Bei Wahlniederlage: Wird das US-Militär eingreifen?

US-Präsident Donald Trump gratuliert General Mark Milley bei seiner Vereidigung als Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff im September 2019. Bild: Chairman of the Joint Chiefs of Staff / Flickr

Das Pentagon steht unter dem Druck, Pläne schmieden zu müssen, will es nicht in die politischen Streitigkeiten nach den Wahlen eingreifen

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Präsident Donald Trump, der in den Umfragen hinter seinem demokratischen Rivalen Joe Biden liegt, hat sich diese Woche erneut geweigert, sich zu einer friedlichen Machtübergabe zu verpflichten, falls er am 3. November verliert. Seine Gegner befürchten, dass Trump den Grundstein für eine Anfechtung der Ergebnisse legt, an der das Militär beteiligt sein könnte. Mehrere Medien spekulieren darüber, ob und wie Trump versuchen könnte, die Instrumente der präsidialen Macht, einschließlich seiner Rolle als Oberbefehlshaber der Streitkräfte, zu nutzen, um seine Amtszeit zu verlängern.

Das US-Militär beharrt allerdings darauf, dass es keine Rolle bei der Beilegung von Wahlstreitigkeiten spielen wird. General Mark Milley legte das in einer im August veröffentlichten schriftlichen Antwort an zwei Mitglieder des Repräsentantenhauses klar dar. "Ich glaube zutiefst an das Prinzip eines apolitischen US-Militärs", sagte Milley. "Im Falle eines Streits über irgendeinen Aspekt der Wahlen sind laut Gesetz die US-Gerichte und der US-Kongress verpflichtet, alle Streitigkeiten zu lösen, nicht das US-Militär. Ich sehe das US-Militär nicht als Teil dieses Prozesses", so Milley, seit September 2019 Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff und wichtigster militärischer Berater des Präsidenten.

Das Problem sei jedoch, dass das Pentagon sich dennoch für ein Szenario wappnen müsse, das für John Nagl und Paul Yingling, beides pensionierte Armeeoffiziere und Irak-Kriegsveteranen so aussehen könnte: Donald Trump weigert sich, sein Amt nach Ablauf seiner verfassungsmäßigen Amtszeit niederzulegen. Wird in einem solchen Fall General Milley den Befehl an das US-Militär geben, Trump gewaltsam aus dem Weißen Haus zu entfernen? Dies schreiben Nagl und Yingling auf der Website Defense One in einem offenen Brief an General Milley. "In einigen Monaten werden Sie sich vielleicht entscheiden müssen, ob Sie sich einem gesetzlosen Präsidenten widersetzen oder Ihren Verfassungseid brechen wollen."

Der New York Times zufolge sagen Beamte des Pentagon, ein solches Szenario sei absurd. Unter keinen Umständen würde ein Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff Navy SEALs oder Marines entsenden, um Trump aus dem Weißen Haus zu holen. Wenn nötig, würde eine solche Aufgabe den U.S. Marshals oder dem Secret Service obliegen.

Trumps Gegner Joe Biden sagte im Juni, er sei zuversichtlich, dass Soldaten Trump aus dem Weißen Haus eskortieren würden, sollte er verlieren und das Ergebnis nicht anerkennen, bzw. wenn er die Wahl "stiehlt". Ein solches Fantasieren über ein Einschreiten des Militärs zur Absetzung Trumps stößt bei Pentagon-Beamten und Experten für zivile militärische Beziehungen auf Unverständnis.

Das Militär würde "absolut keine Rolle" bei der Beilegung eines Wahlstreits spielen, sagte der ehemalige nationale Sicherheitsberater und pensionierte Generalleutnant HR McMaster, der unter Trump als nationaler Sicherheitsberater diente, am Donnerstag der CNN. "Diejenigen, die behaupten, dass das Militär irgendeine Rolle beim Übergang spielen würde, sind ebenso unverantwortlich", fügte er hinzu und sagte, "das Militär sollte weder mit parteiischer Politik zu tun haben noch mit irgendeinem Gerede zu einem Regierungswechsel."

Kori Schake, ein Experte für zivil-militärische Beziehungen am American Enterprise Institute, sagte gegenüber CNN, die Art und Weise, wie die Verfassung geschrieben ist, bedeute, dass Trump am Tag der Amtseinführung nicht mehr Oberbefehlshaber sein werde, auch wenn bei der Wahl kein Sieger formell bekannt gegeben wird. Zu diesem Zeitpunkt würde das Militär einen neuen Oberbefehlshaber haben, den Sprecher des Repräsentantenhauses, unabhängig davon, ob Trump physisch im Weißen Haus verbleibt oder nicht.

Was passiert bei einem Wahlchaos?

Was passiert aber, wenn die Wahl knapp ausfällt und Trump versucht das offizielle Ergebnis zu seinem eigenen Vorteil zu untergraben. Trump stehen mehrere Möglichkeiten offen, ein offizielles Ergebnis anzuzweifeln (Trotz Niederlage könnte Trump im Amt bleiben, Donald Trump überlegt weiter, wie er das Wahlergebnis als gefälscht abtun kann), was Massenproteste provozieren würde. Die Sorge lautet, dass Trump die amerikanischen Truppen in ein eventuelles Chaos nach den Wahlen hineinziehen und auf die Straßen schicken könnte, um in dieser Zeit für "Gesetz und Ordnung" zu sorgen. In vielen Swing-Staaten werden derzeit so viele Waffen gekauft, wie noch nie.

Trump, der im Juni mit dem Einsatz von Bundestruppen drohte, um die Anti-Rassismus-Proteste in vielen Städten einzudämmen, hatte ein zweihundert Jahre altes Gesetz namens Insurrection Act (Aufstandsgesetz) einsetzen wollen. Das Gesetz ermöglicht es einem Präsidenten, Militärtruppen im aktiven Dienst zu entsenden, um Unruhen gegen den Einspruch der Gouverneure zu unterdrücken. Trump sagte: "Wenn eine Stadt oder ein Bundesstaat sich weigert, die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um das Leben und das Eigentum ihrer Einwohner zu verteidigen, dann werde ich das US-Militär einsetzen und das Problem schnell für sie lösen. Ich entsende Tausende und Abertausende schwer bewaffneter Soldaten, Militärangehöriger und Vollzugsbeamter, um die Ausschreitungen, Plünderungen, Vandalismus, Übergriffe und die mutwillige Zerstörung von Eigentum zu stoppen." Sowohl General Milley als auch Verteidigungsminister Mark T. Esper lehnten den Schritt damals entschieden ab.

"Die Option, aktive Einsatzkräfte in einer Strafverfolgungsfunktion einzusetzen, sollte nur als letztes Mittel und nur in den dringendsten und schlimmsten Situationen genutzt werden. Wir befinden uns jetzt nicht in einer dieser Situationen. Ich unterstütze die Berufung auf das Aufstandsgesetz nicht", sagte Esper gegenüber Reportern damals.

Doch führende Beamte im Pentagon sollen gegenüber der NYTimes unter der Bedingung der Anonymität eingeräumt haben, dass sie untereinander über Handlungsoptionen eruierten, wenn Trump, der vom Wahltag bis zum Tag der Amtseinführung weiterhin Präsident sein wird, sich auf den Insurrection Act beruft und versucht, Truppen auf die Straßen zu schicken. Beamte des Verteidigungsministeriums sollen nach Angaben der NYTimes unter vier Augen die Möglichkeit diskutiert haben, dass Trump versuchen könnte, jegliche zivilen Unruhen rund um die Wahlen zu nutzen, um einen Militäreinsatz durchzudrücken. Ein solcher Schritt könne zur Folge haben, dass sich viele führende Generäle gezwungen sehen würden, zurückzutreten, angefangen mit General Milley. Dies würde Trump allerdings die Möglichkeit geben, die Leerstellen mit neue Generälen zu besetzen, die willens sind auf sein Geheiß zu handeln.

Das Militär, das bei inneren Angelegenheiten keine Rolle spielen will, müsse genau dafür einen Plan schmieden, "wie sie verhindern, dass sie eine Rolle spielen", sagt Devin Burghart, der Präsident des Institute for Research and Education on Human Rights. "Das Pentagon plant für sämtliche Eventualitäten, einen Krieg mit Kanada und eine Zombie-Apokalypse, aber es will nicht für umkämpfte Wahlen planen. Das sind riesige Fragen, die sich auf den Ruf der Institution auswirken". Er fügte hinzu: "Das Problem ist, dass das Militär, wenn es etwas nicht tun will, nicht gerne darüber nachdenkt."

In seinen Schlussbemerkungen während einer virtuellen Ansprache am Donnerstag sagte Milley an die US-Truppen: "Bleiben Sie unpolitisch und behalten Sie die Verfassung in Ihrem Herzen. Danke für das, was Sie tun."

Trump düpiert Anhängerschaft

Trump selbst hat sich wiederholt abschätzig gegenüber dem Militär geäußert. Kürzlich bezeichnete Trump einem Bericht des Magazins The Atlantic zufolge gefallene Soldaten als "Verlierer" und "Trottel", auch George Bush und John McCain, die dem US-Militär im Krieg dienten, nannte er so und düpierte womöglich in der republikanischen Wählerschaft selbst jene Anhänger, die ihm 2016 noch nachsahen, dass weder er noch seine Söhne gedient haben. Das nützt Biden, der damit punktet, dass sein Sohn Beau im Irakkrieg im Einsatz war.

2016 gewann Präsident Donald Trump laut Exit-Umfragen 60% der Stimmen derer, die im Militär gedient haben. Laut einer Umfrage der Military Times unter etwa 1.018 Soldaten im aktiven Dienst ergab, dass Trumps Ansehen seit 2016 gefallen ist. Fast 50 Prozent hatten demnach eine ablehnende Haltung gegenüber Trump, 38 Prozent waren für ihn, 41 Prozent dagegen für Biden. In einer Umfrage, die zu Beginn der Präsidentschaft Trumps durchgeführt wurde, hatten 46 Prozent der Truppen eine positive Meinung von ihm.

Zwar veröffentlichte Trumps Wahlkampfteam vor einer Woche einen Brief, in dem sich 235 pensionierte Militäroffiziere für seine Wiederwahl aussprechen, doch diese Woche zog Bidens Team nach: 489 ehemalige hochrangige Offiziere, darunter 22 Viersterneoffiziere, unterzeichneten einen Brief, der eine zweite Amtszeit Trump missbilligt. In dem Brief heißt es: "Wir lieben unser Land. Leider haben wir auch Angst um es." Sie wünschen sich Biden als Präsidenten.