Besser selbst die Verfassung schützen

Die deutschen Geheimdienste BND, MAD und Verfassungsschutz haben eines gemeinsam. Immer dann, wenn sie mal wieder knietief im meist selbst produzierten braunen Morast waten oder ihnen Gesetzesbrüche nachgewiesen wurden, kommt ihnen die Politik zur Hilfe - Teil 1

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Dabei ist eines sicher - ein demokratischer Rechtsstaat, in dem sich auch die Regierung an die eigenen Gesetze hält, braucht keinen Geheimdienst. Geheimdienste braucht man nur, wenn staatliches Handeln außerhalb der Legalität ermöglicht werden soll. Vor Gericht entscheiden die Dienste, ob und was sie oder ihre oft kriminellen Zuträger aussagen. Ich habe erlebt, dass ein solcher "V-Mann" eines Geheimdienstes vor Gericht in seiner eigenen Verhandlung keine vollständigen Angaben zur eigenen Person machen durfte.

Es ist natürlich Sache des Gerichts, solchen Unfug mit zu machen oder juristisch dagegen vor zu gehen. Aber RichterInnen, die besonders viel Verständnis für die Befindlichkeiten von Nachrichtendiensten aufbringen, werden auch schnell mal Justizministerin zum Beispiel in Niedersachsen.

In den Parlamenten werden oftmals aus jenen, die die Geheimdienste eigentlich kontrollieren sollten, schon oft nach wenigen Jahren deren Fürsprecher, kaum noch zu unterscheiden von PR-Beratern oder Pressesprechern (Hartmanns Erzählungen). Von einer kritischen Distanz ist dann nichts mehr zu spüren, von Kontrollwillen ganz zu schweigen. Auch von den "Terrorismusexperten" der öffentlich-rechtlichen Sender sind viele Mitglied im "Gesprächskreis Nachrichtendienste". Erzähle mir niemand, dass das sich nicht in der Berichterstattung oder Nicht-Berichterstattung niederschlägt.

Den Teufel mit dem Belzebub …

Manchmal treibt die Liebe und Zuneigung mancher Politiker zu den Geheimdiensten seltsame Blüten. Da kommt im rot-rot-grün regierten Berlin der Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf die Idee, der Rechtslastigkeit in der Berliner Polizei dadurch zu begegnen, in dem er künftig Bewerber ausgerechnet vom Verfassungsschutz überprüfen lassen will. Auch intern soll es der Verfassungsschutz richten. So heißt es in einer Pressemitteilung des Innensenators über einen 11 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog unter 3:

Beratung durch den Berliner Verfassungsschutz
Sofern bei einer Dienststelle tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, dass Dienstkräfte Bestrebungen unternehmen oder unterstützen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind die entsprechenden Informationen unter Wahrung von § 45 Abs. 1 GGO I auch der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung II der Senatsverwaltung für Inneres und Sport mitzuteilen.

Dabei ist es alles andere als geheim, dass die Berliner Polizei seit Jahrzehnten ein Problem mit rechter Gesinnung hat. Die Berliner Polizei macht in weiten Teilen den Eindruck, als sei sie niemals entnazifiziert worden. Rechtes Gedankengut als Grundhaltung setzt sich über Generationen fort.

Immerhin, im Berliner Abgeordnetenhaus sorgt das Vorhaben des Innensenators innerhalb der Koalition für Diskussion. Der innenpolitische Sprecher der Linken Fraktion, Niklas Schrader, teilte auf Anfrage von Telepolis mit:

Das Vorhaben des Innensenators, Polizeianwärter vom VS überprüfen zu lassen, halten wir für keine gute Idee und haben es auch kritisiert. Der VS hat ohnehin meist nur oberflächliche Kenntnisse der extrem rechten Szene. Außerdem sehe ich die Gefahr eines Rückschritts in die Zeiten des Radikalenerlasses in den 1970er Jahren. Wir führen mit der SPD immer wieder Konflikte über den Umgang und die Finanzierung des Verfassungsschutzes. Dies ist einer davon.

Niklas Schrader

Seitens des innenpolitischen Sprechers der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux heißt es:

Ich/wir sehen die Beteiligung des VS bei der Einstellung von PolizistInnen sehr kritisch und haben dazu noch Gesprächsbedarf mit dem Innensenator.

Benedikt Lux

Man darf gespannt sein, was weiter geschieht. Zwischenzeitlich erklärte auch Lorenz Caffier (CDU), Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, er wolle "alle Polizeibewerber vom Verfassungsschutz überprüfen lassen".

Neue Begehrlichkeiten der Schlapphüte

Zum 70. Jahrestag der Verkündigung des Grundgesetzes forderten mehrere Verfassungsschutz-Chefs im Mai 2020, mehr Kompetenzen und eine Aufhebung des Trennungsgebots zwischen Verfassungsschutz und Polizei. So erklärte Lorenz Caffier: Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz sei "mitunter ein enormes Hindernis" bei der Zusammenarbeit." Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß forderte ein "modifiziertes Trennungsgebot" zwischen Ermittlungsbehörden und Nachrichtendiensten: "Kein Land weltweit hat diese strikte Trennung mindestens in Bezug auf die Informationsübermittlung zwischen Polizei und Verfassungsschutz."

Das bedeutet, der Verfassungsschutz wird weiter aufgerüstet und von den politisch Verantwortlichen in unverantwortlicher Weise mit immer mehr Macht und Einfluss bedacht. Dabei liefern die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz seit Jahrzehnten immer nur eines: Weitere Gründe dafür, sie aufzulösen und somit den Schutz der Verfassung ernst zu nehmen und diese Demokratiegefährdung endlich zu beenden.

Ein Beispiel: Die Rolle des Verfassungsschutzes im "Kampf gegen Rechts". Die Verfassungsschutzämter haben alles getan, um rechtsextreme und neo-faschistische Organisationen in ihrer Existenz zu sichern. So konnte etwa die NPD über Jahrzehnte hin nur deshalb existieren, weil der Verfassungsschutz die Partei finanzierte. Dies geschah über ganze Scharen an V-Leuten, die teilweise in höchsten Parteiämtern saßen und vom Verfassungsschutz für ihre "Berichte" fürstlich entlohnt wurden. Es verwundert nicht weiter, dass nun AfD-Mitglieder geradezu Schlange stehen, um sich vom Verfassungsschutz "anwerben" zu lassen.

Andreas Foerster stellte in einem Artikel im "Freitag" 2016 die Frage "Hätte die Entstehung fester Strukturen in der Naziszene ohne den Verfassungsschutz vielleicht sogar verhindert werden können? Vieles deutet darauf hin." Foerster schrieb weiter:

Trotz oder gerade wegen der vom Verfassungsschutz geduldeten und mit Steuergeldern alimentierten Aktivitäten dieser "Steuerungsagenten" des Verfassungsschutzes konnte eine kleine rechte Terrortruppe 13 Jahre lang unentdeckt raubend und mordend durchs Land ziehen. Damit trägt der Geheimdienst eine Mitschuld an den Verbrechen des NSU. Die Lehre aus dem NSU-Desaster ist daher, dass das Konzept einer Steuerung der rechten Szene von innen nicht funktionieren kann. Wenn (der) Bundesamt für Verfassungsschutz-Chef Maaßen das nicht erkennen möchte, dann zeigt das einmal mehr, dass er der falsche Mann an der Spitze des Verfassungsschutzes ist.

Andreas Foerster

Wie recht er mit seiner Bewertung des damaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Maaßen hatte, sollte sich später noch deutlicher zeigen.

Erfahrene Lügner machen Karriere

Wie Verfassungsschutz-Karrieren laufen können, zeigte der Fall des Verfassungsschätzers Peter Nocken, der unter dem Decknamen "Nordmann" zunächst für das Hessische Landesamt tätig war. In Hessen war Nocken alias Nordmann an der Erfindung des vermeintlichen Kronzeugen Siegfried Nonne beteiligt, der dem Verfassungsschutz und dem damaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl dazu dienen sollte, den von bis heute Unbekannten ermordeten Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen als Opfer der " RAF" dazustellen.

Die Fernseh-Sendung "Brennpunkt" berichtete über die "Zerstörung der RAF-Legende". Dabei kam die Sprache auch auf den hessischen Verfassungsschützer Peter Nocken, alias Nordmann. Peter Nocken bestätigte im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss, dass er als "Nordmann" zuvor in Hessen tätig war. Im Thüringer Landtag wurde er vernommen, weil er als inzwischen Stellvertretender Chef des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz mit verantwortlich war für die Unterstützung der Neonazis beim Aufbau des "Thüringer Heimatschutz", aus dem der "National-Sozialistische-Untergrund" (NSU) entsprang.

Das Beispiel Nocken zeigt, dass Beamte, die die Parlamentarier und die Öffentlichkeit betrügen und belügen, damit auch noch Karriere machen - wenn es sich denn um Angehörige von Nachrichtendiensten handelt.

Auch "Nordmanns" Chef machte Karriere. Heinz Fromm stieg auf, vom Präsident des Hessischen Landesamtes zum Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dort musste er allerdings zurücktreten, weil er die Politiker nicht rechtzeitig und umfassend über seine Kenntnisse und Verwicklungen in den NSU-Komplex informiert hatte.

Im Zuge der NSU-Verstrickungen sollte der Verfassungsschutz mal wieder reformiert werden. Der damalige Präsident Maaßen versprach, dass der Dienst "sich selbst reformieren" würde. Tatsächlich bekam der Verfassungsschutz erneut mehr Mittel und mehr Personal. Allerdings begann auch eine verstärkte Diskussion darüber, ob man dem Verfassungsschutz überhaupt noch brauche.

Teil 2 demnächst: Verfassungsschutz endlich auflösen.

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