Taser bei der Bundespolizei: Schüsse möglichst von hinten

Bild "Taser": Axon

In einem Jahr könnte das Bundesinnenministerium die flächendeckende Ausstattung der Bundespolizei mit "Elektroimpulsgeräten" entscheiden. Bis dahin dürfen die Beamten in einem Pilotprojekt auch auf Kinder schießen

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Die Bundespolizei-Inspektionen Berlin-Ostbahnhof, Kaiserslautern und Frankfurt/Main-Hauptbahnhof haben Anfang September ein Pilotprojekt zum Einsatz von Tasern begonnen. Die Beamten sollen dabei Schüsse auf Herzkranke vermeiden. So steht es in einer Verwaltungsvorschrift vom 7. August, die das Bundesministerium des Innern für das Modell "Taser X2" des US-Herstellers Axon erst jetzt im Ministerialblatt veröffentlicht hat. Der Bezug des Dokuments ist kostenpflichtig, die Plattform "Frag den Staat" hat es online gestellt.

Bei der Polizei firmieren Taser als "DistanzElektroImpulsGeräte" (DEIG). Die Beamten schießen mit einem Draht verbundene Pfeile ab, die rund einen Zentimeter in die Haut eindringen und dort für mehrere Sekunden einen Stromimpuls von 50.000 Volt abgeben. Die Betroffenen spüren einen sehr starken Schmerz und sind zunächst vollständig gelähmt.

"Hilfsmittel der körperlichen Gewalt"

Bislang war bei der Bundespolizei nur die Spezialeinheit GSG 9 mit Tasern ausgerüstet, laut einem Bericht des "Spiegel" wurden sie dort aber nie genutzt. Bei der GSG 9 sind die Geräte der Schusswaffe gleichgestellt, in dem neuen Pilotprojekt der Bundespolizei gelten sie hingegen nicht mehr als "Waffe", sondern als "Hilfsmittel der körperlichen Gewalt".

Ihre Anwendung ist in §2 Absatz 3 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UzwG) geregelt. Vergleichbare Mittel sind dort Fesseln, Wasserwerfer, Diensthunde oder auch Dienstpferde. Die Aufbewahrung der "Elektroimpulsgeräte" erfolgt jedoch wie bei Schusswaffen in der zuständigen Dienststelle, das Führen außerhalb des Dienstes ist deshalb "nicht vorgesehen".

Die Bundespolizei will ihre rund 30 Taser in Lagen nutzen, in denen andere Maßnahmen "im Hinblick auf eine sichere Lagebewältigung nicht geeignet oder unverhältnismäßig sind". Damit soll eine Gefährdung von Polizeivollzugsbeamten vermieden oder wenigstens minimiert werden. Als zweites Ziel gilt die Verhinderung von "in den Folgen schwerwiegenderen Einsatzmitteln" wie etwa Schusswaffen.

Der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes sieht das kritisch: "Wer von einem Taser getroffen wird, fällt um wie ein Baum - Videos dazu finden sich im Internet. In welche Richtung die Person fällt, und wo sie mit dem Kopf aufschlägt, ist nicht berechenbar, schwere Verletzungen sind vorprogrammiert", schreibt der langjährige Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum auf Anfrage von Telepolis.

Direkter Stromstoß bleibt untersagt

Auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Einsatz von Tasern als äußerst riskant und häufig tödlich. Amnesty International zählt allein für die USA mehrere Hundert Tote, die deutsche Sektion spricht sich deshalb gegen die Einführung in Deutschland aus. In mehreren Bundesländern sind bereits Menschen bei Taser-Einsätzen gestorben. Auch dort werden die Elektroimpulswaffen in Pilotprojekten erprobt, darunter von Spezialeinheiten wie dem bayerischen USK, aber auch von Streifenpolizisten wie in Hessen oder Rheinland-Pfal.

Laut einer Amnesty-Studie zu Tasern in den Niederlanden sind Einsätze dort häufig unzulässig oder unverhältnismäßig, unter anderem wurden Häftlinge oder Festgenommene in Handschellen getasert. Bestimmungen dazu enthält die Verwaltungsvorschrift der Bundespolizei nicht. Untersagt wird aber der sogenannte "Kontaktmodus", in dem das Gerät direkt an den Körper gehalten wird und dabei starke Schmerzen, aber keine Lähmung verursacht.

Wie werden Risikogruppen erkannt?

Laut der jetzt veröffentlichten Vorschrift müssen die deutschen Beamten den Einsatz des Tasers vorher androhen. Sie sollen die Elektroschockwaffe dann "möglichst gegen den Rücken" oder auf den unteren Oberkörper der Zielperson abfeuern. Nicht erlaubt ist die gleichzeitige Nutzung zweier Geräte gegen eine Person.

Neben Herzkranken soll auch der Einsatz gegen Schwangere vermieden werden. Die Verwaltungsvorschrift bestimmt nicht, wie die Bundespolizisten die beiden Risikogruppen wie beschrieben "dem äußeren Eindruck nach" beurteilen. "Selbst ausgebildete Kardiologen erkennen Herzkranke nicht am äußeren Erscheinungsbild. Wie sollen das dann Polizeibeamte tun, zudem noch in einer Stresssituation?", kritisiert Polizeiwissenschaftler Feltes. Näheres könnte eine Handlungsanweisung für die Bundespolizei regeln, die jedoch nicht veröffentlicht wird.

Ebenfalls unterbleiben sollen Schüsse auf Personen, bei denen Absturzgefahr besteht oder die sich im Wasser befinden. Auch in Situationen, die eine "unverhältnismäßig hohe Gefährdung" verursachen könnten, sollen die Beamten auf andere Mittel zurückgreifen, genannt werden Schüsse auf Menschen im Wasser und auf Menschen, die Maschinen bedienen oder ein Kind auf dem Arm tragen. Auf Kinder selbst darf hingegen geschossen werden, aber nur wenn es sich um Notwehr oder Nothilfe handelt.

Defibrillatoren zur "Risikominimierung"

Der Bundespolizei ist die tödliche Wirkung eines "Elektroimpulsgeräts" auf den Kreislauf der Betroffenen laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage bekannt. Vor der testweisen Einführung hat das Bundesinnenministerium eine wissenschaftliche Studie beim Institut für Health Care Engineering veranlasst. Die Einrichtung der Technischen Universität in Graz ist eine "Europaprüfstelle für Medizinprodukte". Dort heißt es im Ergebnis, dass das Restrisiko für die Betroffenen "klein, aber grundsätzlich nicht gänzlich zu vernachlässigen ist".

Zur "Risikominimierung" sollen die Beamten, die an dem Pilotprojekt beteiligt werden, deshalb Defibrillatoren zur Notfall-Behandlung von Herzrhythmusstörungen mitführen und in deren Anwendung geschult werden.

Die Einsätze der "Taser X2" müssen gemäß der Verwaltungsvorschrift gegenüber dem Bundesministerium des Innern unter Angabe "besonderer Vorkommnisse" dokumentiert werden. Nach Abschluss der einjährigen Erprobung will die Bundespolizei über eine bundesweite Ausstattung im Kontroll- und Streifendienst nachdenken.