Frankreichs schwarze Corona-Pädagogik

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Seit Beginn der Ausgangssperren wurden etwa 90.000 Strafen verhängt, wer mehrmals ohne Passierschein das Haus verlässt, kann ins Gefängnis kommen

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Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit in Frankreich ist strikt. Für jeden Gang außer Haus braucht es ein Formular, eine Attestation de Déplacement, die auf der Internetseite des Innenministeriums heruntergeladen werden kann. Darin aufgeführt werden 9 Ausnahmegründe, die es gestatten, trotz der Ausgangssperre die Wohnung zu verlassen.

Neben Arbeit und Schule, wichtigen Einkäufen, dringenden Familienangelegenheiten sind auch die Nöte der Haustiere als Grund aufgeführt. Eine Stunde lang darf man innerhalb eines Radius von einem Kilometer Sport treiben oder spazieren gehen, wobei nur Begleitung aus demselben Haushalt erlaubt ist. Das ausgefüllte und unterschriebene Formular mit genauer Datums- und Zeitangabe muss dabei sein, auf Papier oder dem Smartphone, auch wenn man nur zum Bäcker gleich nebenan geht.

Die Strafen haben es in sich: 135 Euro Bußgeld, wenn man das Formular bei einer Kontrolle nicht dabei hat. Das kann sich bei Nichteinhaltung der Zahlungsfrist auf bis zu 375 Euro erhöhen. Beim festgestellten Wiederholungsfall innerhalb von 15 Tagen sind 200 Euro Bußgeld fällig und bis zu 450 Euro bei Zahlungsversäumnis. Wird eine Person zum dritten Mal innerhalb von 30 Tagen ohne Attestation, ohne beglaubigten Grund zum Verlassen der Wohnung, angetroffen, so erhöht sich das Bußgeld auf 3.750 Euro, darüber hinaus ist in diesem Fall eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten angesetzt.

Wenn die Polizei kontrolliert, kann man auf keine Laxheit hoffen

Vom 30. Oktober, dem Beginn der neuen Ausgangsbeschränkungen (confinément), bis zum 9. November wurden gut 88.455 Bußgeldbescheide ausgestellt, wie Innenminister Gérald Darmanin heute bekannt gab, 27.094 allein im Großraum Paris (Ile-de-France). In der Hauptstadt hat man die Kontrollen nun verschärft. Bußgeld wird auch bei Nichttragen der Maske fällig. 9 von 10 Bußgeldern fallen allerdings für unerlaubte Ausflüge an.

Wenn die Polizei kontrolliert, dann kann man auf keine Laxheit hoffen, so die Aussagen von Bewohnern aus unterschiedlichen Regionen. Bislang seien die Kontrollen weniger häufig im Unterschied zum Lockdown im Frühjahr (17. März bis zum 11. Mai). Die Übersicht ist diesmal schwieriger, weil die Leute zur Arbeit gehen sollen, außerdem haben mehr Geschäfte offen. Und mehr Polizeikräfte sind wegen des Terroralarms nach den Attentaten gebunden. Beim ersten "Lockdown" im Frühjahr gab es mehr als 12,5 Millionen Kontrollen in einem Monat, ausgestellt wurden mehr als 760.000 Bußgeldbescheide.

Strafpädagogik

Der Innenminister hat nun eiligst in einem Schreiben an die Präfekten angeordnet, die Kontrollen deutlich zu erhöhen. Nach einer ersten Phase, in der man auf Erklärungen setzte und auf eine "notwendige Pädagogik", sollen die Franzosen sich nun darüber bewusst werden, dass es eine Notwendigkeit gebe, die Ausgangsbeschränkungen streng einzuhalten, heißt es im Schreiben von Darmanin. Jetzt also mehr Strafpädagogik, als ob die Franzosen allesamt Kinder wären.

Die Maßnahmen werden weniger befolgt als bei den Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr. Bei einer Umfrage gaben 60 Prozent an, dass sie mindestens ein Mal gegen die Bestimmungen verstoßen haben. Das sind 27 Prozentpunkte mehr als während der ersten sechs Wochen des Lockdowns im Frühling. Also ungefähr doppelt so viel. Man sei länger als eine Stunde draußen geblieben und habe sich mit Menschen getroffen, die zu treffen nicht erlaubt ist, Familie, Freunde, Geliebte, Flirts.

Das gibt in dieser Aufzählung ein nettes, harmloses Bild von Abweichungen, das gut zum Marketing-Kitsch der französischen Lebensfreude passt. Lediglich die Zunahme der Schlaflosigkeit, die am Ende des Berichts zur Umfrage erwähnt wird, deutet an, dass es unter der Oberfläche unruhig ist. Mit Niedergeschlagenheit und Skespis beschrieb neulich Le Monde diplomatique das Klima.

Dass Unzufriedenheit gegenüber der Corona-Politik der Regierung Macron, die auf Autorität setzt, gärt, ist seit Ende des Sommers nicht mehr zu übersehen, als die Gastronomie in südlichen Städten wie Marseille und Aix-en-Provence starken Beschränkungen unterworfen wurde. Dass Einzelhändler jetzt auf die Straße gehen und Airbnb Vermietungen blockiert, um klandestine Privatfeste zu verhindern, sind nur oberflächliche tagesaktuelle Signale für das, was sich außerhalb des offiziellen Rahmens abspielt.

Heute Abend wird Premierminister Jean Castex erklären, wie es mit den Maßnahmen weitergeht. Erwartet wird, dass die Maßnahmen bis vor Weihnachten nicht gelockert werden.