Ist Spanien ein "gescheiterter Staat"?

Foto: Ralf Streck

Man habe "Kontrolle verloren", resümiert die FAZ. Die NZZ fragt, ob es sich um einen "failed state" handelt, dem man keine Hilfsgelder geben sollte

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Schon vor sechs Jahren, als der damalige König Juan Carlos angesichts seiner Skandale abdanken musste, stellte Telepolis im Titel fest: Spanien: Nah dran am "failed state". Dass dieser König wegen seiner Verwicklungen in massive Korruption inzwischen sogar aus dem Land in die Arabischen Emirate fliehen musste und auch der Oberste Gerichtshof am vergangenen Mittwoch bestätigt hat, dass die "Korruptionspartei" - auch Volkspartei (PP) genannt - aus der Regierung heraus ein "effizientes System institutioneller Korruption" betrieben hat, sind markante Indizien für einen gescheiterten Staat.

Korruption, die aus den höchsten Staatsämtern betrieben wird, und dazu die Unfähigkeit zu Reformen zeigen an, dass in einem Land etwas massiv schiefläuft. Und dass der Chef der Volkspartei, Mariano Rajoy, nie angeklagt wurde, spricht ebenfalls dafür.

Ein "M. Rajoy" hat nach den Aufzeichnungen des Schatzmeisters Luis Bárcenas sogar die höchste Gesamtsumme aus den schwarzen Kassen erhalten, die über Schmiergelder gefüllt wurden, und für die im Gegenzug öffentliche Aufträge vergeben wurden. Lange Jahre hat die Partei, die von Mitgliedern der Franco-Regierung gegründet wurde, sich illegal finanziert und ist gedopt in die Wahlkämpfe gegangen. Rajoy trat nicht einmal zurück, sondern musste per Misstrauensantrag gestürzt werden.

Das Problem erstreckt sich aber nicht nur auf die nun größte Oppositionspartei, denn auch die regierenden Sozialdemokraten haben massive Korruptionsskandale zu verantworten. Dass die sozialdemokratische Regierung sogar in die Flucht des Königs eingebunden war und der Steuerzahler zumindest zum Teil dafür aufkommt, dass er sich den laufenden Ermittlungen durch die Justiz entzogen hat, ist sicher auch kein Zeichen dafür, dass mit dem unsäglichen Geschehen endlich aufgeräumt wird.

Die Justiz

Neben den Parteien und der Monarchie ist auch die spanische Justiz eine Stütze des "Regimes von 1978". Ihre Unabhängigkeit ist so schwach ausgeprägt, dass sogar Richter und Staatsanwälte immer wieder einmal streiken. Auch die Group of States against Corruption (GRECO) des Europarates fordert wiederholt Reformen von Spanien, da Richter in höchst merkwürdigen Vorgängen auf ihre Posten kommen, nicht dank ihrer Verdienste, sondern wegen ihrer Verbindungen zur entsprechenden Partei. Auch im letzten GRECO-Bericht wurden erneut massive Veränderungen angemahnt. Immer wieder stellt Greco auch fest, dass die Forderung an Transparenz und Korruptionsprävention nicht umgesetzt werden.

Die Skandale dieser Justiz sind Telepolis-Lesern allseits bekannt. Folter wird von ihr nicht verfolgt, weshalb Spanien immer wieder mal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt wird. In Straßburg am EGMR wurden wiederholt Unrechtsurteile in unfairen Prozessen kassiert, mit denen mit erfundenen Anklagen Politiker und Aktivisten für viele Jahre im Gefängnis verschwinden.

Unrechtsurteile kann es überall geben. Der große Skandal in Spanien ist aber, dass sie, wenn es gegen Katalanen und Basken geht, Methode haben. Deshalb haben klare Unrechtsurteile für die Richter auch keinerlei Konsequenzen. Legen sich Richter jedoch mit der PP und ihren Machenschaften an, werden sie schnell abserviert.

Diese Justiz hat es sich gerade sogar geleistet, in einem "juristischen Krieg", wie es auch hochrangige Verfassungsrechtler kritisieren, den katalanischen Regierungschef wegen einer Bagatelle aus dem Amt zu hebeln. Zuvor hatte man verhindert, das Carles Puigdemont kandidieren konnte und einen Kandidaten nach dem ersten Wahlgang noch schnell inhaftiert, um seine Wahl im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zu verhindern.

Aus welchem EU-Land sonst sind solche Vorgänge bekannt? In Spanien wird sogar verhindert, dass ein Europaparlamentarier, der vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) Immunität zugesprochen bekam, seinen Abgeordneten-Sitz einnehmen kann. Stattdessen sitzt er seit drei Jahren in einem spanischen Gefängnis.

Es ist deshalb fast verständlich, wenn sich Polen und Ungarn angesichts der Vorgänge in Spanien darüber beschweren, dass sie mit Vertragsverletzungsverfahren überzogen werden, man in der EU-Kommission aber zu den Vorgängen in Spanien schweigt. Gerade hat der polnische Außenminister Pawel Jablonski per Twitter die EU gefragt, ob sie nun auch Spanien angreifen wird.