Erdöl ins Feuer der Klimaschützer

Viel Geld für alte Konzepte: Parlamentarier kritisieren geplante Modernisierung des Energiecharta-Vertrags der EU (Bildquelle: oatsy40, CC BY 2.0)

EU will Energiecharta-Vertrag modernisieren. Bürger müssen womöglich Kosten in Milliardenhöhe für Zahlungen an fossile Energiewirtschaft tragen

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Mehr als 250 Parlamentarierinnen aus dem Europäischen Parlament und Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten haben sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen eine Neufassung des Energiecharta-Vertrags (ECT) der Union ausgesprochen. Mit der geplanten – aber öffentlich kaum diskutierten – Überarbeitung der Vereinbarung aus den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts würden Unternehmen und Investoren der fossilen Energiewirtschaft massiv bevorteilt, argumentieren die Unterzeichner, unter ihnen der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, und der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Klaus Ernst (Linke).

Problematisch sei vor allem die Implementierung umstrittener Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS) in dem Vertragswerk. Dadurch könnten Anbieter und Investoren der fossilen Energiewirtschaft gegen mögliche Umweltschutzbestimmungen klagen und horrende Entschädigungszahlungen erzwingen.

Der Energiecharta-Vertrag bedrohe damit die Klimaziele der EU auf nationaler und internationaler Ebene, heißt es in der heute veröffentlichten Erklärung, die Telepolis vorab vorlag.

"... könnten die Kosten mindestens 1,3 Billionen Euro erreichen" – Erklärung zur Modernisierung des Energiecharta-Vertrags

Als die EU und ihre Mitgliedstaaten den Vertrag ratifizierten, habe das Ziel in der Stärkung der Energiesicherheit der EU durch die kontinuierliche Versorgung mit fossilen Brennstoffen von Ost nach West gelegen. Allerdings habe sich Russland im Jahr 2009 aus dem Vertrag zurückgezogen, damit sei das gesamte Regelwerk im Grunde nutzlos.

Durch die Bestimmungen zum Investitionsschutz stelle der ECT indes eine ernsthafte Bedrohung für das europäische Ziel der Klimaneutralität und für die Umsetzung des Pariser Klima-Abkommens dar.

Unwissentlicher Schutz für fossile Energiewirtschaft

Dies sei umso problematischer, da die EU eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz anstrebe und zur ersten klimaneutralen Region der Welt werden wolle. "Der europäische Green Deal und das vorgeschlagene EU-Klimagesetz gehören weltweit zu den ehrgeizigsten politischen Instrumenten zur Bekämpfung des Klimawandels", so die Unterzeichner.

Der ECT schütze mit Hilfe des höchst umstrittenen Investor-Staats-Schiedsverfahrens Investitionen in fossile Brennstoffe, die hohe Treibhausgasemissionen verursachen und vervielfache so die Kosten des ökologischen Umbaus. "Während die EU-BürgerInnen ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen fordern, finanzieren sie unwissentlich Investoren in fossile Brennstoffe. Denn diese können mithilfe des ECT auf Schadensersatz klagen, wenn Staaten durch Klimaschutzmaßnahmen ihre erwarteten Gewinne einschränken", heißt es in der Erklärung weiter.

Wenn die Mitgliedsstaaten und die EU aber nicht aus fossilen Brennstoffen aussteigen, würden die durch den ECT geschützten kumulativen Treibhausgasemissionen bis 2050 einem Drittel des verbleibenden globalen Kohlenstoffbudgets für den Zeitraum 2018-2050 entsprechen, schreiben die Verfasser der Erklärung unter Verweis auf eine Studie des Expertennetzwerks OpenExp.

"Darüber hinaus sind die Kosten für die Fortführung des ECT höher als der im Juli vereinbarte historische EU-Wiederherstellungsfonds", so ihre Kritik: "Auf der einen Seite würden die durch den ECT geschützten stranded assets in fossilen Brennstoffen bis 2050 potenziell mindestens 2,15 Billionen Euro ausmachen, wenn diese Energieträger nicht aus dem verbindlichen Investitionsschutz des ECT ausgenommen werden."

Andererseits könnten die ISDS-Ansprüche bis 2050 auf mindestens 1,3 Billionen Euro anwachsen, wovon 42 Prozent von EU-Bürgern über Steuergelder getragen werden müssten.

Widerspruch zu europäischem Green Deal

Der Energiecharta-Vertrag stehe weder mit dem Europäischen Green Deal, mit dem vorgeschlagenen EU-Klimagesetz, den nationalen CO2-Neutralitätszielen, noch mit der Kreditpolitik der Europäischen Investitionsbank für Energieprojekte und der EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen in Einklang. Das Auslaufen des im ECT verankerten Investitionsschutzes für fossile Brennstoffe müsse aber eine Voraussetzung für die Verhandlungen über die Modernisierung des ECT sein.

Die Abgeordneten des EU-Parlaments und der nationalen Parlamente, fordern die Verhandlungsdelegation der EU daher auf, "dafür zu sorgen, dass die Bestimmungen im ECT, die ausländische Investitionen in fossile Brennstoffe schützen, gestrichen werden". Ebenso müssten die ISDS-Bestimmungen gestrichen oder grundlegend reformiert und eingeschränkt werden.

"Sollte dies bis zum Ende der für den Herbst geplanten 3. Verhandlungsrunde nicht erreicht werden, fordern wir die EU- Mitgliedstaaten auf, nach Wegen zu suchen, um sich bis Ende 2020 gemeinsam aus dem ECT zurückzuziehen", heißt es in dem Aufruf.

"Um den Klima-Killer Energiecharta-Vertrag zu entschärfen, müsste er grundlegend reformiert werden", bekräftigte gegenüber Telepolis Fabian Flues von der Organisation Power Shift. Die Chancen für eine solche Reform stehen jedoch äußerst schlecht. "Deutschland und die EU sollten daher Schritte einleiten, um aus dem Vertrag auszusteigen, statt sich auf endlose Verhandlungen einzulassen", so Flues.

"Es braucht keinen neuen Energiecharta-Vertrag aus alten Zeiten, der die Interessen von Privatkonzernen schützt“, so der Energie- und Klimaexperte der Linken im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin: „Statt einer klammheimlichen Neuauflage dieses Relikts aus dem Kohle- und Atomzeitalter, der aktuell hinter verschlossenen Türen ausgedealt wird, braucht die EU eine laute Debatte zu Klimaschutz und Energiewende.“

Die Frage sei, wer die Hoheit über die Energieproduktion und die Energie-Infrastruktur hat. Der Abgeordnete ist sich sicher: „Die Klimakrise im kapitalistischen Business-as-usual zu bewältigen ist reines Wunschdenken.“ Die Stromkonzerne und Stromnetze gehörten endlich wieder in öffentliche Hand.