Gangster in Uniform?

Das Polizeirevier sollen die "The Executioners" unter Kontrolle haben. Bild: lasd.org

In manchen amerikanischen Sheriff Departments tragen sich merkwürdige Dinge zu. Dort sollen tätowierte Gangs das Sagen haben

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Während Tätowierungen in der Zivilbevölkerung erst in den letzten Jahren breite Akzeptanz gefunden haben, sind sie in der kriminellen Unterwelt, wie den japanischen Yakuza oder den russischen Vory v Zakone, schon lange verbreitet. In diesen Kreisen erfüllen sie nicht nur ein diffuses Mitteilungsbedürfnis, sondern ganz konkrete Kommunikationsabsichten.

Veranschaulicht wird dies in David Cronenbergs Film "Eastern Promises", in dem Viggo Mortensen, der Aragorn aus der "Herr der Ringe"-Trilogie, einen verdeckten Ermittler spielt, der sich in einer Londoner Organisation der russischen Mafia hochdient, um diese zu überführen. Zu seiner Beförderung zum vollen Mitglied des Clans wird sein ohnehin bereits mit Tätowierungen übersäter Körper mit Sternen an den Knien versehen, die seinen neuen Rang anzeigen.

Unter Gangstern und Mafiosi signalisieren Tattoos die Gruppenzugehörigkeit sowie den Werdegang, die Fähigkeiten und den Rang des Tätowierten. In der Ikonografie der russischen Unterwelt ist der Stern ein Zeichen der Autorität. Ein Totenkopf kennzeichnet einen Mörder.

Dass es sich bei Tattoos nicht nur um trendige Grafiken handelt, haben auch deutsche Gerichte erkannt: Ein Bewerber für eine Stelle bei der Berliner Polizei wurde abgelehnt, weil neben Revolverpatronen und Totenköpfen das Wort "Omerta" — die Bezeichnung für den Ehrenkodex der italienischen Mafia — auf seinem Arm tätowiert war.

Während man also in Deutschland zu verhindern versucht, dass sich tätowierte Gangmitglieder bei der Polizei einnisten, sind sie, wenn man zahlreichen Medienberichten glauben darf, in manchen Polizeidienststellen der USA schon lange etabliert. Dort haben Kongressmitglieder gerade eine Untersuchung von Behauptungen gefordert, denen zufolge Mitarbeiter des Los Angeles County Sheriffs Department (LASD) bandenmäßig organisiert seien. Ein Markenzeichen dieser Banden, denen zahlreiche Deputy Sheriffs angehören sollen, seien ihre markanten Tattoos.

Tod eines Teenagers

In einem Schreiben an das Justizministerium fordern die Kongressabgeordneten Jamie Raskin und Jimmy Gomez, "die Handlungen eines gewalttätigen Kontingents von Deputies" innerhalb des LASD zu untersuchen, die "weiße suprematistische Ideologien befolgen, zu 'kriminellen Banden' gehören und 'aggressive Polizeitaktiken' praktizieren, die durch Rassismus motiviert sind".

Den Hintergrund für diese Vorwürfe liefert der Tod eines Teenagers in Gardena, im Süden von Los Angeles, der am 18. Juni von einem Polizisten erschossen wurde. An diesem Tag habe der 18-jährige Andres Guardado in die Richtung von Polizisten des LASD geschaut, er habe "eine Schusswaffe gezogen" und sei weggerannt. "Es ergab sich eine kurze Verfolgung zu Fuß", so die Pressemitteilung des LASD, "zu deren Ende die Deputies den Verdächtigen kontaktierten und es zu Schüssen durch die beteiligten Deputies kam." Laut Autopsie wies Andres Guardado fünf Schüsse im Rücken auf.

Angaben von Familienmitgliedern zufolge, welche die "New York Times" zitiert, habe Andres Guardado in zwei Jobs als Security Guard gearbeitet und parallel dazu eine Ausbildung zum Mechaniker an einem technischen College absolviert. Der tödliche "Kontakt" zu den Polizisten erfolgte in der Nähe einer Autospenglerei, in der er an diesem Tag als Sicherheitsmann tätig gewesen sei. Die Polizei erklärte, Guardado habe keine Uniform getragen, die ihn als Sicherheitsmann ausgewiesen habe. Da er noch nicht 21 Jahre alt war, konnte er noch nicht legal als Wachmann angestellt werden.

Die LASD Deputies Miguel Vega und Chris Hernandez, so die Polizei, hätten beobachtet, wie Guardado mit einer Person in einem Fahrzeug sprach, das einen Geschäftseingang blockierte. Angeblich zog Guardado eine Waffe. Nach der Verfolgung in einer Einfahrt legte er angeblich die Waffe nieder und legte sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Als Vega und Hernandez sich näherten, um ihm Handschellen anzulegen, griff Guardado angeblich nach der Waffe. Deputy Vega feuerte sechs Schüsse ab, von denen fünf Kugeln Guardado in den Rücken trafen.

Erst schießen, dann feiern

Anfang August wurde die Beschwerde eines Whistleblowers publik, derzufolge eine gewaltsame Bande von Sheriff Deputies, die sich "The Executioners", also: "Die Henker", nennen, das Polizeirevier in Compton unter Kontrolle habe. Diesem Revier gehören auch Vega und Hernandez an. Die Gruppe herrsche durch Gewalt, Drohungen und Racheakte gegen diejenigen, die ihre Stimme erheben, so der Whistleblower, Deputy Art Gonzalez.

Art Gonzalez schätzt, dass 15 Deputies der Polizeistation der Gruppe der "Executioners" angehören, die allesamt "geinkt" seien, also Tattoos trügen. 20 weitere Kollegen des Reviers sollen zu den Aspiranten zählen, die hoffen, in die Gruppe aufgenommen zu werden. Jeder "Executioner" trage ein Tattoo, das ein in Flammen gehülltes Skelett mit Nazihelm und einem AK-47 Sturmgewehr, gemeinhin bekannt als Kalaschnikow, zeige.

Sowohl Deputy Vega, der die tödlichen Schüsse auf Andres Guardado abgab, als auch sein Kollege Deputy Hernandez sollen zu den Anwärtern gehören, die eine Aufnahme in die "Executioners" erhoffen. "Wir nennen sie die 'Ink Chasers'", sagt der Whistleblower, "weil sie da draußen versuchen, dem Rest der Mitglieder, dem Rest der geinkten Mitglieder zu zeigen, dass sie es wert sind, dieses Tattoo zu tragen."

Zu den Praktiken der Gruppe, so der Whistleblower, gehöre es, die Verhaftungszahlen hochzutreiben. Die illegalen Quoten hätten in kurzer Zeit zu einer Verdopplung der Verhaftungen und damit zu schwerwiegenden Verletzungen der Bürgerrechte vieler Einwohner geführt. Nach Polizeieinsätzen würde fälschlicherweise behauptet, dass Verdächtige im Besitz von Schusswaffen gewesen seien, um den Einsatz von Polizeigewalt zu rechtfertigen.

Angeblich feiert die Gang der Deputy Sheriffs nach einer erfolgreichen Schießerei, indem sie gemeinsam trinken gehen und sich tätowieren lassen. "Mitglieder werden als 'Executioners' tätowiert", so die Beschwerde des Whistleblowers, "nachdem sie Mitglieder der Öffentlichkeit hingerichtet oder auf andere Weise Gewalttaten begangen haben, um die Bande zu unterstützen." Erst wer sich mit Repressalien profiliert habe, so der Vorwurf, könne eine Aufnahme in den geheimen Zirkel erwarten.

Die Bürgermeisterin und die Polizei

Die Bürgermeisterin von Compton erklärt, das merkwürdige Einsatzverhalten der von ihr beauftragten Vollzugsbeamten schon am eigenen Leib erlebt zu haben. Im Juni 2019 sei sie mit ihrem Ehemann und ihrer kleinen Tochter durch die Stadt gefahren, als ein Polizeifahrzeug einen U-Turn machte und sie aufforderte anzuhalten. "Innerhalb von Sekunden", so Bürgermeistern Aja Brown, "waren wir von fast sieben bis neun Polizeiwagen umringt." Ihr wurde vorgehalten, sie habe eine rote Ampel überfahren, was sie aber vehement bestreitet.

"Sie befahlen mir, aus meinem Fahrzeug auszusteigen und meine Hände auf das Polizeifahrzeug zu legen, damit sie mich durchsuchen konnten, als wäre ich ein Verbrecher", so Brown. "Wohlgemerkt, ich wurde von meinem Mann und meiner kleinen Tochter auf dem Rücksitz begleitet. Ich sah nicht aus wie jemand, der Drogenhandel betreibt." Die Sheriff Deputies hätten ihren Ehemann und ihr Auto nach Drogen durchsucht, aber nichts gefunden. Nachdem die Polizisten erkannt hatten, dass sie die Bürgermeisterin ist, habe man sie laufen lassen.

"Sie terrorisieren die Gemeinde", so Bürgermeisterin Brown, "und verwischen dann ihre Spuren." Die Stadt Compton, der sie vorsteht, zahlt jährlich 22 Millionen Dollar an das Los Angeles Sheriffs Department für die Bereitstellung von Streifen- und weiteren Polizeivollzugsdienstleistungen. Die Bürgermeisterin hat angekündigt, den Vertrag mit dem LASD zu kündigen. Außerdem fordert die Stadt eine Untersuchung der Aktivitäten der Polizei, der sie Verletzungen der Bürgerrechte zur Last legt.

Polizeirevier oder Gangsterhochburg?

Schon seit langem bestehen Sorgen über die Existenz von geheimen Banden, Cliquen, Gangs und Bruderschaften auch in anderen Polizei-Departments des Landes. Aber in Los Angeles scheint das Problem besonders ausgeprägt zu sein. Sie tragen schillernde Namen wie, "Reapers", "Regulators", "Little Devils" oder "Banditos" — mindestens neun weitere Gangs sollen im Bereich des LASD operieren.

Auch der Sheriff von Los Angeles County, Alex Villanueva, kam nicht umhin zuzugeben, dass die "Banditos" zeitweilig das Polizeirevier von East Los Angeles unter Kontrolle hatten. Ihr Emblem ist ein Tattoo, das ein Skelett mit einem Sombrero, einem Revolver und einem Patronengurt zeigt. Laut Kollegen, die nicht zu den "Banditos" gehören, hätten sie die Polizeistation wie ein kriminelles Unternehmen geführt.

Im Herbst 2018 brach bei einer Feier von Polizisten Chaos aus, als ältere Sheriff Deputies, die zu den "Banditos" gehören, ihre jüngeren nicht zur Gang gehörigen Kollegen angriffen. "Ich hatte das Gefühl, dass ich getötet werde", so einer der verletzten Polizisten. "Da sind Leute, auf die eingetrampelt wird … die gewürgt werden … es war einfach verrückt, verrückt zu glauben, dass sie alle Cops sind", so ein Zeuge. 26 Deputies sollen aufgrund des Vorfalls nun entlassen oder suspendiert werden.

"Mich macht schon die bloße Anschuldigung krank, dass sich ein Deputy hinter seinem Abzeichen versteckt, um jemanden zu verletzten", so der Chef der Dienstaufsicht. Man werde nun auch den Vorwürfen um die "Executioners" nachgehen. Das FBI wurde zur Unterstützung der Untersuchung der Vorfälle angefordert. Allerdings, dies erklärt Sheriff Villanoeva, man könne Tätowierungen oder die Mitgliedschaft in Gruppen nicht pauschal verbieten, da dies gegen das First Amendment verstoße.

Gemäß eines Berichts der "Los Angeles Times" war der Bezirk Los Angeles in den letzten Jahrzehnten zu Zahlungen in Höhe von 55 Millionen Dollar gezwungen, aufgrund von Fällen, in die Sheriff Deputies verwickelt waren, die solchen Geheimbünden angehört haben sollen. Die Liste umfasse Auszahlungen in Dutzenden von Verfahren mit tätowierten Polizisten, denen zu aggressive Polizeiarbeit vorgeworfen wird.

Recht und Unordnung

Sieben Millionen Dollar musste das Los Angeles County an die Familie eines 31-jährigen Mannes zahlen, der im Jahr 2016 nach einer Verfolgung zu Fuß von Sheriff Deputies erschossen wurde. Der Mann, so die Polizei, habe eine Handfeuerwaffe getragen. Doch es wurde keine Waffe gefunden. Auch in diesem Fall gehörten die Deputies dem Polizeirevier von Compton an. Auch in diesem Fall hatte der Polizist, der die Schüsse abgab, ein Tattoo am Bein: ein in Flammen gehülltes Skelett mit Nazihelm und einem AK-47 Sturmgewehr, das gemeinhin als Kalaschnikow bekannt ist.

Die Eltern von Andres Guardado, dessen Leben mit fünf Kugeln im Rücken in einer Gasse im Süden von Los Angeles endete, haben soeben Klage gegen das Los Angeles County, gegen das Sheriff Department sowie die beiden am Tod ihres Sohnes beteiligten Polizisten eingereicht. Die Eltern des Verstorbenen, hätten, so der Anwalt der Familie, über zwei Monate auf Antworten zum Tod ihres Sohnes gewartet. Den beiden Polizisten werfen sie vor, ihren Sohn grundlos gejagt zu haben. Er sei ohne Provokation oder Grund getötet worden.

Ob Rassismus und unverhältnismäßige Gewalt in der Polizeiarbeit ein systemisches Problem darstellen oder es sich bei Verfehlungen nur um vereinzelte "faule Äpfel" handelt, ist im amerikanischen Wahlkampf gerade eines der ganz großen Themen. Die Geschichte der Gewalt in Los Angeles scheint zumindest zu belegen, dass es bei den dortigen für die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständigen Behörden nicht immer ganz ordentlich zugeht.

Dr. habil. Thomas Schuster, ehem. Berater bei Roland Berger und ehem. Autor der Frankfurter Allgemeine ist Hochschullehrer für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Seine Bücher "Staat und Medien. Über die elektronische Konditionierung der Wirklichkeit" und "Die Geldfalle. Wie Medien und Banken die Anleger zu Verlierern machen" sind bei S. Fischer und im Rowohlt Verlag erschienen.

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