"Bundesregierung sollte diesen gefährlichen Präzedenzfall verhindern"

Dirk Engling ist ehrenamtlicher Sprecher des Chaos Computer Club Deutschland. Foto: Sabrina Fiedler

CCC-Sprecher Dirk Engling über die US-Anklage gegen Julian Assange, Beobachtung von Events in Berlin und die Verantwortung der Bundesregierung

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Herr Engling, Das US-Justizministerium führt in einer erweiterten Anklageschrift gegen Julian Assange drei öffentliche Veranstaltungen in Deutschland auf, darunter auch den 30. Chaos Communication Congress Ende 2013. Was ist damals denn geschehen, dass sich nun das US-Justizministerium für Sie interessiert?

Dirk Engling: Nachdem die Gründer von WikiLeaks auf dem 26. Chaos Communication Congress ihr Projekt und ihre Ziele vorgestellt hatten, war es wichtig, gerade in unserer Community einen Appell an all die Hacker mit Gewissen zu richten, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn ihnen im Rahmen ihrer administrativen Arbeit illegale oder unmoralische Vorgänge bei ihren Dienststellen und Arbeitgebern auffallen. Eigentlich sollte dies in einer freien Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Dieser Auftritt wird der US-Justiz nun als Aufruf zur Spionage verdreht, um das juristisch heikle Auslieferungsersuchen der USA zu untermauern.

Wie deuten Sie die Beobachtung und Auswertung (USA spähten für Assange-Anklage Veranstaltungen in Deutschland aus) von Aktivitäten des CCC durch US-Behörden, wieso findet das auf einmal Beachtung in einer erweiterten Anklageschrift?

Dirk Engling: Die Community des CCC ist quasi seit ihrer Gründung im Fokus der Geheimdienste und Polizeien. Zum einen liegt das natürlich am Umfeld der Kommune 1, wo sich die ersten Hacker zusammengefunden haben. Zum anderen hängt das naturgemäß auch mit der wachsenden Bedeutung der IT für Überwachung und Spionage zusammen.

Dass der CCC die Geheimdienste und ihre Praktiken schon jahrzehntelang offen und zuweilen scharf kritisiert, hält deren Mitarbeiter offenbar nicht davon ab, sich bei unseren Veranstaltungen fortzubilden. Da der CCC-Ansatz des Erfahrungsaustauschs im Kontrast zur steten Geheimhaltung von kommerziellen IT-Dienstleistern eine günstige Fortbildungsbasis der notorisch rückständigen staatlichen IT-Kräfte ist, tummelten sich die Dienste schon früh auf unseren Veranstaltungen.

Auch ausländische Geheimdienste sind bekannt dafür, auf Hackerkonferenzen präsent zu sein, teils, um zu rekrutieren, teils, um über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben. Somit war es natürlich nicht überraschend, dass den US-Behörden auch die Auftritte der WikiLeaks-Gründer bekannt waren.

Dass diese nun in der Anklageschrift explizit erwähnt werden, ist einerseits der Versuch, weitere Belege zu konstruieren, die eine Auslieferung von Julian in die USA rechtfertigen könnten. Andererseits ist das auch eine drohende Botschaft in die Community: "Wir sehen euch, und ihr solltet aufpassen, was ihr auf der Bühne von euch gebt!"

"Die Leaks waren ganz überwiegend im öffentlichen Interesse"

Wie sehen Sie denn den damaligen Aufruf von Assange zum Leaken? War das illegal?

Dirk Engling: In den letzten Jahren wurde mehrfach festgestellt, dass die Leaks ganz überwiegend im öffentlichen Interesse waren und auch die Bemühung von WikiLeaks, die geleakten Inhalte zu schwärzen, durchaus journalistischen Standards genügte. Bei näherer Betrachtung ist ja der Appell an Zivilcourage und bürgerliches Engagement nur dann angeblich illegal, wenn die USA ein paar antiquierte Landesverratsparagraphen aus dem Keller holen.

Auch in Deutschland ist ein solches Vorgehen gegen Journalisten nicht komplett unbekannt - zuletzt wollte ein damals angesehener deutscher Geheimdienstchef namens Hans-Georg Maaßen mit einem ähnlichen Mittel die Publikation netzpolitik.org ruhigstellen.

Dabei war der Auftritt von Assange damals auch bei Ihnen nicht unumstritten ...

Dirk Engling: Das trifft nicht zu für das Jahr 2010. Im Gegenteil: Wir als Veranstalter und auch die Zuhörer waren aufgeschlossen für das radikale Konzept, das übrigens der Hackerethik geradezu entspringt. Die Privatperson Julian Assange ist im persönlichen Umgang tatsächlich komplexer zu beurteilen, stand aber damals noch nicht so im Mittelpunkt von Wikileaks.

Es ging vielmehr um einen Ansatz, der sich im Namen mit dem Teil "wiki" noch wiederfindet: Die Community sollte zusammen an Leaks und deren Veröffentlichung arbeiten. Es gab für die Vorstellung des Konzepts viel Beifall, innerhalb, aber auch außerhalb des CCC.

Zwar sind später nicht alle Entscheidungen der Plattform, welche Leaks priorisiert und welche zurückgehalten werden, immer wohlwollend von der CCC-Community aufgenommen werden. Es gab also genug Reibefläche innerhalb einer Szene, in der solche Bedenken auch gerne laut diskutiert und hemdsärmlich an die Oberfläche getragen werden.

Dass die grundsätzliche Idee und die Kernwerte von WikiLeaks innerhalb unserer Gemeinschaft aber weite Unterstützung finden, zeigte sich schon an den Experimenten mit OpenLeaks, die gerade die Kritikpunkte an WikiLeaks adressieren sollten.

Wie wird der CCC damit umgehen, dass die Veranstaltung in der US-Anklageschrift gegen Assange genannt wird?

Dirk Engling: Dass eine offene Plattform wie der CCC von Geheimdiensten missbraucht wird, um die hanebüchenen Vorwürfe zu stützen, können wir nicht verhindern, aber öffentlich anprangern. Natürlich ist die Auswahl der Vorträge, die auf dem Congress gehalten werden, sehr bewusst gewählt, und auch auf dem letzten Congress hat beispielsweise der Vortrag von Andy Müller-Maguhn von zur Maschinerie der Überwachung von Julian Assange in der Londoner Botschaft Ecuadors einen vielbeachteten Platz eingenommen.

Wir werden nicht aufhören, die Geheimdienste als das zu entlarven, was sie sind: Behörden, die sich allzu oft nicht an Regeln, Gesetz oder auch nur gute Sitten, geschweige denn Moral halten. Auch sonst bleiben der kritische Umgang mit staatlicher Überwachung, die Manipulation von politischen Prozessen und politische Brennpunkte wie Hongkong im Fokus unseres Vortragsprogramms.

Ich denke eher, dass dieses Signal die Community weiter anspornen wird: Schließlich scheint die Arbeit einen Effekt zu haben. Jenseits des öffentlichen Programms fanden und finden sich Aktivisten und Hacker zusammen, um Werkzeuge und Strukturen zu schaffen, mit denen staatliche Unterdrückung verhindert werden kann.

Die Bundesregierung sollte alle diplomatischen Kanäle bemühen

Das Auswärtige Amt hat auf Telepolis-Anfrage erklärt, man habe die erweiterte Anklageschrift gegen Assange zur Kenntnis genommen. "Die Zuständigkeit für das Auslieferungsverfahren liegt nicht bei der deutschen Justiz und das Auswärtige Amt kann Julian Assange als australischen Staatsbürger in diesem Verfahren auch nicht konsularisch betreuen", hieß es von dieser Seite weiter. Von einer öffentlichen Bewertung der Anklageschrift und konkreter Ermittlungsergebnisse wolle man daher absehen und zu den Inhalten der Veranstaltungen könne man "mangels eigener Erkenntnisse" keine Auskunft geben. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Dirk Engling: Tatsächlich hat die Bundesregierung formal wenig Handhabe bei einem Auslieferungsprozess gegen einen Australier zwischen den USA und Großbritannien. Aber das Problem ist natürlich ein größeres: Aktivisten aus Europa waren jahrelang ehrenamtlich bei WikiLeaks aktiv, und das verquere Rechtsverständnis der USA lässt sich eins zu eins auf andere Fälle anwenden. Die Bundesregierung sollte alle diplomatischen Kanäle bemühen, diese gefährliche Präzedenz zu verhindern. Zudem müssten allein schon die humanitären Aspekte der Untersuchungshaft, die zuletzt von Nils Melzer…

... dem UN-Sonderberichterstatter für das Thema Folter ...

Dirk Engling: …detailliert aufbereitet und als Folter klassifiziert ("Präzedenzfall für ein repressives Vorgehen gegen investigative Journalisten") wurden, mehr als genug Anlass liefern, deutliche Kritik auch an den ehemaligen EU-Partnern in London zu üben.

Ferner kann die Bundesregierung natürlich vor der eigenen Haustüre kehren, um international glaubwürdiger auftreten zu können: den Schutz von Whistleblowern gesetzlich verankern, Anfragen nach Informationsfreiheitsgesetzen nicht mehr blockieren, sondern besser und schneller nachkommen.

Welche Auswirkungen kann der ganze Fall auf Ihre Arbeit haben?

Dirk Engling: Wir werden natürlich genau so weitermachen: Wikileaks sollte Mut machen und anspornen, sich gegen die Geheimniskrämerei der Mächtigen und Korrupten zu stellen. Wenn wir uns einschüchtern lassen, ist hingegen ein Exempel gegen Whistleblower statuiert und Vertreter der Presse werden sich zweimal überlegen, ob sie investigativ tätig werden.