Datenschutz: Bundesdatenschutzbeauftragter kritisiert Heils Gesetzentwurf

Bundesarbeitsminister Heil will die Steuer-ID für die digitale Rentenübersicht nutzen. Kelber äußert Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit

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Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber stellt die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der von Arbeitsminister Heil geplanten Nutzung der Steuer-ID als Identifikationsmerkmal für die digitale Rentenübersicht infrage. Das geht aus einer Stellungnahme Kelbers zum Referentenentwurf1 des Bundesarbeitsministeriums vor, die Telepolis vorliegt.

Das Online-Portal zur digitalen Rentenübersicht soll Bürger ab 2023 über individuelle Ansprüche aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Alterssicherung informieren. Um das Online-Portal nutzen zu können, müssen Nutzer darin einwilligen, dass ihre Steuer-ID für nicht-steuerliche Zwecke verwendet wird (Näheres dazu: Steuer-ID soll auch für Rentenübersicht genutzt werden).

Schon vor einer etwaigen Anfrage soll die Steuer-ID bei den an das Portal angebundenen Vorsorgeeinrichtungen erfasst und dem jeweiligen Kundendatensatz zugeordnet sein. Deshalb wird Vorsorgeeinrichtungen, die im Rahmen des Rentenbezugsmitteilungsverfahrens bereits technisch an das Bundeszentralamt für Steuern angebunden sind, in Bezug auf den bereits bestehenden Kundenbestand erlaubt, die Steuer-ID ohne Einwilligung ihrer Versicherten zu erheben und dabei auf das ursprünglich für Steuerzwecke eingerichtete maschinelle Verfahren des Bundeszentralamtes für Steuern zurückzugreifen.

Der Gesetzentwurf zur digitalen Rentenübersicht sei " aus datenschutzrechtlicher Sicht bedenklich", heißt es in der Stellungnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten an das Bundesarbeitsministerium.

Durch die Steueridentifikationsnummer solle "die Authentifizierung der Nutzenden bei der Anmeldung und die Zuordnung von Informationen durch die meldenden Rentenversicherungsträger" erfolgen.

Anmerkung: Der Begriff "Authentifizierung" wird in Kelbers Stellungnahme unklar verwendet. Tatsächlich soll laut Gesetzentwurf die Steuer-ID bei einer Anfrage nicht zur Authentifizierung verwendet werden, sondern als eindeutiges Identitätsmerkmal zur Übermittlung an die Vorsorgeeinrichtungen und zur Zuordnung zum jeweiligen Kundendatensatz. Das Verfahren für die Authentifizierung der Nutzenden bei der Anmeldung hingegen soll erst später per Verordnungsermächtigung bestimmt werden. Der Gesetzentwurf gibt hier nur vor, dass die Authentifizierung sicher nach dem jeweils aktuellen Stand der Technik erfolgen müsse.

Die Verwendung der Steueridentifikationsnummer unterliege "aus verfassungsrechtlichen Gründen", betont Kelber, "einer strikten in § 139b Abs. 4 AO abschließend geregelten Zweckbindung, die sich ausschließlich auf steuerliche Zwecke bezieht". Die geplante Zweckerweiterung bilde einen "Fremdkörper, indem nunmehr auch eine Verwendung der Steueridentifikationsnummer für andere als steuerliche Zwecke in der Abgabenordnung normiert" werde.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte kritisiert des Weiteren, dass in Heils Gesetzentwurf eine Begründung fehlt, "warum eine Erweiterung der Zweckbindung für außerhalb der Abgabenordnung liegende Zwecke in der Abgabenordnung verfassungsrechtlich zulässig ist". Weiter heißt es: "Insbesondere ist nichts dazu ausgeführt, warum eine Verwendung der Steueridentifikationsnummer, die einer strengen Zweckbindung für steuerliche Zwecke unterliegt, erforderlich ist. Andere Alternativen, wie etwa die Verwendung der Sozialversicherungsnummer werden nicht in Betracht gezogen."

Das ist so nicht ganz richtig. Tatsächlich enthält die Gesetzesbegründung bereits in der Fassung des Referentenentwurfs die Auseinandersetzung mit einer alternativen Erfassung der Sozialversicherungsnummer: Die Alternative wird mit der Begründung abgelehnt, dass nicht alle Bürger eine Sozialversicherungsnummer haben und die Steuer-ID zudem entweder von etlichen Vorsorgeeinrichtungen bereits rechtmäßig erfasst worden sei oder zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin erfasst würde. Ob diese Argumentation den Bundesdatenschutzbeauftragten überzeugt, bleibt unklar, zumal Kelber laut Auskunft der obersten Behörde für Datenschutz und Informationssicherheit zum inzwischen veröffentlichten Kabinettsentwurf für eine digitale Rentenübersicht keine weitere Stellungnahme erstellt hat.

Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung der Steuer-ID als Identifikationsmerkmal für die digitale Rentenübersicht hängt auch davon ab, ob ausreichende organisatorische und technische Schutzvorkehrungen getroffen werden, mit denen eine Zusammenführung gesammelter Datensätze über die Bürger verhindert werden kann.

Ein vom Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es

verfassungsrechtlich unzulässig (oder zumindest kritisch) ist, Identifikationszeichen zu schaffen, die es erlauben würden, Informationen über Bürger aus verschiedenen Bereichen miteinander zu verknüpfen. Folglich wäre vor der Verwendung der IdNr. für Zwecke einer säulenübergreifenden Altersvorsorgeinformation zunächst verfassungsrechtlich zu prüfen, ob die Verknüpfung von Steuersachverhalten mit allen Formen der (größtenteils) steuerbegünstigten Altersvorsorge überhaupt grundsätzlich möglich wäre.

Gutachten

Eine datenschutzrechtliche Bewertung dieses verfassungsrechtlich relevanten Sachverhalts findet sich nicht in der Stellungnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten, was auch daran liegen könnte, dass der Gesetzentwurf die Entscheidung über eine Reihe wichtiger Maßnahmen zur Wahrung des Datenschutzes auf die Zukunft, also auf einen Zeitpunkt nach der Verabschiedung des Gesetzes, verschiebt. Kelber bittet in seiner Stellungnahme aber um "rechtzeitige Beteiligung bzw. Unterrichtung".

Die Steuer-ID wurde 2008 mit der Zusicherung eingeführt, dass sie nur für steuerliche Zwecke verwendet werde. Bereits damals warnten Datenschützer davor, dass die Zweckbindung schrittweise durch entsprechende Gesetze aufgelockert werden könnte, um den Weg hin zu einem verfassungsrechtlich bedenklichen einheitlichen Personenkennzeichen zu ebnen.

Tatsächlich gewinnt Heils Plan, die Steuer-ID für außersteuerliche Zwecke zu verwenden, auch eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund eines zweiten, zeitlich parallel von Bundesinnenminister Seehofer verfolgten Gesetzesvorhabens zur Registermodernisierung, das im Rahmen der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ein "registerübergreifendes Identitätsmanagement" vorsieht. Dazu soll die Steuer-Identifikationsnummer zur allgemeinen Bürgernummer ausgeweitet werden.

Die Einführung einer solchen Personenkennziffer ist in Deutschland sehr umstritten. Mit der Personenkennziffer verknüpft sich, so ein Gutachten der Universität Speyer, die Vorstellung, dass Behörden Daten über Bürger systematisch zusammenführen,

um auf dieser Grundlage gezielt in deren Sphäre privater Lebensgestaltung vorzudringen und das Innerste ihrer Persönlichkeit auszuleuchten. Das Verfahren, mit dessen Hilfe die chinesische Regierung in ausgewählten Regionen die soziale Zuverlässigkeit anhand eines Score-Wertes misst, entwirft insoweit - neben den Erinnerungen aus der NS-Zeit und der DDR - eine abschreckende Kontrastfolie: Es greift zur Identifikation der Betroffenen auf eine Kennziffer zurück.

Gutachten

Beide Gesetzesvorhaben (Digitale Rentenübersicht und Bürgernummer) zeigen das Bestreben der Bundesregierung, die aus verfassungsrechtlichen Gründen zugesicherte Zweckbindung der Nutzung der Steuer-ID aufzulösen. Trotz dieser verfassungsrechtlichen Relevanz ist die mediale Resonanz darauf bisher eher gering.