"Die Gewalt der Vereinigung"

Fahnen bei der Vereinigungsfeier in Berlin, am 03.10.1990. Foto: Bundesarchiv; Bild 183-1990-1003-004 / Grimm, Peer / CC-BY-SA 3.0

Während der Bundestag sich zum 30ten Jahrestag der Wiedervereinigung feiert, erinnern zivilgesellschaftlichen Gruppen an die Opfer und diejenigen, die keinen Frieden mit den deutschen Verhältnissen gemacht haben

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Natürlich haben 30 Jahre nach der Wiedervereinigung fast alle im Parlament vertretenen Parteien das hohe Lied vom Sieg der friedlichen Revolution gesungen. Nur die Linkspartei mäkelte wie üblich, dass die deutsche Einheit nicht vollendet ist, solange noch unterschiedliche Lebensbedingungen in Teilen des wiedervereinigten Landes bestehen.

Man zeigte Schwarz-Rot-Gold, wie sich schon an dem Text zur Debatte zeigte. Unter diesen Zeichen gab es große Einigkeit und natürlich wurde auch dem AfD-Vertreter nicht widersprochen, der vom Sieg eines patriotischen Aufstandes sprach. Nicht zur Sprache kamen an diesen Tag die Opfer dieses deutschen Patriotismus, seien es Linke, sozial und politisch Unangepasste, Juden und Migranten.

Schon lange vor der Wiedervereinigung gab es diese Angriffe in beiden Teilen Deutschlands in unterschiedlichem Ausmaß. Doch sie nahmen ab dem Herbst 1989 enorm zu. Jetzt hat eine kleine Gruppe von Antifaschisten an die rechten Übergriffe in der Nacht zum 3. Oktober erinnert.

Rechte Gewalt am Vorabend der Vereinigung

Auf ihrer Homepage, die schon im Namen verdeutlicht, dass es um die Gewalt am Vorabend der Vereinigung geht, wird an die erinnert, denen am 3. Oktober 1990 nicht zum Feiern zumute war, weil sie um ihr Leben fürchten mussten. Der größte rechte Angriff am Vorabend des 3. Okt. 1990 fand in Zerbst statt. Dort belagerten fast 200 Neonazis ein besetztes Haus und zündeten es an. Die 17 jugendlichen Besetzer konnten erst in letzter Minute vom Dach des brennenden Hauses gerettet werden und mussten teilweise schwer verletzt ins Krankenhaus.

Auf der Homepage wird aus einem Brief einiger der Besetzer ans Antifaschistische Infoblatt wenige Tage nach dem Überfall zitiert:

Zerbst ist eine Stadt, in der es von Möchtegern-Nazis nur so wimmelt. Wir, das sind ungefähr 20 Leute zwischen 13 und 18 Jahren, haben uns vor einem halben Jahr zusammengeschlossen, weil es auf den Straßen zu gefährlich wurde. Zu unserer Gruppe gehören Wakes, Punks und Normalos. Die Hälfte sind Mädchen. Es gab des Öfteren Zusammenstöße zwischen uns und den Rechten.

Homepage zweiteroktober90.de

Auch in Weimar kam es am 2. Okt. 1990 zu einem Neo-Naziüberfall auf ein besetztes Haus in der Gerberstraße, das bis heute mit Verträgen als linker Anlaufpunkt in der Stadt besteht und mit seinen Gittern weiterhin davon zeugt, dass es sich gegen Angriffe verteidigen muss. Rechte Randale gab es vor 30 Jahren auch in den Innenstädten von Magdeburg und Leipzig. Auf der sehr benutzerfreundlich gestalteten Homepage finden sich auch viele Originaldokumente, darunter Zeitungsausschnitte aus der Regionalpresse und Fotos der Betroffenen.

In die überregionale Presse haben es die Angriffe damals größtenteils nicht geschafft. Höchstens wurden einige Zeilen auf den hinteren Seiten vermeldet. Schließlich war Deutschland in Feierlaune und wollte sich die patriotische Aufwallung von niemandem verderben lassen. Das war nicht nur am 3. Oktober 1990 so; auch beim Deutschen Sommermärchen, der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, galt als Spielverderber, wer nicht in Schwarz-Rot-Gold mitfeiern wollte. Die Psychologin Dagmar Schediwy ist eine der wenigen, die in ihrem Buch "Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold" einen kritischen Blick darauf wirft.

Ein Tag im deutschen Herbst vor 30 Jahren

Die Erinnerung an die Opfer der Vereinigung ist umso verdienstvoller, weil sie einen Kontrapunkt zur dominanten Erzählung vom Sieg der friedlichen Revolution setzt. Für die Opfer der rechten Gewalt waren diese Zeiten gar nicht so friedlich. Das Redaktionsteam von zweiteroktober90.de hat einen entscheidenden Tag herausgegriffen. Doch betont es, dass der Höhepunkt der Gewalt seine Vorläufer hatte.

Die Angriffe vom 2. und 3. Oktober 1990 hatten sich im Vorfeld angebahnt und waren entsprechend absehbar. In den Monaten zuvor hatten Neonazis am Rande gesellschaftlicher Großereignisse wie dem Himmelfahrtstag oder der Fußball-WM immer wieder Linke und Migrantinnen und Migranten attackiert. Zudem hatten sie für den 2. und 3. Oktober 1990 solche Angriffe konkret angekündigt. Sowohl der Staat als auch die Bevölkerung als auch die Presse wussten also davon und konnten sich darauf einstellen.

Homepage zweiteroktober90.de

Und die Gewalt ging danach weiter. Die pogromartigen Ereignisse von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Mannheim-Schönau sind nur einige Orte, die sich in erster Linie den Opfern eingeprägt haben und manchen kundigen. In linksliberalen Medien wird mittlerweile von den "Baseballschlägerjahren" gesprochen. Manche, die damals als Jugendliche Angst vor der rechten Gewalt hatten, schreiben heute über diese Zeit. Einige der Täter dürften heute AfD-Wähler sein.

Die Erinnerung an die rechte Gewalt der Vereinigungsjahre macht auch verständlich, warum sich damals eine antinationale und in Teilen antideutsche Linke bildete, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Umso verdienstvoller, dass das Monatsmagazin Konkret, das einen wesentlichen Anteil an der Formierung dieser linken Strömung hatte, in der aktuellen Aufgabe mit dem Motto "30 Jahre sind genug" daran anknüpft. In Potsdam hat gerade unter dem ebenso bezeichnenden Titel re:kapitulation ein Kongress begonnen, der die Menschen erreichen will, die bis heute keinen Frieden mit den deutschen Verhältnissen gemacht haben.