Schwarz-grünes Modell Wuppertal

Eine linke Bewegung hätte die Aufgabe, statt mantrahaft immer die Bildung einer progressiven Koalition zu fordern, in Theorie und Praxis eine Alternative aufzubauen - Ein Kommentar

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Kommunalwahlen haben in der Regel wenig bundespolitische Auswirkungen. Doch die Ergebnisse der Kommunalwahlen am Wochenende in NRW können schon manchen bundespolitischen Fingerzeig geben. Vor allem für die Freunde einer angeblich progressiven Koalition aus SPD, Grünen und Linken dürfte es eine weitere Ernüchterung gegeben haben. Die Linke, die schon vorher unter der Fünfprozenthürde war, hat noch einen Prozentpunkt verloren. Vor allem die abgehängten fordistischen Arbeiter, die lange Zeit SPD gewählt hatten und seitdem politisch heimatlos waren, sehen in der Linken größtenteils keine Wahlalternative.

Der AfD ist es auch wegen ihrer momentanen Zerstrittenheit nicht gelungen, dieses Wählerpotential zu erreichen. Allerdings erzielte sie in einigen Wahlkreisen durchaus fast zweistellige Zahlen, was zeigt, dass da durchaus noch Erfolge möglich sind.

Eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken angereichert noch mit der linksliberalen Partei Volt wäre rechnerisch in Bonn möglich. Dort hat die Kandidatin der Grünen die Unterstützung dieser Parteien bekommen und gewonnen. Für die Linke besteht die Krux darin, dass sie in dem von der Hauptstadt der BRD zum Rheindorf zurückgefallenen Bonn Stimmen bei Studierenden und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen bekommen hat, also genau um das Klientel der Grünen streitet. Dann würden die Linke die etwas linkeren Grünen wählen - mit dem Problem, dass das Klientel überschaubar ist.

Grenzen, die die objektiven Verhältnissen setzen

Zumal eben das größere Problem darin besteht, dass es theoretisch nicht unmöglich, praktisch aber ungemein schwierig ist, auch das viel größere Milieu der heimatlosen Sozialdemokraten zu erreichen. In Fragen der Umwelt beispielsweise können hier die Widersprüche gravierend sein.

Die Linken haben nach der erneuten Wahlschlappe erneut betont, sich besser den sozial Abgehängten als Alternative vorzustellen. Das plant der NRW-Landesverband bereits seit Jahren. Zudem gehört der trotz Kritik wiedergewählte Landessprecher der NRW-Linken Christian Leye zu den Unterstützern der Bewegung Aufstehen, die genau die sozial Abgehängten organisieren wollte. Doch das war bundesweit ebenso schwierig wie für die Linke in NRW. Es gibt dann immer wieder organisationsinterne Fehlerdebatten, die oft in Streitereien enden.

Vielleicht sollten sich linke Parteien und Organisationen auch mal mit den Gedanken befassen, dass es objektive Bedingungen in Zeiten der Niederlage der Arbeiterbewegung gibt, die dafür verantwortlich sind, dass eben sozial Abgehängte mehrheitlich weder bei Aufstehen noch bei der Linken eine Alternative sehen. Das ist kein Plädoyer für Resignation. Doch ein linker Realismus, wie er auch Karl Marx und Friedrich Engels zu eigen war, die durchaus von den Grenzen wussten, die die objektiven Verhältnisse setzen, kann dazu beitragen, die politische Situation adäquat zu analysieren.

Schwarz-Grüner Projektemacher

Dann würde man auch verstehen, warum ausgerechnet das Ergebnis der Kommunalwahl in Wuppertal ein Fingerzeig für die politische Konstellation nach der Bundestagswahl sein kann. Dort siegte ein wirtschaftsliberaler Grüner mit Unterstützung der CDU, die in der Stadt, die als Geburtsort von Friedrich Engels und Heimat der Schwebebahn weltbekannt wurde, vorher keinen Fuß auf den Boden bekommen habt. Am Ende stand Uwe Schneidewind mit über 53 % ganz klar vor dem SPD-Kandidaten.

Vom Vordenker eines schwarz-grünen Bündnisses Peter Unfried wurde Schneidewind schon seit Wochen als Projektmacher dieser Konstellation gefeiert. Einen Tag vor der Wahl legte Unfried in einer Taz-Kolumne noch mal nach und sah in dem Wahlergebnis in Wuppertal sogar eine Antwort auf die Frage, ob Zukunft noch möglich ist.

Der langjährige Chef des Transformations-Thinktanks Wuppertal Institut tritt für die Grünen und die CDU an. Das Mutige besteht darin, dass Schneidewind die evidenten kulturellen Gegensätze zwischen Grüner Jugend und Senioren-CDUlern nicht mehr als K.-o.-Kriterium akzeptiert, sondern offensiv eine gemeinsame Zukunftsgeschichte über wirtschaftliche, soziale und ökologische Projekte erzählen will, auf die man sich einigen kann, ohne einen gesellschaftspolitischen Weltsichts- und Sprachkanon zu teilen.

Peter Unfried

Wichtig ist zu erwähnen, dass es sich hier um die Zukunft des aktuellen kapitalistischen Akkumulationsmodells handelt, das in einer schwarz-grünen Koalition seine Interessen am besten aufgehoben sieht. Soziale Fragen sind dann so marginalisiert, dass die beiden sozialdemokratischen Parteien dafür nicht einmal als Juniorpartner gebraucht werden. Philosophisch wird dieser kapitalistische Realismus sehr gut vom aktuellen Modephilosophen Markus Gabriel bedient, der es fertigbringt über in seiner Gegenwartsanalyse nicht einmal das Wort Kapitalismus zu erwähnen.

Was dann bei dieser Schwundphilosophie unter Ausblendung jeglicher materialistischer Analyse übrig bleibt kann man an diesen Fragen und Antworten sehen:

Wir betrachten uns doch aber in aller Bescheidenheit in politischer, technologischer, kultureller und gerade moralischer Hinsicht als überlegen.


Gabriel: Ach was. Wir sind überhaupt nicht mehr überlegen, nur in der Selbstwahrnehmung. Wir denken, Europa sei als Wohlstandsort überlegen, und deshalb müssen wir das Mittelmeer absichern, weil sonst alle herüberschwimmen.
Ist das nicht so?

Gabriel: Ich glaube nicht, dass die Leute in Schanghai, Mumbai, Tokio oder Zhengzhou uns als überlegen sehen.

Das interessiert uns aber nicht.

Gabriel: Und genau das ist unser Problem. Ich war unlängst bei einem KI-Kongress in Schanghai, und da war eine Milliardärin aus Hongkong, der wohl ein großer Teil der dortigen Filmindustrie gehört. Es gab einen Empfang in der Weinbar in der Dachetage des größten Gebäudes von Schanghai. Die Milliardärin zeigte mir den Blick, und ich schaue mit ihr runter, und ich denke nur, mein Gott, New York ist ja ein Kaff dagegen, und genau das wollte sie mir zeigen. Und dann sagte sie: "Bald machen eure Kinder meine Handys."

Markus Gabriel

Da sollte man doch mal in einige der Schriften von Marx blicken, der den Aufschwung Chinas erklären kann. Doch für Markus Gabriel ist Marx ein Tabu.

Eine linke Bewegung hätte die Aufgabe, statt mantrahaft immer die Bildung einer progressiven Koalition zu fordern und sich damit immer ununterscheidbarer von Linksliberalen zu machen, in Theorie und Praxis eine Alternative aufzubauen. Dazu gehört sowohl eine Kampfansage an das schwarz-grüne Projekt und seine Vordenker. Dabei sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, dass es schnelle Wahl- oder Kampagnenerfolge geben wird. Es gilt die Grenzen zu erkennen, die die objektiven Verhältnisse des neuen kapitalistischen Akkumulationsregimes setzen. Und es gilt zu erkennen, dass auch dieses sämtliche Widersprüche des Kapitalismus in sich trägt. Eine linke Bewegung muss diese unter den aktuellen Verhältnissen erkennen und politisieren.

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