Syrien: Kriegspropaganda im 21. Jahrhundert

Ein syrischer Oppositioneller, vermutlich von Hayat Tahrir asch-Sham, in einem türkischen Panzer. Erst seitdem die islamistischen Milizen Brutalitäten im Dienste des türkischen Militärs ausüben, wurden die westlichen Medien wach. Foto: Propaganda der HTS-"Medienagentur" ebaa.news.

Leaks aus dem britischen Außenministerium bestätigen Vorwürfe über ein systematisches Weißwaschen der bewaffneten islamistischen Milizen als moderate Opposition

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Label "moderate Opposition" oder "Rebellen" als Sammelname für die Milizen, die mit Waffengewalt in Syrien einen islamischen Staat herbeiführen wollten, hat sich lange gehalten. Erst seit einigen Monaten taucht in deutschen, englischen oder französischen Berichten der Begriff "islamistisch" oder "dschihadistisch" öfter auf, wenn es um diese Gruppierungen geht.

Dass sich der Blick auf die Verhältnisse auf dem syrischen Terrain erst mit einer derartigen Verzögerung verändert hat, hat mehrere Gründe; einer davon ist die professionelle und weitreichende Medien-PR-Arbeit zugunsten der militanten Gotteskrieger gegen die syrischen Regierung. Wie schnell die Medienabteilungen der islamistischen, salafistischen und dschihadistischen Milizen arbeiteten, war in Journalistenkreisen kein Geheimnis. Über Mail oder Whats-App-Kontakte wurde sehr rasch auf Ereignisse und Konfliktstoffe in Medienberichten reagiert. Die Milizen sind gut vernetzt.

200 bis 300 Leaks "mit empfindlichem Inhalt"

Anfang September wurde eine große Menge an Dokumenten veröffentlicht, die auf eine Medien-PR-Arbeit für die bewaffnete islamistische Opposition in Syrien deuten, deren Strategie und Ausmaß eine riesige Dimension haben. Sie ist ein Exempel für Kriegspropaganda am Anfang des 21. Jahrhunderts. Finanziert wurde sie von Regierungen Großbritanniens, den USA, europäischen Staaten und der EU, wie aus den Papieren hervorgeht.

Es handelt sich vermutlich um 200 bis 300 Leaks "mit empfindlichem Inhalt" aus dem britischen Außenministerium (FCDO), wie Middle East Eye berichtet. Über die Hacker wird noch gerätselt. Dazu stellt sich die Frage, wie es möglich war, in die Computer des Foreign Office einzudringen.

Zahlreiche Kostproben der geleakten Dokumente sind hier und hier veröffentlicht. Bislang haben sich nur der US-Journalist Ben Norton für The Grayzone und der französische Journalist Maxime Choix für Deep-News-Media die Mühe gemacht, das Material in längeren Berichten auszuwerten.

Ob die Dokumente authentisch sind, ist nicht belegt, aber wenig spricht dagegen. Das britische Außenministerium gibt dazu keinen Kommentar ab.

Es ist dies allerdings nicht die erste Veröffentlichung, die die Finanzierung von Medienarbeit durch die britische und US-amerikanische Regierung betrifft, um die Aktivitäten der bewaffneten Opposition in einem guten Licht zu präsentieren ( Propaganda: Syrische Bürgerjournalisten als militärisch-politische Schnittstelle). Dafür dass die britische Regierung mit Kommunikationsberatungsunternehmen in Sachen Syrien zusammengearbeitet hat, gibt es offizielle Belege.

Die in den Dokumenten aufgeführten Vertragspartner der britischen Regierung sind bekannt. Einer der Partner, die InCoStrat (Innovative Communications & Strategies) hatte schon 2016 gegenüber dem Guardian bestätigt, dass man Medien- und Kommunikationsunterstützung für die moderate syrische Opposition liefere. Die andere große Agentur ARK ist seit den Anfängen der syrischen Opposition "beraterisch" tätig, wie sie in einer Analyse-Broschüre von 2016 (Stichwort "Understanding the Syrian conflict") berichtet.

InCoStrat wurde von einem britischen Ex-Militär gegründet, der auch als strategischer Berater für Kommunikation im britischen Verteidigungsministerium arbeitete. Der Chef des Vertragspartners The Global Strategy Network (TGSN), auch ein Vertragspartner der britischen Ministerien, war früher ein Leiter der globalen Anti-Terroreinheit im MI6. Die erwähnte Kommunikationsagentur ARK hat ihren Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Angedeutet werden damit einmal die Verquickung des Militärapparats in die Image-Arbeit, auch das britische Verteidigungsministerium war an einigen PR-Aktionen beteiligt, und die Möglichkeiten einer enormen Reichweite durch beste Beziehungen in der arabischen Welt, zumal zu arabischen Sendern.

Beste Kontakte zur New York Times, CNN, der BBC, dem Guardian, der Financial Times...

Die Vertragspartner der britischen Regierung - teilweise sind sie auch Vertragspartner der USA, in manchen Feldern sind auch die EU oder Dänemark laut Papieren mit von der Partie; wo es um die Weißhelme geht, kann man auch eine Beteiligung Frankreichs vermuten - haben Ausbildung, Gerätschaften, Geld für Journalisten bereitgestellt, die die syrische, arabische und internationale Öffentlichkeit mit Berichten, Filmen und Rundfunkbeiträgen versorgten, um das Bild der politischen Opposition, der "Freien Syrischen Armee" und darin eingeschlossen auch radikale, dschihadistische, al-Qaida-nahe Milizen, so gut wie möglich darzustellen.

Auszüge aus den Erfolgsmeldungen der Vertragspartner, wie sie aus den geleakten Dokumenten hervorgehen: Mehr als die Hälfte der Stringer, die für al-Jazeera in Syrien tätig waren, wurden in einem gemeinsamen USA-UK-Programm namens "Basma" ausgebildet. Von Basma stammen Hunderte von syrischen Media-Aktivisten. InCoStrat rühmt sich, dass zu seinem Netzwerk mehr als 1600 internationale Journalisten und Influencer gehören, die zu pro-oppositionellen Talking-Points "gepusht" werden können.

ARK rühmt sich, dass die Agentur beste Kontakte zu Reuters, der New York Times, CNN, der BBC, dem Guardian, der Financial Times, al-Jazeera, Sly News Arabic, Orient TV und al-Arabija hat. Über 668.000 der Printprodukte, die mit Beratung von ARK produziert wurden, seien in Syrien verteilt worden. Die Agentur aus Dubai übernahm auch die PR-Strategie des Obersten Militärischen Rates (SMC), der Führung der damals FSA genannten Milizen. Laut ARK gehörte es zu ihrer Kommunikationsstrategie, das Image so weich wie möglich zu halten.

In der FSA fanden sich Milizen, die wie Jaish al-Islam, eine strenge islamistische Agenda mit Scharia-Gerichten verfolgten und aus deren Herrschaftsbereich von grausamen Behandlungen Oppositioneller berichtet wurde, auch gab es aus den Reihen der FSA-Milizen Sympathieäußerungen zum Fanatismus und dem Terror von al-Qaida-Gruppen, mit denen man Kampfbündnisse einging. Vorneweg die al-Nusra-Front (später unbenannt in Hayat Tahrir- asch-Scham), die der al-Qaida entstammt und früher eng mit Milizen des "Islamischen Staats" verbunden war. So war es auch für aus der Türkei anreisende Dschihadisten nicht unüblich, dass sie, in Syrien angekommen, zwischen den Gruppierungen wechselten.

Bürgerjournalismus im Auftrag von PR-Agentur mit einer politischen Agenda

Die geleakten Dokumenten zeigen, dass auch al-Nusra-Vertreter Gesprächspartner der von den PR-Agenturen angeworbenen, ausgebildeten und bezahlten "Bürgerjournalisten" waren, die ihr Material dann an Medien weitergaben. Nun ist reden mit extremen Gruppen das eine, das andere ist, deren Aktivitäten und Ziele systematisch und geplant zu verharmlosen - was dazu beitrug, den Krieg zu verlängern.

Besondere PR-Pflege kam den Weißhelmen zugute. Das wird niemand überraschen, der die professionell inszenierten Clips und Pressestatements der "Helfer" gesehen und sich gewundert hat, wie Personen mit enger Verbindung zu Hardcore-Milizen im Elysée-Palast feierliche Auftritte bekommen.

Überraschend ist, wie weit sich die PR-Strategie erstreckt. Auch die von der EU geförderte Commission for International Justice and Accountability (CIJA) gehörte laut den geleakten Dokumenten zum PR-Angebot der Agenturen. Von ARK heißt es gar, dass das Beratungsunternehmen die (dann umbenannte) Vorgängerorganisation Syrian Commission for Justice and Accountability (SCJA) erst ins Leben gerufen hat. Teilen der CIJA wird von Grayzone-Autoren Nähe zu Dschihadisten vorgeworfen.

Interessant ist auch, dass sich die PR-Macher damit rühmen, "Guerilla-Taktiken" in ihre Kommunikation aufgenommen zu haben. "Ereignisse schaffen, die zum Medienereignis werden", heißt das Stichwort dazu. Als Beispiel wird genannt, dass man während der Belagerung von Homs Personen mit T-Shirts in die TV-Bilder brachte, die Assad als Erschaffer des IS darstellten. Dieser Mythos hält sich bis heute.