Völkerrecht kann "Ergreifen von extraterritorialen Sanktionen nur wenig entgegensetzen"

Foto: Gerd Fahrenhorst. Lizenz: CC BY 4.0

Ein Bundestagsgutachten kommt zum Ergebnis, dass eine deutsche Klage gegen die amerikanischen Nord-Stream-2-Sanktionen eher geringe Aussichten auf Erfolg hätte

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Im letzten Monat sagte einer Sprecherin der EU-Kommission dem Handelsblatt,die amerikanischen Sanktionen gegen die Erdgaspipeline Nord Stream 2 verstießen gegen das Völkerrecht, weil sie nicht unmittelbar dem Schutz von US-Bürgern dienten. Ein auf eine Anfrage aus der Linkspartei hin in Auftrag gegebenes Gutachten für den Bundestag hält diese Rechtsmeinung nicht für herrschend.

"Mittelbare Auswirkungen nicht auszuschließen"

"Auch", so die Rechtsexperten, "wenn eine direkte Auswirkung des Nord Stream 2-Projekts auf die nationale Sicherheit der USA fern liegt", seien nämlich "mittelbare Auswirkungen nicht auszuschließen". Selbst dann, wenn man der amerikanischen Behauptung einer Gefährdung der eigenen nationalen Sicherheit keinen Glauben schenke, bewege sie sich doch im Rahmen eines "politischen Ermessensspielraums, der sich praktisch kaum justitiabel machen lässt": "Den USA steht es [nämlich] nach den Ausnahmeklauseln im [deutsch-amerikanischen] Freundschaftsvertrag [von 1954] und in den WTO-Bestimmungen frei, ihre nationalen Sicherheitsbelange eigenständig zu definieren." Darüber hinaus gebe es "keine objektiven völkerrechtlichen Kriterien, um die Auslegung und Anwendung des Schutzprinzips rechtlich einzuhegen".

Weil "das Völkerrecht dem Ergreifen von extraterritorialen Sanktionen nur wenig entgegensetzen" kann, empfehlen die Gutachter anstatt einer Klage das Verfolgen einer "diplomatischen Lösung". Um die bemüht sich die Bundesregierung bereits seit geraumer Zeit: Am 7. August soll der deutsche Finanzminister Olaf Scholz einem Bericht der Wochenzeitung Die Zeit nach seinem amerikanischen Äquivalent Steve Mnuchin das Angebot unterbreitet haben, für ein Nichtausschöpfen der "existierenden rechtlichen Möglichkeiten für Sanktionen" und die amerikanische Erlaubnis der Fertigstellung und des Betriebs von Nord Stream 2 die "öffentliche Unterstützung" für den Bau zweier Flüssig[erd]gasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven "massiv durch die Bereitstellung von bis zu 1 Milliarde Euro zu erhöhen" (vgl. "Schutzgeld" für Nord Stream 2?).

An solchen Terminals können Schiffe mit US-amerikanischem Flüssigerdgas anlegen. Das ist wegen seiner relativ aufwendigen Förderung aus Schiefer und wegen des Seetransports mit Kühlung und Kompression im Regelfall teurer als über Pipelines geliefertes Erdgas. Deshalb sind die insgesamt 26 europäischen Flüssigerdgas-Terminals aktuell mit nur 55 von 235 verfügbaren Milliarden Kubikmetern ausgelastet. Und selbst dieser Auslastungsgrad kommt nur dadurch zustande, dass beispielsweise in Litauen die Regierung den staatlichen Energieversorger anwies, einen Liefervertrag zu schließen und auch andere Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtete, diesem Mindestmengen abzunehmen (vgl. Flüssigerdgas: Erzwingen die USA den Abschied von der Marktwirtschaft?).

"Für Deutschland und viele europäische Staaten von großer Bedeutung, um die Energieversorgung der Zukunft sicherzustellen"

Vielleicht ist das Angebot, zu dem sich die Bundesregierung nicht offiziell äußert, aber auch schon überholt: Inzwischen hat sich für die Bundesregierung mit dem Fall Nawalny nämlich eine Gelegenheit ergeben, das Projekt Nord Stream 2 so zu beerdigen, dass es wie eine deutsche Entscheidung aussieht. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel meinte in diesem Zusammenhang bereits über ihren Regierungssprecher, "dass es falsch [sei], etwas auszuschließen".

Die russische Staatsführung weist Vorwürfe, Alexei Nawalny vergiftet zu haben, allerdings weit von sich. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kritisiert in diesem Zusammenhang, Russland sei um eine Aufklärung des Falls bemüht, was jedoch in Deutschland "nicht auf Gegenseitigkeit" stoße. Forderungen, wegen dieses unaufgeklärten Falls die fast fertige Pipeline ungenutzt verrotten zu lassen, seien "emotionale Aussagen, die nicht auf irgendwelchen Fakten beruhen". Außerdem liege der Bau der Pipeline "im Interesse der Energiesicherheit des gesamten europäischen Kontinents".

Dezidiert gegen den Weiterbau von Nord Stream 2 sind aber nicht nur die Politiker im US-Kongress, sondern auch die deutschen Grünen (vgl. Die merkwürdige Energiepolitik der Grünen). Sie verhinderten über ihre Beteiligung an fünf der sechs Regionalregierungen, dass die Ministerpräsidenten aus den vor 30 Jahren beigetretenen deutschen Bundesländern bei einem Treffen am 18. September einen gemeinsamen Beschluss zur Fertigstellung von Nord Stream 2 fassten.

Stattdessen gab es lediglich eine Protokollnotiz, in der es heißt es, die christ- und sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und der Thüringer Regionalregierungschefs Bodo Ramelo von der Linkspartei hätten "das Ostseepipelineprojekt Nord Stream 2 erörtert" und festgestellt, dass es "sinnvoll und richtig" sei, da es "für Deutschland und viele europäische Staaten von großer Bedeutung ist, um die Energieversorgung der Zukunft sicherzustellen".

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