Ausschreitungen in Athen

Screenshot: Nachrichtenvideo/Youtube

Corona-Maßnahmen und Wut: Aufgerüstete Polizei trifft auf Proteste anlässlich des Gedenktags zum Studentenaufstand

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Wie erwartet entlud sich in Athen die Spannung der vergangenen Tage in einer Eskalation. Linke Parteien und Gruppen versuchten unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsregeln Demonstrationszüge oder Gedenkveranstaltungen durchzuführen, traditioneller Anlass dafür war der seitens der damaligen Militärregierung blutig niedergeschlagene Studentenaufstand vom 17. November 1973.

Die Polizei hingegen setzte mit brutaler Härte die Ankündigungen des Bürgerschutzministeriums durch. Gestrige Vermittlungsversuche blieben erfolglos. Ein Eilantrag gegen das absolute, auf drei Tage begrenzte, landesweite Versammlungsverbot scheiterte vor dem zuständigen Senat des Staatsrats.

Die Gesellschaft muss ihr Urteil fällen

Die Regierung versucht nun, den Protestierenden im Voraus die Schuld für eine weitere Zuspitzung der epidemiologischen Lage zuzuschreiben.

"Syriza, die KKE (kommunistische Partei) und MeRA25 (Varoufakis) hatten die Gelegenheit an diesen Tagen zu zeigen, dass ihre oberste Pflicht der Schutz der öffentlichen Gesundheit ist. Stattdessen haben sie sich aus parteipolitischen Gründen entschlossen, dass es der richtige Zeitpunkt war, um eine Front gegen die Regierung zu bilden. Schließlich war das Einzige, was sie schafften, eine Front gegen die Gesellschaft zu bilden. Wir übergeben sie der Gesellschaft, damit diese das Urteil fällt", mit diesem Statement, das auch an die akkreditierten Korrespondenten verschickt wurde, kommentierte die regierende Nea Dimokratia das Geschehen.

Die Polizei setzte neben Wasserwerfern und Tränengas als Premiere eine neue Einheit, die Omada Diachirisis kai Oriothetisis Synathriseon (ODOS) ein. Sie trat zusammen mit den MAT-, YMET- und DIAS-Polizeieinheiten auf. Die Polizei wurde jüngst mit einhundert neuen Motorrädern und einer neuen Streifenwagenflotte aufgerüstet. Insgesamt 778 neue Fahrzeuge wurden unter Mitsotakis allein im laufenden Jahr für die Polizei gekauft.

Die Regierung rüstet die Polizeikräfte auch personell stark auf. Allein im Oktober gab es eine Ausschreibung für die Einstellung von 2500 Stadtpolizisten. Das Bürgerschutzministerium schrieb im November 1500 Stellen für Einsatzpolizisten aus.

Wut

Neben dem alljährlichen Gedenktag zum Studentenaufstand hat sich auch wegen dieser Regierungsentscheidungen Wut aufgestaut. Denn im medizinischen Bereich hat Mitsotakis trotz der Pandemie geknausert. Der Pflegenotstand ist nun, mit knapp 450 belegten Intensivstationen allein für CoVid19-Patienten, unübersichtlich.

Aus diesem Grund haben auch Ärzte- und Pflegeverbände zum Protest aufgerufen. Für weiteren Frust sorgen mitten in der Pandemie erlassene erhebliche Einschränkungen des Arbeitsrechts, die auch über die Corona-Zeit hinaus gelten sollen.

Eigens dafür, die Demonstrationen zu unterbinden, hatte der dem Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis unterstehende Polizeipräsident mit einem Erlass die entsprechenden Verfassungsartikel für drei Tage außer Kraft gesetzt, und ein Versammlungsverbot erlassen.

Massive Proteste sorgten dafür, dass Premier Kyriakos Mitsotakis am Montag versuchte, die Wogen zu glätten. Er schlug den Vorsitzenden der übrigen Parlamentsparteien vor, man möge doch gemeinsam mit der Staatsprädentin einen Kranz am Hauptgebäude der Technischen Universität von Athen legen. Den Kranz musste Mitsotakis am Morgen des 17. November allein legen, denn niemand wollte sich ihm anschließen. Direkt nach der Kranzhinterlegung reiste er zum Staatsbesuch in die Vereinigten Arabischen Emirate.

Die Rechtsanwaltskammer Athens, die ebenfalls einen Kranz legen wollte, wurde trotz der einschlägigen Äußerungen des Premiers, die solch eine symbolische Tat zuließen, von der Polizei an ihrem Vorhaben gehindert.

Die Polizei

5.000 Polizisten waren für den 17. November in Athen gegen die Demonstrationen im Einsatz. Sie wurden aus dem gesamten Land nach Athen gebracht. Nicht nur in Athen, sondern im gesamten Land hatten linke Parteien und Autonome trotz des Versammlungsverbots Veranstaltungen organisiert. Die Polizei ging dagegen brutal vor.

Der Polizeibericht schreibt, "die KKE versammelte auch etwa 200 Menschen vor der U-Bahnstation an der Athener Oper, um zur amerikanischen Botschaft zu gehen. Die Polizei erlaubte es nicht. Die Personen kamen mit irreführenden SMS an". Bis auf die Parlamentarier, die eigentlich laut Verfassung und auch gemäß der Infektionsschutzgesetze nicht in ihrer Bewegung gehindert werden dürfen, hatten die übrigen Teilnehmer für das Verlassen der Wohnung eine der vorgeschriebenen SMS mit einem anderen Zweck an den zentralen Server der Regierung geschickt. Es gibt allerdings auch keine Kennziffer, welche das Verlassen des Hauses für die Teilnahme an einer politischen Veranstaltung gestattet.

Videos, auch der staatlichen Nachrichtenagentur AMNA zeigen, dass die Polizisten bei ihrem Vorgehen mehrfach gegen die Hygieneregeln verstießen und Demonstranten, die sich an die Abstandsregeln hielten, zusammenpferchten. Schließlich hinderten die Polizisten verfassungswidrig auch Parlamentarier, die einzeln unterwegs waren, daran, den traditionellen Weg der Gedenktagsdemonstrationen entlang zu spazieren. Dem KKE-Fraktionssprecher Thanassis Pafilis wurde von den Polizisten das Hemd zerrissen.

Die bei den Demonstrationen Festgenommenen wurden, ohne jegliche Abstandsregeln, in Zellen gesperrt. Ihnen wurde der Zugang zu Trinkwasser verweigert. "Trink aus der Kloschlüssel", sagten ihnen die Wärter. Gemäß Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis erwartet alle Festgenommenen und Verhafteten neben den eventuellen Strafverfahren Bußgeldbescheide über je 300 Euro wegen Verstoßes gegen die Infektionsschutzmaßnahmen.

Zudem möchte Chrysochoidis gegen die Parteien vorgehen, die am 17. November Veranstaltungen abgehalten haben. Er kündigte bereits an, dass auch die alljährlichen Demonstrationen oder Veranstaltungen zum Gedenken an den von Polizisten ermordeten Schüler Alexis Grigoropoulos am 6. Dezember verboten werden.

Chrysochoidis eigenes Verhältnis zum Pandemieschutz ist dagegen ambivalent. Die Polizisten verzichteten zum großen Teil auf Mund- und Nasenschutz. Sie hielten untereinander keinerlei Abstandsregeln ein. Die Beamten müssen keine Konsequenzen fürchten.