Digital Vertrauen schaffen

Bonitätsbewertungen sind der Ausgangspunkt für Scoringsysteme im Westen wie auch in China. Während diese Systeme im Westen weitgehend privaten Firmen überlassen sind, kümmert sich in China inzwischen der Staat darum, Vertrauen zwischen möglichen Geschäftspartnern aufzubauen

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In Deutschland wird das chinesische Social Scoring System gerne mit dem Bild des Fußgängers verknüpft, der bei Rot über die Straße geht und dafür neben einer Strafe auch einen Vermerk in seinem persönlichen Social Credit Eintrag erhält und dafür dann mit Einschränkungen zu rechnen hat.

Der Fantasie scheinen da kaum Grenzen gesetzt zu werden und mangelnde Kenntnis der chinesischen Gesellschaft tut ein Übriges. Bei der Recherche zu diesem Beitrag habe ich mich intensiv mit den bislang vorliegenden Informationen über das Projekt "Vom 'Vorreiter' lernen? Eine multidisziplinäre Analyse des chinesischen Sozialkreditsystems und seiner Auswirkungen auf Deutschland" beschäftigt.

Scoring Systeme in Deutschland

Wer in Deutschland einen Kredit bei einer Bank aufnehmen oder einen Leasingvertrag abschließen will, wird hinsichtlich seiner Kreditwürdigkeit und Zahlungsmoral vom jeweiligen Anbieter mit Hilfe einer Anfrage bei der Schufa oder einem vergleichbaren Auskunftssystem durchleuchtet. Bei der Bewertung zählt nicht nur das eigene Verhalten, sondern auch das soziale Umfeld, soweit es durch geografische Systeme ermittelbar ist. Da kann schon die falsche Straßenseite zum Handicap werden.

Daneben gibt zahlreiche Systeme, die Daten über ihre Nutzer sammeln. Lehnt man die Zustimmung dazu ab, ist es durchaus üblich, dass man dann bestimmte Angebote nicht mehr nutzen kann. Welche Daten über den Nutzer gespeichert werden, kann man hier zwar meist abfragen.

Die Abfrage gestaltet sich jedoch nicht immer einfach und wenn ein Anbieter verkauft wird, wandern auch die Daten mit. Das mussten in der jüngeren Vergangenheit die WhatsApp-Nutzer erleben, als sich Facebook dort einkaufte.

Wie die einzelnen Informationen zusammengeführt werden, dürfte sich für die meisten Nutzer nicht erschließen. Dass bei Suchmaschinen ihre Suchergebnisse vorsortiert und nach den ihnen unterstellen Interessen ausgewählt werden, fällt vielen gar nicht mehr auf, so wohl fühlen sie sich in ihrer Blase.

Social Credit Systeme in China

Wie schon erwähnt, wird hierzulande meist von einem Social Credit System (SCS) gesprochen, welches das Verhalten der Menschen konditionieren und dafür Gesichtserkennung und KI einsetzen soll. In der Praxis gibt es ein solches System wohl nur in sehr rudimentärer Form und der Fehltritt an der roten Ampel wird keinesfalls automatisch notiert, sondern muss bei Bedarf händisch in das System eingegeben werden.

Hintergrund der Entwicklung war auch nicht in erster Linie die Beurteilung und Erziehung der Bürger, sondern die Idee, das in der chinesischen Gesellschaft verlorengegangene Vertrauen zwischen vorwiegend kommerziellen Akteuren auf neue verlässliche Füße zu stellen.

In einem ersten Anlauf hatte man acht Pilotprojekte gestartet, deren Performance jedoch die Politik nicht zufrieden stellten, so dass man diesen Versuch im Jahre 2018 abgebrochen und dafür mit Baihang Credit ein neues Unternehmen mit staatlicher Beteiligung ins Leben gerufen hat, an welchem auch die acht Teilnehmer der Pilotprojekte beteiligt sind.

Kennzeichen der aktuellen Entwicklung soll eine hohe Transparenz sein, so dass die gesammelten Daten von außen einsehbar sind. Was manchem deutschen Betrachter als Pranger erscheinen mag, ist im chinesischen Umfeld keinesfalls ungewöhnlich und allgemein akzeptiert. Dies gilt wohl letztlich wohl auch für die derzeit vielfach diskutierten politischen und sozialen Funktionen des chinesischen Social Credit Systems (SCS).

Sinn und Zweck des SCS ist derzeit jedoch in erster Linie die Erstellung eines Ratings für die Kreditwürdigkeit der einzelnen Akteure.

Die Bewertung deutscher Firmen hat ihre Schwächen

Dass auch in Deutschland große Unternehmen wie Kartenhäuser zusammenfallen können, hatte man noch im Zusammenhang mit der Neuen Heimat, der Coop-Handelsgruppe oder der Kölner Herstatt-Bank in Erinnerung und hoffte, dass die Kontrollmechanismen inzwischen so ausgereift seien, dass sich so Etwas nicht wiederholen könne.

Bis man dann von Wirecard, einem DAX-Unternehmen getroffen wurde, dem es offensichtlich über die Jahre gelungen ist, seine Bilanzen mit Scheingeschäften aufzublähen, die niemandem auffielen oder die niemand sehen wollte. Denn Hinweise gab es genug, seit die britische Financial Times den Miesetätern auf der Spur war. "Bereits 2019 habe die sogenannte Financial Intelligence Unit (FIU) das Landeskriminalamt Bayern über merkwürdige Transaktionen von Wirecard-Vorständen informiert".

Die Informationen scheinen jedoch versandet zu sein und letztlich haben offensichtlich alle Sicherungen versagt, was der einschlägigen Infrastruktur in Deutschland kein gutes Zeugnis ausstellt und für Anleger nicht wirklich vertrauensbildend ist. Wie sehr man sich auf die einschlägigen Informationen über Wirecard auch von staatlicher Seite verlassen hatte, zeigt sich beispielhaft an der Tatsache, dass die KfW-Tochter noch kurz vor dem Zusammenbruch der Wirecard AG 100 Millionen Euro geliehen hat.

Zur Schadensbegrenzung hat man diese Forderung inzwischen zumindest teilweise verkauft. Dass man den Wirecard-Märchen zu gerne glauben wollte, zeigt sich auch an der Tatsache, dass Bafin-Mitarbeiter bis zuletzt mit Wirecard-Aktien reich werden wollten.

Die möglichen Folgen des chinesischen Social Credit Systems für Deutschland

Das Problem, das sich für Deutschland und Europa aus der Entwicklung des chinesischen Social Credit Systems ergeben könnte, ist nicht die Gefahr, dass Fußgänger, die bei Rot über die Straße gehen, an einen staatlichen Pranger gestellt würden, sondern eher, dass das chinesische System dafür sorgt, dass falsche Informationen über Firmen frühzeitig enttarnt werden und potentielle Investoren davor geschützt werden, ihr Geld zu verlieren.

In diesem Bereich scheint Deutschland offensichtlich noch größeren Nachholbedarf zu haben.