Restaurants, Bars, Cafés, Fitnesscenter sollen Superspreader-Orte sein

Bild: Queven/Pixabay.com

Das ist das Ergebnis einer Mobilitätsstudie aus den USA, die auch deutlich macht, warum Menschen aus ärmeren Stadtteilen häufiger infiziert werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was wurde geschimpft über die neuen Lockdown-Maßnahmen der Regierung, die zum Abflachen der Infektionsraten beschlossen hatte, Restaurants, Cafés, Kultur- und Sporteinrichtungen zu schließen. Man könne nicht mehr nachvollziehen, wo sich die Menschen anstecken, hieß es von der Regierung, das bliebe bei 75 Prozent der Fälle unbekannt.

Nach einer in Nature veröffentlichten Studie von US-Wissenschaftlern von der Stanford Universität, die Lokalisierungsdaten von Handys von 98 Millionen Menschen in den 10 größten metropolitanen Regionen der USA vom 8. März bis zum 9. Mai auswerteten, um die Ausbreitung von Covid-19 zu modellieren. Danach gibt es eine kleine Zahl an Superspreader-Orten, die Menschen aufsuchen und die für eine Vielzahl an Infektionen verantwortlich sind. Wenn man die maximale Anzahl von Menschen dort verringert, bringe das mehr, als allgemeine Mobilitätseinschränkungen.

Zu diesen Superspreader-Orten gehören an erster Stelle Restaurants, gefolgt von Fitnesscenter, Cafés und Bars, Hotels, religiösen Organisationen, Arztpraxen und Lebensmittelläden. Letztere kann man schlecht schließen, Restaurants, Cafés und Bars, Fitnesszentren und Kirchen aber schon. Die Wissenschaftler regen an, bei der Öffnung nach einem Lockdown die Superspreader-Orte erst einmal nur mit begrenzter Besucherzahl wieder zuzulassen. Lässt man die maximale Besucher- bzw. Kundenzahl gleich zu, ergibt sich nach einem Modell für Chicago ein schneller Wiederanstieg der Infektion, begrenzt man die Zahl auf 20 Prozent, würde man 80 Prozent der Infektionen vermeiden, aber nur 42 Prozent der Besucher verlieren.

Bewegungsdaten von 92 Millionen Menschen

Für ihre Studie verfolgten die Wissenschaftler die Mobilitätsdaten von 92 Millionen Menschen in 10 Städten, die sich im Frühjahr von ihren 57.000 Wohnvierteln (Census Block Groups - CBG) zu 553.000 Points of Interests (POI) wie Restaurants, Kirchen oder Fitnesscenter in der Nachbarschaft bewegten. Das verbanden sie mit den erfassten Infektionszahlen durch ein SEIR-Modell (Susceptible-Exposed-Infectious-Recovered). Daraus ergab sich, dass beispielsweise 10 Prozent der POI in Chicago für 85 Prozent der Infektionen verantwortlich waren. Die Wissenschaftler berücksichtigten Übertragungsraten in den Wohnvierteln und in den POI mit dem Anteil der Menschen, die einer Infektion ausgesetzt waren. Viel besuchte Orte erhöhen die Infektionsrate, ausgelassen wurden offenbar Fahrten zur Arbeit, sieht man von den Angestellten von Restaurants oder Fitnesscenter ab. Angeblich decken sich die Ergebnisse der Modelle mit dem tatsächlichen Infektionsgeschehen in den untersuchten Städten.

Die Wissenschaftler legen offenbar eine Korrelation zwischen Mobilität und Infektionsrate zugrunde. So sei zwischen der ersten Woche im März und der ersten Aprilwoche die Mobilität um 54 Prozent zurückgegangen. Wenn die Mobilität nur um ein Viertel davon zurückgegangen wäre, wäre die Infektionsrate 3,3 Mal höher gewesen. Wenn die Mobilität nicht reduziert worden wäre, hätte man mit 6,2 Mal so vielen Infektionen rechnen müssen.

Der Besuch eines Lebensmittelgeschäfts in einer armen Gegend ist zweimal so gefährlich wie der in einem reichen Viertel.

Ob die Annahmen zutreffen, ist allerdings fraglich. Einleuchtend ist jedenfalls ein anderes Ergebnis. Bekanntlich wurden Menschen aus ärmeren Schichten häufiger mit Covid-19 infiziert. Die Bewegungsdaten machen deutlich, dass sie mehr unterwegs waren als die Angehörigen reicherer Schichten, die sich ins Homeoffice zurückziehen konnten. Menschen aus ärmeren Gegenden leben in kleineren Wohnungen und müssen eher zu ihrem Arbeitsplatz fahren. Die Wissenschaftler verglichen die ärmsten 10 Prozent der Stadtteile mit den reichsten 10 Prozent. Lebensmittelgeschäfte sind in ärmeren Vierteln rarer, so dass 59 Prozent mehr Besucher in der Stunde hatten und sich die Menschen 17 % in den Geschäften und wartend an den Kassen aufhielten.

Der Besuch eines Lebensmittelgeschäfts in einer armen Gegend ist zweimal so gefährlich wie der in einem reichen Viertel. Auch in den Restaurants, Cafés oder Bars in den ärmeren Stadtvierteln ist der Infektionsgrad viel höher als in denen in den reichen Vierteln, wo vermutlich auch mehr Menschen Lebensmittel online bestellten und sich liefern ließen. Zudem dürften die Restaurants oder Geschäfte in ärmeren Vierteln kleiner und stärker frequentiert sein, was die Ansteckungsgefahr erhöht.

Die Studie scheint mithin den Lockdown der deutschen Regierung für das private Leben und die Freizeit zu bestätigen. Bundeskanzlerin Merkel meinte entsprechend: "Gruppen feiernder Menschen sind inakzeptabel", aber Gruppen arbeitender Menschen oder solcher, die das BIP verbessern, sind akzeptabel. Schaut man auf eine Cluster-Analyse aus Österreich, dann stecken sich die meisten Menschen im "Haushalt" an, dreimal mehr als in der "Freizeit". Die Ergebnisse der US-Studie sind auch dann, wenn die Annahmen richtig wären, jetzt wohl nur noch eingeschränkt zutreffend, da Restaurants, Kultureinrichtungen etc. seitdem Schutzmaßnahmen zur Distanzierung eingeführt haben, die das Ansteckungsrisiko senken.