Nawalny: Nebelkerzen auf allen Seiten

OPCW-Zentrale in Den Haag. Bild: CEphoto, Uwe Aranas/CC BY-SA-4.0

Offenbar hat Deutschland weder der OPCW noch Russland Informationen weitergegeben. Nowitschok bleibt vorerst ein vernebelter Begriff im politischen Ränkespiel

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Das Verteidigungsministerium will die Analyse der Nawalny-Proben und der Funde auf der ominösen Flasche an die OPCW weitergegeben haben, berichtete die tagesschau am Mittwoch. Das sagte Martina Fitz, die Sprecherin des Ministeriums. Man sehe aber keine Gründe, diese Informationen auch direkt an die russische Regierung weiterzuleiten. Außenminister Maas sagte gestern bei Maybrit Illner, man werde alle notwendigen Informationen an die OPCW übermitteln oder habe dies getan. Dies blieb auch hier offen.

Gegenüber Ria Novosti erklärte der Bundeswehrsprecher Christoph Czwielung: "Wir haben ja in unserem Labor lediglich den Nachweis geführt. Die Ergebnisse dieses Nachweises liegen beim Auswärtigen Amt und wurden von dort aus an die OPCW weitergeleitet. Was sie im Einzelnen weitergeleitet haben, das kann ich Ihnen nicht beantworten."

Alexander Shulgin, russischer Botschafter an der OPCW, erklärte, Russland sei bereit, in der OPCW über den Fall Nawalny zu sprechen. Der Tass sagte er gestern, er habe nachgeforscht und gesehen, dass die Behauptung falsch sei: "Deutschland hat nichts an das Technische Sekretariat der OPCW gesandt, weder gestern noch heute Morgen." Er forderte von Deutschland eine Erklärung dazu.

Am späteren Nachmittag erklärte er im russischen Fernsehen, dass die OPCW die Ergebnisse noch immer nicht erhalten habe: "Vielleicht ist das eine Frage der Zeit. Wenn sie (die deutschen Behörden) das versprochen haben, werden sie die Daten übergeben." Er wisse aber nicht, welche Daten die Deutschen der OPCW übergeben wollen. Er kritisierte überdies die Unwilligkeit der deutschen Regierung, nicht auf das Rechtshilfegesuch der russischen Generalstaatsanwaltschaft vom 27. August geantwortet zu haben. Der deutsche Außenminister Maas hatte zwar beteuert, dass man diesem zugestimmt habe, aber offensichtlich wird der Informationsaustausch blockiert.

Kreml-Sprecher Peskow sagte gestern, Russland habe Vorermittlungen im Fall Nawalny eingeleitet, aber noch keine Strafermittlung. Nach russischen Informationen wurde Nawalny ohne einen Vergiftungsbefund an die deutschen Ärzte übergeben, die ihn mit einem von der Stiftung Cinema for Peace gecharterten Rettungsflugzeug nach Deutschland brachten. Man warte auf die konkreten Nachweise, die offenbar Deutschland nicht liefern will. Noch spielt bei den Russen die Flasche mit den Nowitschok-Spuren keine Rolle.

Nach Spiegel-Informationen hat das Bundeswehrlabor eine Nowitschok-Version an den Körperproben und/oder an der Wasserflasche gefunden, von der noch immer nicht bekannt ist, wer und wie sie an die deutschen Sicherheitsbehörden gelangte. Sie sei gefährlicher als das Nowitschok - um welche Substanz es sich handelte, ist weiterhin unbekannt -, das im Skripal-Fall gefunden wurde.

Hier hat der Leiter des britischen Militärlabors immerhin den Mut gehabt zu erklären, dass man nicht wissen könne, woher der Nervenkampfstoff stammt. Ende 2019 wurden sechs Nowitschok-Verbindungen von der OPCW auf die Liste der verbotenen Chemiewaffen gesetzt, Russland hatte vier davon vorgeschlagen. Angeblich sei die nun entdeckte Substanz eine der von der OPCW gelisteten.

"Die Bundesrepublik darf die Daten nicht offenlegen"

Es wird offenbar von beiden Seiten das übliche Spiel gespielt, den jeweils anderen zu verdächtigen und zu beschuldigen, "Nebelkerzen" zu werfen, wie das Maas der russischen Regierung vorgeworfen hat. Das Misstrauen wird durch Äußerungen des CDU-Außenpolitikers Roderich Kiesewetter verstärkt.

Er sagte der Berliner Zeitung auf die Frage, ob die Bundesregierung die Ergebnisse der Analyse der Proben nicht veröffentlichen solle: "Die Bundesrepublik darf die Daten nicht offenlegen, weil die russischen Geheimdienste genau darauf warten. Sie können dann ableiten, mit welchen Analysemethoden gearbeitet wurde." Er führt an, dass die Russen Nowitschok so verändern könnten, dass es noch schwerer zu entdecken ist. Er wirft Putin nicht direkt den Anschlag vor: "Es ist aber offenbar nicht im Interesse des russischen Präsidenten (Wladimir) Putin, herauszufinden, wer die Täter waren."

Allerdings könnten die russischen Behörden nur die Spur des Nervengifts verfolgen, wenn sie wissen, um welchen es sich handelt. Die Ergebnisse nicht mitzuteilen, bedeutet auch, die Öffentlichkeit in Unkenntnis zu lassen, ob die Behauptungen zutreffend sind und ob das Nowitschok auf der OPCW-Liste steht, aber auch, warum ausschließlich russische Militärlabors es herstellen konnten.

Außenminister Maas sagte bei Maybrit Illner, er lege die unabhängige Aufklärung des Falls in die Hände der OPCW. Die ist aber bei der Aufklärung des Giftgasanschlags lädiert worden, wo offenbar nach Aussagen von ehemaligen OPCW-Inspektoren Ergebnisse so frisiert wurden, dass Syrien und Russland beschuldigt werden konnten (Der OPCW-Abschlussbericht und der angebliche Giftgasangriff in Duma, Warum sich die OPCW weiter unglaubwürdig macht).

Überdies soll Ex-Wirecard-Chef Marsalek geheime OPCW-Dokumente erhalten haben - mit Nowitschok-Formeln. Gerade ist wieder ein Problem aufgekommen, nämlich beim Fall des Giftanschlags 2015 auf den bulgarischen Waffenhändler Gebrev (Giftige Intrige gegen bulgarischen Waffenhändler - Vorläufer des Nowitschok-Anschlags?).

Wie im Fall von syrischen Giftgasangriffen, dem Skripal-Fall und Nawalny spielte auch hier die "Investigativplattform" Bellingcat eine Rolle. Dort will man bewiesen haben, dass eine GRU-Einheit in Europa für die Mordanschläge verantwortlich sei. So soll ein Verdächtiger im Skripal-Fall auch in Bulgarien anwesend gewesen sein, wo Gebrev mit seinem Sohn und einem Angestellten Opfer eines Anschlags mit Nowitschok geworden sein soll.

Proben von Gerbev wurden an das von der OPCW zertifizierte finnische Labor Verifin geschickt, dort analysiert und als Nowitschok identifiziert. Als neue Analysen zur Bestätigung des Befunds durchgeführt werden sollten, zeigte sich, dass die Proben verschwunden sind. In Folge dessen wurden die Ermittlungen in Bulgarien gegen drei russische Verdächtige, die dem Geheimdienst GRU angehören sollen, eingestellt.

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