Geht der Kelch der Regierungsbeteiligung noch einmal an der Linken vorbei?

Janine Wissler bewirbt sich für das Amt der Parteivorsitzenden. Bild: © Superbass / CC-BY-SA-4.0

Die Linkspartei sucht ein Führungsduo und muss verhindern, dass alte Streitigkeiten wieder aufbrechen. Die Nawalyn-Affäre konnte zusätzlichen Streit auslösen

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Die hessische Linksparteipolitikerin Janine Wissler war bisher bundesweit wenig bekannt. Das könnte sich ändern. Sie hat sich für das Amt der Parteivorsitzenden beworben.

Kurz nach Wissler hat sich auch Susanne Henning-Wellsow zur Kandidatur bereit erklärt. Das Duo Wissler/Henning-Wellsow dürfte parteiintern viel Sympathie haben. Wissler als gemäßigte Linke und Henning-Wellsow als Vertreterin der Regierungslinken, die für "klare Kante gegen die AfD" bekannt wurde. Mit dem Kampf gegen rechts kann man heute in der Regierungslinken jeden Kompromiss mit den bürgerlichen Kräften rechtfertigen.

Dafür steht die Linkspartei in Thüringen, die gerade in den Wochen bundesweit an Popularität gewonnen hatte, als das kurze Intermezzo des von der AfD mitgewählten FDP-Politikers Kemmerich die Republik kurze Zeit in Aufregung versetzte. Mancherorts hatte man den Eindruck, es gelte eine neue faschistische Machtübernahme zu verhindern. Mit dem Kampf gegen rechts konnte man auch ein außerparlamentarisches Spektrum der Linken überzeugen, die sich eher mit dem Banner Antifa als unter dem Kampf für soziale Themen mobilisieren lässt.

Wie werden die Anhänger von Sahra Wagenknecht reagieren?

Daran sind auch Organisierungsbestrebungen in Teilen der Linkspartei gescheitert, wie sie vor allem von der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht verfolgt wurden. Die von ihr wesentlich mit initiierte Bewegung Aufstehen setzte vorrangig auf soziale Themen.

Schnell wurden die Vorwürfe laut, hier würde auf Wähler der AfD gezielt. Vor allem in der Migrationsfrage würden hier von Wagenknecht und ihren Anhängern rechte Positionen übernommen. Die Kritik von antirassistischen Gruppen war nicht unberechtigt. Es gab von Wagenknecht und ihrem Umfeld immer wieder Äußerungen, die kritisierten, dass im Kapitalismus Menschen aus unterschiedlichen Gründen zur Migration gezwungen sind.

Eine solche linke Migrationskritik, die fordert, dass Menschen auch in ihrer Heimat die Möglichkeit haben müssen, sich ein Leben nach ihren Bedürfnissen aufzubauen, muss unterschieden werden gegenüber rechten Ressentiments, die Geflüchteten höchstens Gastrecht zugestehen wollen. Doch, wenn vor allem von der Realofraktion der Linken gegen Wagenknecht agiert wurde, hatte das nicht nur mit ihren migrationspolitischen Äußerungen zu tun.

Schließlich wird ja auch in Thüringen, dem Modellprojekt der Regierungslinken, abgeschoben. Viele Realos sahen in Wagenknecht und ihren Flügel ein Hindernis für eine Kooperation mit Grünen und Linken. So hatte das ehemalige Mitglied der Kommunistischen Plattform der PDS noch immer den Ruf einer Gegnerin von Regierungsbündnissen, obwohl an ihr auch noch keine Koalition gescheitert wäre.

Die Auseinandersetzung mit den Wagenknecht-Flügel bestimmte zeitweise die achtjährige Tätigkeit des Vorstandsduo Riexinger/Kipping. Der Konflikt schien befriedet, nachdem Wagenknecht den Fraktionssitz abgegeben hat. Dieser mit gesundheitlichen Gründen begründete Schritt wurde auch als Sieg der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger interpretiert.

Mit dem Abtritt der beiden, stellt sich natürlich die Frage, wie die Anhänger von Wagenknecht in der Linken reagieren, die es in vielen Parteigliederungen weiterhin gibt. Wagenknecht sorgt in Talkshows noch immer für Einschaltquoten und bringt auch bei Wahlkampfauftritten Zuhörer auf die Straße. Immer wieder hört man an der Basis der Linken die Klage, die Partei habe ihre erfolgreichste Politikerin ausgegrenzt.

Tatsächlich gibt es dazu auch keine Gegenbeweise, denn große Wahlerfolge hatte die Linkspartei in den letzten Monaten nicht vorzuweisen. Die Wagenknecht-Kritiker kontern, dass dazu auch deren Flügel beigetragen hat, mit ihrer eigenmächtigen Politik und der in der Partei umstrittenen Gründung der Bewegung "Aufstehen".

Jedenfalls wird es allgemein als Fehler eingeschätzt, dass Wagenknecht zum Kopf einer Bewegung wurde, die parteipolitisch unabhängig sein wollte und gleichzeitig hat sie das Amt der Fraktionsvorsitzenden ausgeübt, obwohl in der Faktion die Mehrheit "Aufstehen" nicht unterstützte. Ob sich der Wagenknecht-Flügel mit eigenen Kandidaten zur Parteiführung beteiligt oder eine starke Position für Wagenknecht beim nächsten Bundestagswahlkampf einfordert, ist noch offen.

Niemand will zurück zu den Zeiten, als zwischen den Parteiflügel Krieg herrschte

Zurück zu den Zeiten, als zwischen den unterschiedlichen Parteiflügel regelrechte Feindschaft herrschte, will in der Partei aber niemand. Es wird dem Duo Riexinger-Kipping auch positiv angerechnet, dass sie den innerparteilichen Krieg beendeten.

Vor der Auseinandersetzung mit Wagenknecht sorgte ihr späterer Lebensgefährte Oskar Lafontaine für Zoff in der Partei. Der langjährige SPD-Politiker, ohne den es die Linkspartei gar nicht gäbe, wurde vom Hoffnungsträger bald zum Kontrahenten, vor allem bei den ehemaligen PDS-Funktionären wie Dietmar Bartsch, die sich eigentlich als etwas linkere Variante der SPD sahen und möglichst schnell ankommen wollten im Politikbetrieb.

Lafontaine, der die SPD schließlich aus eigener Erfahrung gut kennt, war da vorsichtiger. Allerdings handelte es sich bei dem Streit um eine Auseinandersetzung unter Sozialdemokraten. Wie Wagenknecht kokettierte auch Lafontaine schon mal Ressentiments gegen Geflüchtete. Als SPD-Politiker war er maßgeblich an der Demontage des bundesdeutschen Asylrechts beteiligt.

Mit der Wahl des Duos Riexinger/Kipping vor 8 Jahren wurde der Streit dieser sozialdemokratischen Funktionäre vorerst beendet. Anfangs musste sich Riexinger noch des Vorwurfs erwehren, er sei lediglich ein Statthalter von Oskar Lafontaine, der vor allem verhinderten wollte, dass Dietmar Bartsch Teil der Parteiführung wird. Doch die Kritiker Riexingers täuschten sich.

Der linke Stuttgarter Gewerkschaftler kam nicht aus dem SPD-Apparat und stand eher für gewerkschaftliche Organisierung als für Parteipolitik. Im Bündnis mit der bewegungsnahen Reformpolitikerin Kipping, repräsentierte Riexinger einen Reformismus, der auch außerparlamentarische Mobilisierung als wichtiges Kampfmittel betrachtet.

Soziales Zentrum statt Parteibüro

Solche Konzepte vertritt auch die Bewegungslinke, die sich im Dezember letzten Jahres gründete und vor allem für jüngere Parteimitglieder attraktiv scheint. Durch den Corona-Lockdown ist allerdings deren Bewegungsradius aktuell recht beschränkt.

In Leipzig steht die Politikerin Juliane Nagel für einen solchen bewegungsnahen Kurs und konnte ein Direktmandat bei den sächsischen Landtagswahlen gewinnen. Dazu hat sicher auch das Konzept beigetragen, aus dem Parteibüro ein soziales Zentrum zu machen, das auch für Initiativen außerhalb der Partie offen steht.

Allerdings gibt es dort nach 20 Jahren auch Bürokratisierungstendenzen. Das Konzept dürfte auch nur in Regionen funktionieren, in der die Linke in der Opposition ist. In Berlin, wo sie mitregiert, bekommt sie in letzter Zeit mehr Gegenwind von stadtpolitischen Initiativen beispielsweise, wenn linke Projekte geräumt werden oder bei der Frage, welche Macht finanzschwere Investoren in der Stadt haben.