Keine Waffen für Frontex

Frontex-Uniform. Bild: Frontex

Die Europäische Union baut erstmals eine Grenztruppe mit einheitlichen Uniformen auf. Ihre geplante Ausrüstung mit Dienstpistolen, Schlagstock und Pfefferspray könnte rechtswidrig sein

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Kurz bevor die meisten europäischen Staaten in den ersten Corona-Lockdown gingen, hatte der türkische Präsident im Februar dieses Jahres tausende Geflüchtete an die westliche Landgrenze bringen lassen und sie zur Weiterreise über den Grenzfluss Evros nach Griechenland aufgefordert. Die Regierung in Athen reagierte mit einer drastischen Verstärkung polizeilicher und militärischer Einheiten, die mit Tränengas, Gummigeschossen und Pistolenschüssen gegen die Schutzsuchenden vorgingen, mindestens eine Person wurde dabei auf türkischer Seite erschossen. Auch die türkische Jandarma hat angeblich Schusswaffen eingesetzt und dabei auf Grenzbeamte auf der anderen Seite des Zauns gezielt.

Die Europäische Union unterstützt die griechische Operation seit über sieben Monaten mit einem "Soforteinsatzteam für Grenzschutzzwecke". Hierfür hat die EU-Grenzagentur Frontex rund 100 Beamte nebst "technischen Einsatzmitteln" an den Evros-Fluss verlegt, vorausgegangen war eine Anforderung aus Griechenland. "Evros 2020" ist der erste Frontex-Einsatz in einer "robusten" Umgebung, viele der aus den EU-Mitgliedstaaten entsandten Polizisten tragen dafür ihre Montur zur Aufstandsbekämpfung. Wohl eher symbolisch hat die österreichische Spezialeinheit Cobra ihren Polizeipanzer "Survivor" und kleine Drohnen mitgebracht. Die Bilder des gesamten Einsatzes wirken martialisch.

"Kategorie 1" unter Frontex-Kommando

Bislang war Frontex in allen Missionen auf Zusagen für Personal und Ausrüstung von einzelnen Regierungen angewiesen, bald kommandiert die Agentur aber eine eigene Grenztruppe. Die letztes Jahr beschlossene neue Frontex-Verordnung regelt den Aufbau einer "Ständigen Reserve" ("Standing Corps"), die bis 2027 insgesamt 10.000 Polizisten für Kurz- und Langzeiteinsätze umfassen soll. 3.000 von ihnen stehen dann als "Kategorie 1" im Sold von Frontex, ihre Kräfte sollen schon zum 1. Januar des kommenden Jahres ausgebildet und abrufbereit sein.

Die Beamten der "Kategorie 1" tragen einheitliche Uniformen, auch dies ist ein Novum. Ihre Lieferung soll noch bis Jahresende erfolgen, wie in den meisten Mitgliedstaaten werden auch die EU-Grenzer dann in blau unterwegs sein. Laut einer Beschreibung zu ihrem bereits veröffentlichten Design sollen die Uniformen "nicht einschüchternd wirken", aber Autorität erzeugen. Frontex will auf diese Weise "symbolisch die europäische Dimension und ihre Werte vermitteln".

Schließlich soll die neue EU-Grenztruppe mit den üblichen Einsatzmitteln zur Ausübung von Zwang bewaffnet werden, also Dienstpistole, Schlagstock, Handschellen und Reizstoffe (Pfefferspray oder sogar Tränengas). Dabei hat Frontex offenbar nicht bedacht, dass die neue Verordnung hierfür keine Rechtsgrundlage beinhaltet. Die Grenzagentur hat ihren Sitz in Warschau, in polnischen Gesetzen ist Frontex aber nicht als Einheit erwähnt, die Waffen oder Munition anschaffen, registrieren, lagern oder in Einsatzgebiete transportieren darf. Auch das Sitzabkommen, das Frontex mit der polnischen Regierung abgeschlossen hat, ermöglicht dies nicht.

Gespräche mit Waffenlieferanten

Das Problem ist den EU-Mitgliedstaaten seit geraumer Zeit bekannt. Im April wies das Sekretariat des Rates darauf hin, dass zwei Gutachten von einem "externen Experten" und einer Anwaltskanzlei für Regulierungsfragen die fehlende rechtliche Grundlage bestätigt hätten. Eine Lösung ist aber laut einem Frontex-Papier vom September nicht in Sicht.

Auch die Bundesregierung, die derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, verweist auf Nachfrage nur auf Abstimmungen von Frontex mit der EU-Kommission sowie polnischen Behörden. Denkbar wäre, dass Polen die Bewaffnung von Frontex mit einer Sondererlaubnis genehmigt. Normalerweise müssen derartige Verträge aber von der EU-Kommission verhandelt und beschlossen werden.

Ungeachtet der rechtlichen Unsicherheit und der immer noch fehlenden Erlaubnis hat Frontex eine Ausschreibung für die Pistolen, Munition und "nicht-tödliche Ausrüstung" vorbereitet. Die Agentur hat außerdem Gespräche mit Waffenlieferanten geführt. Diese hätten im Falle einer Auftragsvergabe die schnelle Lieferung versprochen.

Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass Frontex die Beschaffung bis Ende des Jahres abwickeln kann. Möglicherweise geht die "Kategorie 1" dann Anfang 2021 zwar einheitlich uniformiert, aber komplett unbewaffnet in den Einsatz.