Flüchtlingslager auf griechischen Inseln: Die Angst vor dem Pull-Effekt

Aufnahme- und Identifikations-Zentrum Moria auf Lesbos. Bild (September 2020): Faktengebunden/CC BY-SA 4.0

Die Lager könnten besser ausgestattet werden. Am Geld liegt es nicht. Deutsche Spitzenpolitiker sprechen sich für eine größere Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen aus den griechischen Camps aus

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Die Wasserversorgung eines Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Samos entpuppte sich als "politisches Problem", so die Aussage des operativen Leiters des deutschen Technischen Hilfswerks (THW) in einem internen Bericht vom März dieses Jahres.

Darin heißt es, dass die Hauptwasserleitung für ein neues Lager abgeklemmt wurde. Als dafür verantwortlich wird die Gemeindeverwaltung des Ortes Vathi genannt - "wegen Protesten der Bevölkerung gegen die Migrantencamps". Im November letzten Jahres gab es Nachrichten über Proteste im überfüllten Lager in Vathy, es brach Feuer aus und Zelte wurden zerstört.

Im März 2020 verbrachten dann Spezialisten des THW drei Tage im Lager auf Samos, um "zu erkunden, wie die Wasserversorgung verbessert werden kann", schreibt die Welt am Sonntag (leider mit Zahlschranke). Ihr liegt der interne THW-Bericht vor. Das Wasserprojekt sei bis heute nicht umgesetzt worden, ist in der WamS zu lesen. Dazu wird berichtet, dass von 310 Millionen Euro für Infrastrukturprojekte der EU nur 70 Millionen abgeflossen seien.

Mittel nicht "ausreichend genutzt"

"Nicht ausreichend genutzt", heißt es dazu. Vorgebracht wird auch, dass 2,64 Millionen Euro seit 2016 aus EU-Töpfen für Unterbringung der Migranten und Asylverfahren aus EU-Töpfen überwiesen wurden. Das sieht angesichts des Zeitraums nicht wirklich nach viel Geld, aber der Vorwurf wird bekräftigt mit der Feststellung, dass aus Deutschland "mehrfach Millionenbeträge" überwiesen wurden und Hilfe geschickt. Das kulminiert dann in der Frage: "Warum kamen diese Summen nicht ausreichend bei den 25.000 Migranten auf den fünf Ägais-Inseln an?"

Würde man diese Zahl durch die 27 Mitgliedsländer der EU teilen, so müsste jedes Land nicht einmal 1.000 Migranten aufnehmen. Diese Rechnung war heute in Nachrichten des Bayerischen Rundfunks zum Skandal der bitteren Bedingungen in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln zu hören.

Bekanntlich geht diese einfach gestaltete Rechnung politisch nicht auf, obwohl sich allein in Deutschland Politiker wie der CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller, der nun seinen Rückzug aus der Bundespolitik bis Ende des Jahres angekündigt hat, SPD-Politiker, wie Scholz, Esken und Walter-Borjans, sowie Norbert Röttgen von der CDU sowie weit über 100 Kommunen und einzelne Bundesländer für eine größere Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten ausgesprochen haben.

Die Strategie der griechischen Regierung

Dass die Mehraufnahme politisch nicht so einfach durchzusetzen ist, liegt, wie die französische Zeitung Le Figaro aus Brüsseler Diplomatenkreisen erfahren hat, nicht nur an der Uneinigkeit in Deutschland und in den EU-Mitgliedsländern, sondern auch "an der Strategie der griechischen Regierung".

Athen habe nicht darum gebeten, dass weitere Migranten - über die gegebene Zusage der Aufnahme von 400 unbegleiteten Minderjährigen hinaus - von EU-Mitgliedsländern aufgenommen werden, weil die dortige Regierung befürchte, dass dies zu weiteren Feuern in anderen Lagern führe.

Nach Stand der Informationen, wie ihn verschiedene Berichte, darunter der genannte WamS-Artikel, wiedergeben, wurde das Feuer im Lager Moria vergangene Woche absichtlich gelegt, verantwortlich gemacht werden "Brandstifter aus den Reihen der Migranten". Das Lager wurde völlig zerstört.

Mittlerweile ist der Neuerrichtung eines Behelfslagers soweit gediehen, dass Flüchtlinge dorthin umquartiert werden können. Der Prozess verläuft nicht zuletzt auch wegen der Corona-Tests langsam, meldet die englischsprachige griechische Zeitung Ekathimerini. Es gibt Ansteckungsfälle, weswegen eine Quarantäne-Zone eingerichtet wurde. Bis Samstag sollen 27 der 35 Lagerbewohner mit nachgewiesener Coronavirus-Infektion laut Behörden immer noch nicht gefunden worden sein.

Das Übergangslager könne insgesamt 3.000 Bewohner aufnehmen, Familien hätten Vorrang 8.500 Menschen sind ohne Obdach und übernachten im Freien, berichtete die griechische Zeitung gestern Abend. In deutschen Berichten ist von einer höheren Zahl die Rede. Sie berufen sich auf Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), wonach "11.500 Migranten und Flüchtlinge, darunter 4.000 Kinder" auf Lesbos obdachlos seien.

Die Frage, wie und wo die Menschen, die im Freien nächtigen, künftig untergebracht werden, da die Kapazität des neuen Lagers in Kara Tepe nicht für alle ausreicht, ist noch nicht beantwortet. Bislang geben die Wettervorhersagen noch etwas Spielraum, aber nicht viel.

Migranten und Flüchtlinge verweigern sich der Umquartierung

Indessen weigern sich "viele Migranten und Flüchtlinge", in das neue Transitlager umquartiert zu werden. Sie fordern laut Ekathimerini, dass sie aufs griechische Festland kommen, wo sie sich bessere Chancen ausrechnen, um über Flüchtlingsrouten in EU-Länder zu kommen.

Nachrichtenagenturen berichten von Protesten, die sich zum Teil zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei entwickelten.

Mittelmeerstreit mit der Türkei: Griechenland will aufrüsten

Zur vertrackten Lage der menschenwürdigen Unterbringung der Flüchtlinge hinzu kommen die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei im östlichen Mittelmeer. Zwar hat die türkische Regierung mittlerweile das Forschungsschiff Oruc Reis aus der umstrittenen Zone zurückbeordert, was in Athen als "positives Signal" gewertet wurde.

Zuvor aber hatte Ministerpräsident Mitsotakis Aufrüstungs-Pläne angekündigt. So sollen neben anderen Waffenkäufen und einer Aufstockung der Armee 18 Rafale-Kampfjets von Frankreich gekauft werden.

Wirkliche Geldprobleme sind es also nicht, die Griechenland und die EU davon abhalten, die Aufnahmelager der Migranten und Flüchtlinge zu verbessern, sondern eine politische Angst. Man kann darauf warten, dass Erdogan die Flüchtlingskarte erneut spielen wird. Zuletzt äußerte er sich scharf gegen Macron. Der französische Präsident werde noch eine Menge weitere Probleme mit ihm bekommen.