Amerika: Die rechte Welle ist gebrochen

Hat durchaus noch Anhänger: Boliviens Ex-Präsident Evo Morales bei der Heimkehr am Montag

(Bild: https://bit.ly/3net31Z (@evoespueblo))

Und das nicht nur in den USA, sondern von Alaska bis Feuerland

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Im Schatten der US-Präsidentschaftswahl und des Ringens um ihr Ergebnis haben sich in Lateinamerika die politischen Gegebenheiten schon verändert. In gleich mehreren Staaten hat die politische Rechte, die in den vergangenen vier Jahren von der Regierung des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump unterstützt worden war, erhebliche Rückschläge erlitten. Allerdings wurden die demokratischen Siege südlich des Rio Grande bislang weitgehend aus eigener Kraft erreicht. Der Biden-Regierung kommt diese Entwicklung zupasse.

Wenn der demokratische Wandel in Lateinamerika illustriert werden sollte, dann kam das Bild dafür diese Woche aus der bolivianisch-argentinischen Grenzstadt Villazón. Dort trat am Montag der ehemalige bolivianische Präsident Evo Morales vor hunderten Anhängern auf, nachdem er aus dem argentinischen Exil zurückgekehrt war.

Möglich war Morales‘ Rückkehr durch den Sieg seiner linksgerichteten Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) bei den ersten demokratischen Wahlen nach einem Putsch vor einem Jahr, am 10. November 2019.

In seiner ersten Rede nach der Heimkehr bekräftigte Morales, es habe bei den Wahlen 2019 keinen Betrug gegeben, wie dies von den Putschisten und der US-nahen Organisation Amerikanischer Staaten behauptet und von deutschen Leitmedien wiederholt wurde. Der beste Beleg gegen die These eines Wahlbetrugs sei das Ergebnisse der diesjährigen Wahlen, bei denen die MAS 55,1 Prozent der Stimmen erhalten hatte, fügte er an.

Ein Jahr nach dem Putsch habe sich das Land "dank Demokratie und ohne Gewalt" von dem Rückschlag erholt. Morales verwies auf den Sieg des MAS-Kandidaten Luis Arce bei den Präsidentschaftswahlen am 18. Oktober. Zugleich erklärte er, weshalb er das Land verlassen hatte und ins Exil gegangen war. "Wäre ich geblieben, wären mir zwei Möglichkeiten geblieben: Ich wäre auf dem Friedhof gelandet oder in einem US-Gefängnis". Trump warf er vor, hinter dem Putsch 2019 gestanden zu haben. Allerdings habe der für seine Politik ja mit der Wahlniederlage in der vergangenen Woche seine Quittung erhalten.

Überwindung des Erbes der Diktatur in Chile

Ein Sieg für die Demokratie war auch aus Chile zu vermelden, wo die Bevölkerung sich auf eine Verfassungsgebende Versammlung vorbereitet. Knapp 80 Prozent der Bevölkerung hatten sich unlängst für die "Constituyente" – so der spanischsprachige Begriff des Gremiums – ausgesprochen und der rechtskonservativen Regierung von Präsident Sebastián Piñera damit eine empfindliche Niederlage zugefügt. (Diese Kräfte wollen eine neue Verfassung in Chile verhindern)

Die Verfassungsgebende Versammlung wird aus 155 Mitgliedern bestehen, die am 11. April 2021 – parallel zu den Regionalwahlen – bestimmt werden. In dem Verfassungskonvent darf kein Geschlecht mehr als 50 Prozent plus einem Sitz halten; das heißt, es dürfen in dem Gremium maximal 78 Männer oder Frauen vertreten sein.

Dafür ist eine "Ergebnisparität" angestrebt: Wenn in einem der 28 Wahlbezirke bei etwa vier zu vergebenden Mandaten drei Männer gewählt werden, muss der männliche Kandidat mit den wenigsten Stimmen seinen Sitz an die Frau aus derselben Partei mit den meisten Stimmen abgeben. Falls seine Partei keine weitere Kandidatin aufgestellt hat, geht der Sitz an die Frau aus dem jeweiligen Wahlbezirk mit den meisten Stimmen. Darüber hinaus sind Quoten für Vertreter indigener Bevölkerungsgruppen geplant.

Piñera, der in Umfragen zuletzt nur noch zwischen 16 Prozent und 24 Prozent Zustimmung lag, hatte alles versucht, das Vorhaben zu vereiteln.

Schon mit seiner Rede in Santiago de Chile am Abend des Referendums über eine neue Verfassung hatte er für erneute Kritik gesorgt, als er sagte, dass "eine Verfassung nie von neuem aus der Taufe gehoben wird, weil sie einen Kompromiss der Generationen darstellen muss". Sie müsse "auch das Erbe der vorherigen Generationen enthalten", so der rechtskonservative Politiker, in dessen Kabinett sich mehrere Fürsprecher der Pinochet-Diktatur befinden.

In dem Maße, in dem es der Demokratiebewegung in Chile also gelingt, die Reformbewegungen in einem neuen Grundgesetz zu verankern, wird die Elitenherrschaft mit ihrer Tendenz zur politischen Repression und Verherrlichung des autoritären Erbes der Pinochet-Diktatur gebrochen werden.

Biden würde auch in Lateinamerika ein Anti-Trump

Natürlich wird in Lateinamerika neben endogenen Entwicklungen viel von einer neuen US-Lateinamerika-Politik unter Biden abhängen. Schon während der Regierungszeit von Barack Obama hatte er sich als Vize-Präsident vehement für wirtschaftliche Hilfen für Zentralamerika eingesetzt, um die Zahl der Arbeitsmigranten zu reduzieren.

Nicht nur dieser Ansatz, für den er damals im Kongress 750 Millionen Euro aushandelte, steht in direktem Widerspruch zu der repressiven Anti-Migranten-Politik der Trump-Regierung, die nach wie vor 545 Kinder ihren Eltern entrissen hat.

Absehbar ist auch eine Abkehr von der aggressiven Regime-Change-Politik gegenüber Venezuela, Kuba und Nicaragua, die der später als Trumps Sicherheitsberater geschasste John Bolton einst als "Troika der Tyrannei" tituliert hatte.

Vor allem in der Frage der Arbeitsmigration werden Biden und sein Team, zu dem auch Einwanderer aus Lateinamerika gehören, einen breiteren und nachhaltigeren Ansatz verfolgen. Der Brasilien-Korrespondent der New York Times, Ernesto Lodoño, verwies unlängst darauf, dass nach dem zu erwartenden Regierungswechsel in Washington Armut und Gewalt als Grundursachen von Migration und Instabilität bekämpft würden. Hinzu kämen Programme gegen Korruption und für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Binnenwirtschaftlich ist von Biden demnach nicht nur der Versuch einer Neuauflage des New Deals zu erwarten, sondern regionalpolitisch auch eine neue Alliance for Progress.

Einher geht das alles freilich mit einer nach vier Trump-Jahren notwendigen Charme- und PR-Offensive. Die USA seien zu lange als ein "Tyrann betrachtet worden, der kleineren Ländern die Politik diktiert", so Bidens durchaus realistische Einschätzung in seiner Politiker-Biografie "Promise me, Dad".

Biden sei "grundsätzlich davon überzeugt, dass die Vereinigten Staaten in gegenseitigem Respekt und mit einem Gefühl der gemeinsamen Verantwortung handeln sollten", sagte auch Jake Sullivan, ein hochrangiger außenpolitischer Berater des designierten US-Präsidenten.

Dies würde wohl auch mit einer erneuten Abkehr von den paternalistischen Prinzipien der Monroe-Doktrin einhergehen, die unter Obamas Außenminister John Kerry ad acta gelegt und unter Trump 2018 reaktiviert wurde.

Bad News für Rechtsextremisten und Möchtegern-Präsidenten

Schlechte Nachrichten sind das natürlich für die Trump-Fans und -Protegés in Lateinamerika. Das Verhältnis der USA zu dem rechtsradikalen brasilianischen Regierungschef Jair Bolsonaro etwa dürfte sich deutlich abkühlen, sollte Biden in Washington das Ruder übernehmen.

Das hatte sich schon nach der ersten Debatte im US-Präsidentschaftswahlkampf abgezeichnet, in der Biden einen internationalen Fonds in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar zum Schutz des brasilianischen Amazonasgebietes vorschlug. Die Bolsonaro-Führung müsse mit "wirtschaftlichen Konsequenzen" rechnen, sollte die (von ihr forcierte) Abholzung der Wälder nicht gebremst werden, so Biden.

Trump-Fan Bolsonaro reagierte umgehend und erklärte empört: "Unsere Souveränität ist nicht verhandelbar."
Und noch ein anderer Nutznießer der Trump-Präsidentschaft dürfte derzeit mit Sorge auf das Geschehen in Washington schauen: Venezuelas selbsternannter Interimspräsident Juan Guaidó. Sollte Trump abtreten, würde er mit den USA nicht nur den Hauptalliierten verlieren.

In Folge würde wohl auch das in dieser Frage prinzipienlose deutsche Außenamt von der völkerrechtswidrigen Anerkennung Guaidós als Präsidenten abrücken müssen. Es wäre nicht das erst Mal, dass die Lateinamerika-Abteilung am Werderschen Markt nach Vorhaben aus Washington agiert, zu beobachten war das auch schon in der Haltung gegenüber Kuba.

Einen Vorgeschmack auf die neuen Verhältnisse auf dem amerikanischen Kontinent bekam Guaidó indes bereits diesen Montag. Nach der Amtsübernahme der ersten demokratischen Regierung in Bolivien seit dem Putsch vor einem Jahr übernahm Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza wieder die Botschaft des Landes in La Paz, die unter den Putschisten von Guaidó-Leuten besetzt worden war.

Arreaza nahm das Portrait des "Präsidenten" Guaidó ab und legte es – Gesicht gen Boden – zur Seite. An die Stelle des selbsternannten Interimspräsidenten hängte er das Konterfei des Befreiungshelden Simón Bolívar.