Corona-Proteste: Zwei Stunden lang Wasserwerfer-Einsatz

Screenshot von RT-YouTube-Video

Das Vorgehen der Polizei am Tag der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz war eine politische Machtdemonstration

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Von einem "milden Einsatz", einer "Beregnung von oben" mittels "Sprühnebel", einem "Wasserregen nach Art einer Gießkanne" sprach die Berliner Polizeiführung, nachdem sie am Mittwoch Wasserwerfer einsetzte gegen Menschen, die gegen die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes demonstrierten.

Die Polizei-Poesie, die von Medien bereitwillig kolportiert wurde, vernebelte eine andere Realität: Mehr als zwei Stunden dauerte der Wassereinsatz, am Ende waren fünf Wasserwerfer im Einsatz, die die Menschenmenge von zwei Seiten unter Beschuss nahmen. Zahllose Demonstranten waren durchnässt, durch Pfefferspray oder Knüppelschläge verletzt.

Seit 2013 war in Berlin kein Wasserwerfer mehr eingesetzt worden. Man könnte auch sagen: Das zeigt, wie ernst die Demonstrationen gegen die Corona-Politik genommen werden, zugleich aber auch, wie wenig demokratische Rechte gelten.

Eine ältere Frau aus dem Umland von Berlin ist alleine zur Demonstration in die Hauptstadt gekommen. Neben dem Wasser macht ihr vor allem das Pfefferspray zu schaffen, das ihr ins Gesicht gesprüht wurde. Ihre Nase blutet. Ja, bestätigt sie, die Polizei habe formal korrekt vor dem Einsatz aufgefordert zu gehen. Das sei aber nicht so einfach gewesen. Eine Polizistin bietet ihr an, sie zu einem Sanitätswagen zu bringen, was sie aber ablehnt. In nassen Klamotten muss sie sich mit der S-Bahn nun auf den Heimweg machen.

Ein klitschnasser Berliner migrantischer Herkunft, der ebenfalls alleine da ist, hat es einfacher. Er wohnt in der Nähe. Er berichtet einer fragenden Gruppe noch kurz über den Einsatz und macht sich dann schnell auf den Weg nach Hause.

Vier junge Männer, ebenfalls durchnässt, sind mit dem Auto extra aus Hamburg angereist. Ersatzkleidung haben sie nicht dabei. Sie würden sich nachher eben nackt ins Auto setzen, scherzen sie. Sie seien absolut friedlich gewesen. Die Polizei habe angefangen, die Leute nach hinten wegzudrücken und dann ohne Vorwarnung Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt.

Zwei andere Männer sind gemeinsam aus dem Harz nach Berlin gefahren. Einer von ihnen ist komplett nass. Ersatzkleidung hat er nicht. Er habe so etwas zwar geahnt, aber dass es so schlimm werde, habe er nicht gedacht. Sein Begleiter gibt ihm zumindest eine trockene Jacke von sich.

Aus Bamberg hatten sich zwei junge Männer auf den Weg gemacht, weil sie befürchten, dass die Versammlungsfreiheit verloren gehe. Mit dem Infektionsschutzgesetz sei das möglich. Nun sind beide durchnässt. Sie haben allerdings vorgesorgt und im Auto Ersatzkleidung dabei. Es sei ja klar gewesen, dass es so komme, meinen sie. Und das, obwohl versprochen worden war, keine Wasserwerfer einzusetzen. Sie kritisieren auch, wie die Tankfahrzeuge eingesetzt wurden. Es sei auch auf die Leute in der vorderen Reihe direkt gezielt worden, auch ins Gesicht. Aggression sei vor allem von der Polizei ausgegangen. Trotzdem sei es ihnen wert gewesen, dabei gewesen zu sein.

Wieder zwei andere junge Männer sind mit dem Bus aus Mecklenburg-Vorpommern angereist. Einer von ihnen ist durchnässt bis auf die Knochen. Ersatzkleidung hat er nicht dabei. Der Bus fährt erst in drei Stunden zurück, die Fahrt dauere dann noch einmal vier Stunden, erzählt er. Er habe ganz vorne gestanden und die Hände nach oben gehalten, um der Polizei zu signalisieren, dass er friedlich sei und sich nicht weg bewegen könne. Sein Freund, der einigermaßen trocken geblieben ist, schildert, dass ein Beamter ihn in dem Moment angegriffen habe, als er jemandem aufhelfen wollte, der zu Boden gegangen war. Der Beamte habe ihm sein Knie gegen den Kopf gestoßen. Mehrfach hätten sie auch Pfefferspray direkt ins Gesicht bekommen.

Von Beamten in der ersten Reihe sei aggressives und provokatives Verhalten ausgegangen. Einem Beamten hätten sie den Schlagstock abgenommen, ihn aber wieder zurück geschmissen. Sie erwähnen, dass es unter den Demonstranten durchaus auch Gewaltbereite gegeben habe, die vor allem durch verbale Pöbeleien gegenüber der Polizei aufgefallen seien. Sie kritisieren außerdem die Verzerrung der Proteste in den Medien. Er habe damit gerechnet, sagt einer von ihnen, dass ganz vorne irgendwelche Rechtsradikalen oder AfD-Leute mitmischten, stattdessen habe er zwei Migranten aus Uganda und Asien neben sich gehabt.

Eine junge Frau ist völlig aufgelöst und den Tränen nahe. Auch sie ist völlig durchnässt, außerdem klagt sie über Schmerzen, weil sie von einem Beamten mehrfach getreten worden sei. Sie ist ebenfalls solo gekommen, wohnt eigentlich in Chemnitz, logiere aber in einer Pension in Potsdam, erzählt sie. Eine fremde Frau kümmert sich um sie und schenkt ihr eine trockene Jacke, die sie noch dabei hat.

Für den Einsatz, der von etwa 12:30 Uhr bis 14:45 Uhr dauerte, bestand keine Notwendigkeit. Insgesamt waren vielleicht 10.000, maximal 20.000 Menschen an verschiedenen Stellen rund um das Brandenburger Tor auf der Straße. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, der Bundestag war weiträumig abgesperrt, die Situation unter Kontrolle. Für die erfahrene Berliner Polizei eher eine leichte Übung, zumal sich die Menge insgesamt zivil und friedlich verhielt. Selbst noch, als mit dem Wasserwerfer-Einsatz begonnen wurde. Neben Pfeifkonzert und "Schämt euch"-Rufen wurde sarkastisch "Oh wie ist das schön" gesungen.

Der Wasserwerfer-Einsatz war keine polizeiliche Maßnahme, sondern eine politische Machtdemonstration

Politiker der Exekutive drücken das auch so aus. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte noch am Tag davor im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses den Einsatz von Wasserwerfern abgelehnt. Jetzt sagte er, sie hätten keine andere Wahl gehabt. Der Staat dürfe sich nicht alles gefallen lassen.

Doch wer Wasserwerfer bereithält, will sie auch einsetzen.

Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verteidigte das Vorgehen der Polizei. Der Staat müsse zeigen, wer in diesem Land das Gewaltmonopol hat. Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte, der Rechtsstaat lebe und die Polizei sei sein Schutzschild.

In so manchen Kommentaren wurde der Einsatz beklatscht und für richtig geheißen. Bei Grünen und Linken wurde er zumindest nicht kritisiert. Der Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Anton Hofreiter, deutete sogar seine Zustimmung an.

Ein einst kritisiertes Mittel der Polizei wird nun geheiligt. Das zeigt, wie sehr das autoritäre Corona-Ausnahmerecht die politischen Verhältnisse bereits nach rechts verschoben hat.

Als Rechtfertigung dienen seit Monaten die immer selben Figuren: Reichsbürger, Rechtsextreme, Verschwörungstheoretiker. Dabei wissen Politiker und Kommentatoren genau, dass es um sie gar nicht gehen kann. Sie sind vielmehr Mittel zum Zweck, um Corona-Proteste zu diskreditieren und Versammlungen aufzulösen.

Abgesehen davon stimmt meines Erachtens schon die Beschreibung nicht. Die übergroße Mehrheit der Demonstrationswilligen zählte nicht zu den Genannten. Sie prägte auch das eigentlich friedliche Klima.

Mit dem exzessiven Einsatz von Wasserwerfern werden neue Maßstäbe gesetzt, die auch auf diejenigen zurückfallen könnten, die sie jetzt rechtfertigen. Es ist ein Weg in die Verrohung der Sitten. Der Einsatzleiter, Polizeidirektor Stephan Katte, bekennt sich offen dazu, wenn er sagt: Bei 30 Grad Außentemperatur hätte der Einsatz sicherlich weniger Sinn gemacht.

Am Nachmittag des 18. November herrschten um die 10 Grad, Tendenz sinkend, hinzu kam Windchill. Leute absichtsvoll nass zu machen, ist das Gegenteil von reklamiertem Gesundheitsschutz, es setzt sie einer Gesundheitsgefährdung aus. Es gibt keine Freiheit dafür, dass man die Gesundheit anderer Menschen gefährdet, sagte der Berliner Innensenator. Die Polizei meinte er allerdings nicht.

Um Mittel und Möglichkeiten der Polizei als der Trägerin des Gewaltmonopols wird in allen Parlamenten permanent gerungen. Nicht jedes Mittel ist erlaubt. Wie wäre es mit einem Verbot von Wasserwerfern ab einer bestimmten Temperatur?