"Die Masken sind nicht groß, eure Kinder sind klein"

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Realsatire: Schulanfang in Griechenland, ein Totalversagen

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Am Montag öffneten mit einer Woche Verspätung in Griechenland die Schulen. Die griechische Regierung verschob die Eröffnung, um letzte Details der Pandemievorsorge zu klären. Außerdem wollte sie organisieren, wie die Einweihungszeremonie durch die Priester in Covid-19-Zeiten an den Schulen zu erfolgen hat.

Was kann da schon schief gehen?

Alles sei in bester Ordnung versicherte die Ministerin Niki Kerameos am Freitag in einer im Fernsehen übertragenen gemeinsamen Pressekonferenz mit dem zuständigen ministeriellen Staatssekretär für Bürgerschutz Nikos Chardalias. Sie hatte vorher bereits beteuert, dass sämtliche Abstandsregeln in den Schulen eingehalten werden könnten. Dies, obwohl die Ministerin erst nach Ausbruch der Pandemie die maximalen Klassenstärken erhöhte.

Eigens zur Begründung dieser Maßnahme hatte vor knapp zwei Wochen einer der Chefvirologen der Regierung, Professor Gikas Magiorkinis, versucht mit Grafiken zu demonstrieren, dass von 25 Schülern in einer Klasse weniger Gefahr ausgehen würde als von 15. Dies geschah zur Entschuldigung der Regierung, gab aber aufgrund der offensichtlichen und abenteuerlichen logischen Sprünge in der Argumentationskette viel Anlass zur Kritik. Doch auch dies wollte Kerameos am vergangenen Freitag gelöst haben.

Zudem hatte die Ministerin versprochen, dass alle Kinder in den Schulen vom Staat zwei, nach höchsten Qualitätsstandards hergestellte, wiederverwertbare Stoffmasken in einem Beutel, sowie eine wiederverwendbare Trinkflasche erhalten würden. Niemand dürfe ohne Maske die Schulgebäude betreten, versicherte die Regierung. Ein Kind ohne Maske würde der Schule verwiesen, versicherte Chardalias.

Ärzte und Professoren demonstrierten bei der Pressekonferenz, wie die Masken richtig aufgesetzt werden. Sie referierten darüber, dass die speziell angefertigten Masken für die Schulen auch über eine metallische Einstellhilfe für den passenden Sitz auf der Nase von Brillenträgern hätten. Schließlich seien die Masken sterilisiert, gebügelt und sofort benutzbar verpackt worden.

Schließlich wurden zahlreiche Werbespots mit Anleitungen zum Maskentragen für Kinder im Fernsehen übertragen. Was kann bei so viel Planung schiefgehen?

Der erste Schultag

Offenbar so ziemlich alles, wie der erste Schultag zeigte. Zunächst einmal verkündete Premierminister Kyriakos Mitsotakis am Sonntagmittag, dass die Schulen in einigen Regionen, wie auf der Insel Lesbos, erst später öffnen würden. Am nächsten Tag stellten Eltern an zahlreichen anderen Orten in Griechenland fest, dass auch ihre Schulen noch nicht offen waren.

Grund waren fehlende Räumlichkeiten für das Einhalten der vorgeschriebenen Abstände. Bereits am Wochenende gab es die Information, dass die Kinder zum ersten Schultag sicherheitshalber mit einer eigenen Maske kommen sollten.

Grund zur Sorge bestehe nicht, hieß es. Zumal Qualitätskontrollen in Thessaloniki am Freitag 27.000 ungeeignete Masken aus dem Verkehr gezogen hätten. Wo genau der Fehler dieser Masken lag, wurde nicht bekannt.

Pünktlich zum Schulbeginn feierte sich der griechische Städtetag, dass die kommunale Selbstverwaltung in Griechenland mal wieder vorbildlich ihre Aufgabe gelöst und Masken an alle Schulen geliefert habe. Per Kurierdienst seien die Pakete in allen Schulen angekommen, hieß es.

Die religiöse Einweihungszeremonie war die erste Überraschung für alle Beteiligten. Denn, die Priester trugen keine Masken. Auch an den Schulen, an denen der Premier oder Minister ihre Aufwartung machten, weigerten die Geistlichen sich, Masken zu tragen. Nach der Zeremonie schritten sie zu den mit den vorgeschriebenen Abständen in Reihen stehenden Kindern und ließen sie nacheinander das gleiche Kreuz küssen.

Später wurden die Trinkflaschen übergeben. Die wiederverwertbaren Flaschen, eine Spende eines Reeders, sollen Einwegflaschen aus Plastik verdrängen. Die vor Covid-Zeiten in Schulen stehenden Trinkbrunnen sind nicht kompatibel mit den Pandemiemaßnahmen, da alle Kinder aus einem Hahn trinken müssten. Leitungswasser ist nicht in allen Schulen im Land wirklich trinkbar.

Die Regierung wollte ein ökologisches Signals setzen und gleichzeitig den Neid der Kinder, auf eventuell bessere Flaschen der reicheren Klassenkameraden verhindern. Allerdings hat wohl kaum jemand daran gedacht, dass bei mehrstündigem Unterricht auch für kleinere Schüler eine Wasserration von knapp 220 ml etwas zu gering bemessen ist.

Was bei den Flaschen zu wenig war, war bei den Masken zu viel

Bei den gespendeten Flaschen wurde offenbar an Material gespart. Bei den Masken gab es dafür umso mehr. Mehr als sechs Millionen Euro kosteten die Masken, die allerdings, wie ein Vater im Fernsehen bemerkte, genug Stoff für Shorts für Kleinkinder haben.

Der Auftrag für die Produktion wurde an drei Firmen erteilt. Ein vierter Bewerber zog sich zurück, weil sie gleichzeitig als Handelsvertreterin in die aktuellen Rüstungskäufe involviert ist, und 18 Rafale Kampfflugzeuge erfolgreich an den griechischen Staat verkauft hat.

Wo jedoch die Kernkompetenz eines Unternehmens der Aluminium verarbeitenden Industrie für die Maskenherstellung liegen soll, das müsste die griechische Regierung bei Gelegenheit erläutert. Die Firma Exalco erhielt eines der drei Bieterlose. Die regierungskritische Zeitung To Documento / Kouti tis Pandoras erklärt dies mit der Nähe des Besitzers zu Premier Mitsotakis.

Das wäre alles nicht weiter tragisch, weil in Griechenland derartige Geschäfte nicht selten sind. Jedoch sind die gelieferten Masken so groß, dass die Kinder damit ihren gesamten Kopf umhüllen können, ohne dass die Gummizüge für die Fixierung gespannt werden. Bereits in der Verpackung zeigt sich, dass sie im Vergleich zu herkömmlichen Masken mindestens die doppelte Größe aufweisen. Dafür wurde aber nur eine, statt der versprochenen zwei Masken verteilt. Die übrigen sollten nachgeliefert werden.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die Masken, die vielleicht auch für die sagenhaften Kyklopen der Odyssee zu groß gewesen wären, wurden in der gesamten griechischen Presse zum Thema. In sozialen Netzwerken erheiterten sie die Gemüter.

"Die Masken sind nicht groß, eure Kinder sind klein", meinte ein Twitterbenutzer. "Die gleichen Menschen, die diese Masken zu verantworten haben, kaufen nun die Rüstungsgüter ein", war einer der in mehreren Variationen zu lesenden Kommentare. Am späten Montagabend wurde bekannt, dass der Städtetag die Produktion der Masken gestoppt habe.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Wer aber ist schuld am Desaster? Die Hersteller hatten vom Gesundheitsministerium strenge Vorgaben erhalten, wie die Masken zu nähen seien. Sie geben an, diese eingehalten zu haben. Tatsächlich gleichen sie konventionellen Stoffmasken, die in Griechenland zwischen 1,5 Euro und 2 Euro im Supermarkt kosten. Die 4,5 Euro teuren "hochmodernen, speziellen Masken" für die griechischen Schüler sind nur extrem überdimensioniert.

"Wir haben die Schnittmuster gemäß den internationalen Standards an die Firmen geschickt", kommentiert das zuständige Gesundheitsministerium den Vorgang. Die Maße waren vollkommen korrekt, wird versichert. "Allerdings betrafen sie die Größe des Zuschnitts vor dem Zusammennähen."

Bislang gab es keinerlei personelle Konsequenzen. Es ist offensichtlich, dass der Fehler auf vielen Ebenen hätte auffallen müssen. Die Mitarbeiter in den beauftragten Firmen unterliegen in den Produktionsräumen der Maskenpflicht. Hätten sie nicht sehen müssen, dass eine Maske die größer als ihre eigene ist, kaum passend für kleiner Kinderköpfe sein kann? Kam keiner der verantwortlichen Politiker auf die Idee, doch mal eine Maske auszupacken? Wobei selbst bei Anblick der verpackten Maske der Fehler schon offensichtlich war.

Das Krisenmanagement macht alles schlimmer

Im Versuch, die Wogen der Affäre für die Regierung zu glätten, bemerkte Professor Magiorkinis am Dienstag, dass die Maße aus den USA gekommen wären. Das lässt Vermutungen aufkommen, ob nicht vielleicht aus den USA Zentimetermaße geschickt, und diese dann in der Annahme, dass es Inch seien, multipliziert wurden.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Offensichtlich wurde vor knapp zehn Tagen der Grundstein fürs Desaster gelegt. Die Regierung hatte in buchstäblich letzter Minute den Städtetag mit der Abwicklung der Ausschreibung beauftragt. Der Städtetag, in dessen Reihen nicht überwiegend Mediziner sitzen, bekam vom Gesundheitsministerium die Qualitätsvorschriften für die zu bestellenden Masken.

Probemasken wurden angefordert und von allen Bietern geliefert. Diejenigen, die Masken normaler Größe geschickt hatten, darunter auch Unternehmen aus der Medizintechnikindustrie, verloren den Auftrag, weil sie die offensichtlich falschen Anforderungen nicht erfüllten.

Sämtliche Oppositionsparteien verlangen Rücktritte. Dora Bakoyiannis, Parlamentarierin und Schwester von Kyriakos Mitsotakis, gibt das Fiasko zu. Sie meint aber, dass die verantwortliche Person in der bürokratischen Verwaltung sitzen müsse. Diese müsste gefunden werden. Aber "den Kopf abschlagen", das möchte Bakoyianni bei niemandem.