Joachim Herrmann (CSU) habe betont, der Bürger erwarte, dass die Polizei im Rahmen der Rechtsordnung alles zu seinem Schutz unternehme und "nicht unter dem Deckmäntelchen eines falsch verstandenen Datenschutzes die Hände in den Schoß legt".