Trump baut Vormacht der Rechten am Obersten Gerichtshof aus

US-Wahlkampf: Die Demokraten verlieren beim Streit über die Besetzung des Richterpostens. Die New York Times wechselt auf ein anderes Thema - Steuern bezahlt der reiche US-Präsident wie ein Geringverdiener

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dieser Spannung hat der US-Präsident ein Ende gesetzt: Am Wochenende nominierte er die konservative Richterin Amy Coney Barrett als Nachfolgekandidatin für die kürzlich verstorbene Ruth Bader Ginsburg als Richterin am Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Der Nominierung war ein Streit darüber vorausgegangen, ob es politisch akzeptabel ist, die freigewordene Stelle noch vor den Wahlen am 3. November zu besetzen und damit politische Gewichte zu setzen, die weit über die Wahl hinausgehen.

Die Richter des Supreme Court werden auf Lebenszeit bestimmt. Mit der Ernennung von Amy Coney Barrett, die als christlich-konservativ beschrieben wird, sind die Mehrheitsverhältnisse eindeutig aufseiten der Republikaner. Sie besetzen dann 6 von 9 Richtersitzen mit Vertretern, die ihren politischen Ansichten nahestehen.

Vonseiten der Demokraten, ihrer Anhänger und ziviler Gruppen wird befürchtet, dass die Nominierung Barrets bei zwei großen Streithemen den Ausschlag gegen ihre Interessen geben könnte: Sie betreffen einmal die Abtreibungsgesetze, womit Trump Wahlkampf bei seinen christlichen Anhängern macht, und zum anderen das Gesetz Obamas zur erschwinglichen Krankenpflege (Affordable Care Act). Und es gibt noch einen dritten, akuteren politischen Grund, der die Debatten über die Einsetzung einer Kandidatin mit Nähe zu den Republikanern und Fragen zum Machtmissbrauch auflud.

Aufgeheizt durch Trumps wiederholte Äußerungen, wonach er einen Wahlsieg seines Gegenkandidaten Joe Biden nicht unbedingt gelten lassen würde, sondern ihn anfechten und selbst auf dem Posten bleiben würde ("Wir werden sehen": Trump hält Akzeptanz des Wahlergebnisses bei Niederlage offen), gibt es haufenweise Spekulationen darüber, ob der Supreme Court mit einer Mehrheit zugunsten der Republikaner hier das letzte Wort haben könnte und Trump unterstützt.

Die Kernfrage lautet, wie unabhängig die Richter am Supreme Court sind. Die Frage prägt auch die ersten Kommentare und Berichte zum Nominierungsvorschlag Amy Coney Barrett, ohne dass bei vielen Berichten der Ernstfall - eine Entscheidung über die Legitimität des Wahlergebnisses - tatsächlich angesprochen wird. Betont wird selbst in diversen kritischen Kommentaren, auch von außerhalb, die herausragende Qualifizierung der Kandidatin für das Amt und die Unabhängigkeit, die die von Trump nominierten Richterkandidaten, wie zum Beispiel Neil Gorsuch oder Brett Kavanaugh, bei Entscheidungen des Obersten Gerichts, etwa zu LGBT-Rechten oder in der Abtreibungsfrage, gezeigt haben.

"Ultrarechte Juristin"

Bei der sozialistischen Webseite WSWS wird das schärfer gesehen. Dort wird die Nominierung der "ultrarechten Juristin" direkt mit Trumps Erklärungen verbunden, die Briefwahl als ungültig anzufechten und dafür den Supreme Court mit der 6-zu-3-Mehrheit des rechten Lagers anzurufen, im Wissen und mit dem Kalkül, dass drei der Richter ihren Posten ihm zu verdanken haben. Biden und die Demokraten würden sich gegen diesen "politischen Coup" nur mit "heißer Luft" wehren, so der Eindruck der linken Webseite.

Amy Coney Barrett hat Trump viel zu verdanken. Er hatte sie 2017 als Richterin für das Bundesberufungsgericht (United States Court of Appeals for the Seventh Circuit) in Chicago vorgeschlagen, ein renommierter Posten mit Aussicht auf höhere Berufungen. Schon damals wurde sie als potenzielle Nachfolgerin von Ruth Bader Ginsburg gehandelt.

Herausgestrichen wurde ihre Unterstützung durch die US-amerikanische Juristenvereinigung der Federalist Society, die als konservativ und libertär beschrieben wird, 5 der derzeitigen acht Richter des Supreme Court gehören ihm an. Barett wäre die sechste aus dem Pool, aus dem das Weiße Haus unter Trump vorzugsweise seine Richterkandidaten rekrutiert.

"Das Reich Gottes aufbauen"

Der andere Gruppe, die mit Barrett in Verbindung gebracht wird, ist eine christliche Gemeinschaft namens People of Praise. Ob die Juristin wirklich Mitglied dieser Gruppe ist, wie ein Guardian-Artikel behauptet, wird von der Richterin nicht bestätigt. Sie diskutiere ihre Zugehörigkeit nicht öffentlich, so die britische Zeitung. Fotos würden aber dokumentieren, dass sie an mindestens einer Konferenz teilgenommen habe, Barretts Ehemann und ihr Vater seien Mitglieder.

Die Religionsgemeinschaft hat eine gewisse Präsenz an der renommierten Universität Notre Dame, wo Barrett Jura-Professorin war. Manche bezeichnen sie als Sekte, was von den People of Praise nicht gerne gesehen wird, wohl auch nicht von Barrett. Zu erwarten ist, dass die von Trump nominierte Kandidatin dazu vom Senat befragt wird.

Zumal von ihr die Aussage im Umlauf ist, dass sie als Jura-Professorin einmal in einer Vorlesung gesagt haben soll, eine Justiz-Karriere sei immer nur ein "Mittel zum Zweck" - und das Ziel sei, "das Reich Gottes aufzubauen". Auch heißt es, dass die People of Praise einzig Sex unter verheirateten Heterosexuellen als normgerecht und gottgefällig gelten lässt.

Die Fragen, die die Demokraten bei der Anhörung im dafür zuständigen Senatsausschuss stellen werden, sind, wie es aussieht, die einzige Möglichkeit, aus der sie in der Sache möglicherweise Kapital für den Wahlkampf schlagen können.

Allerdings dürfte sich Barrett, nach dem was über ihre Kompetenzen als Juristin berichtet wird, sich dort kaum Blößen geben. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Senat - 53 Sitze halten die Republikaner und 45 die Demokraten - muss sich Bidens Wahlkampfteam ein anderes Thema suchen, die Nominierung über den 3. November hinaus zu verzögern, sei nicht möglich, heißt es.

750 US-Dollar Einkommenssteuern

Am späten Sonntagabend Mitteleuropäischer Zeit brachte die New York Times dann Enthüllungen über die Steuern, die Trump in den letzten Jahren bezahlt hat: 750 US-Dollar an Einkommenssteuern im Jahr 2016, die gleiche Summe in seinem ersten Jahr als Präsident und keinerlei Steuern in 11 der vorausgegangenen 18 Jahre, die die Zeitung untersucht hat.

Trump-Wähler sind - mehr als die von ihm bestellten Richter - für ihre faktenresistente Loyalität bekannt.