Darum ist Cannabis kein Brokkoli

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Die Antworten auf eine kleine Anfrage der Partei Die Linke geben Auskunft darüber, warum Cannabis kein Brokkoli ist, welche Lehren die Bundesregierung aus den Erfahrungen in legalisierten Ländern zieht und was eigentlich mit dem Positionspapier der SPD passiert ist

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Parallel zur gebündelten Debatte zu diversen Cannabisthemen im Bundestag hatte die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke unter Federführung ihres drogenpolitischen Sprechers Niema Movassat eine etwas ausführlichere kleine Anfrage mit insgesamt 32 Fragen zur Legalisierung von Cannabis an die Bundesregierung gestellt.

Die offizielle Antwort der Bundesregierung ist inzwischen veröffentlicht. Darin antwortet sie auf viele Fragen ausweichend bis gar nicht und zeigt eine bemerkenswerte Kreativität beim Umgang mit Studien und Statistiken. Sie entblößt aber auch den Koalitionspartner SPD, der in einem Positionspapier zwar Entkriminalisierung und Modellprojekte fordert, dieses aber nie zur Diskussion gestellt hat und auch nicht weiter verfolgt.

Wie gefährlich ist Cannabis im Vergleich zu legalen Drogen?

Gleich in der ersten Frage wird die Bundesregierung gebeten, die Anzahl derjenigen anzugeben, die jährlich in Deutschland aufgrund des Konsums von Tabak, Alkohol und Cannabis sterben und eine Einschätzung abzugeben, was dies jeweils über die Gefährlichkeit dieser Drogen aussagt.

In der Antwort listet die Bundesregierung jährlich etwa 121.000 Menschen auf, die an den Folgen des Rauchens sterben und 74.000 Todesfälle aufgrund von Alkoholkonsum oder kombiniertem Konsum von Alkohol und Tabak. Todesfälle, die unmittelbar auf den Konsum von Cannabis zurückzuführen seien, würden sich aus den Berichten des Bundeskriminalamts zu Rauschgifttoten nicht ergeben.

Die Bundesregierung habe Kenntnis von den gesundheitlichen Risiken, die der Konsum von Alkohol, Tabak oder Cannabis mit sich bringen könne. Man möchte daher die Bevölkerung bestmöglichst aufklären, um den Konsum allgemein zu reduzieren. Auf einen differenzierten Vergleich zwischen den Substanzen lässt sich die Bundesregierung allerdings weder hier noch in den Folgefragen ein. Alles ist irgendwie gefährlich und daher muss die Bevölkerung davor geschützt werden. Doch warum unterscheidet sie dann in den Methoden?

Schrödingers Jugendschutz

Bei der Frage, welche Funktion die staatliche Regulierung von Alkohol und Tabak habe, antwortet die Bundesregierung damit, dass es eine wichtige Aufgabe des Jugenschutzes sei, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr geistiges, seelisches und körperliches Wohl zu bewahren. Das JuSchG biete hierfür einen wirksamen(!) Schutzrahmen.

Etwas weiter unten wird die Bundesregierung dann gefragt, inwieweit sich die Funktionen der staatlichen Regulierung von Alkohol- und Tabakprodukten von den gleichen Funktionen unterscheiden würden, wenn diese auf Cannabis angewendet werden würde.

Hier antwortet die Bundesregierung, dass sie eine Legaliserung des Konsums von Cannabis zu Genusszwecken auch bei einer damit einhergehenden Regulierung ablehnt, da sie "[...]nicht mit einem wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, in Übereinstimmung zu bringen[…]" sei.

Wir haben also einen Jugendschutz, der gleichzeitig wirksam und nicht wirksam ist. Anders als bei Schrödingers Katze hängt die Antwort auf die Frage allerdings davon ab, ob die Droge legal oder illegal ist. Nur, was passiert, wenn Cannabis in Deutschland tatsächlich legalisiert werden sollte? Findet dann ein Zustandsübergang statt von unwirksam zu wirksam? Oder würde unsere brave deutsche Jugend den Bach runter gehen, verführt von skrupellosen Cannabisadvokaten? Hier lohnt es sich, einen Blick auf die Länder zu werfen, die Cannabis bereits legalisiert haben. Das hat natürlich auch die Bundesregierung getan, doch scheint der Blick ein klein wenig schief gewesen zu sein.

Wie geht die Regierung mit den Erkenntnissen aus legalisierten Ländern um?

Wer sich erhofft, dass ein weicher Schritt zur Legalisierung über Cannabismodellprojekte laufen könnte, da die dort gewonnenen Erkenntnisse zeigen könnten, dass die Welt auch dann nicht zusammenbricht, wenn Cannabis zum Freizeitgebrauch legal wäre, der sollte sich erst einmal zu Gemüte führen, wie die Regierung mit den Erkenntnissen aus Ländern umgeht, in denen bereits legalisiert wurde.

In Frage 23 wird die Bundesregierung gefragt, welche Schlussfolgerungen sie "[...]aus der Liberali-sierung, Entkriminalisierung oder Legalisierung von Cannabis in anderen Ländern" zieht. In Unterfrage a) wird dabei nach den Erfahrungen aus Colorado und Washington gefragt, die beide bereits seit 2012 Cannabis zum Freizeitgebrauch legalisiert haben, insbesondere in Bezug auf den Konsum von Jugendlichen.

Hier verweist die Bundesregierung auf einen durchaus seriösen Bericht der "Colorado Division of Criminal Justice". (Der Link in der Antwort auf die kleine Anfrage funktioniert nicht, der korrekte Link hier). Die Interpretation ist jedoch interessant.

So wird darauf eingegangen, dass der Report angibt, dass die Anzahl der Cannabis konsumierenden Jugendlichen mit der Legalisierung zurückgegangen sei. Eigentlich wäre das doch ein gutes Zeichen, das zeigt, dass die Legalisierung die Jugend nicht zu hemmungslosem Konsum verführt, wie so gerne befürchtet wird. Im gleichen Zeitraum sind in Deutschland die Konsumraten in der Altersgruppe der 15-18-Jährigen hingegen sogar angestiegen.

Die Zahlen aus Colorado werden aber in Zweifel gezogen, da "[...]trotz Angaben über sinkende Anteile an Personen, die Cannabis konsumieren, der an Schulen untersagte Cannabisrauschkonsum zugenommen hat. Diese Tatsache wurde seit der Legalisierung erstmalig als eigenständiger Grund für einen disziplinarischen Schulverweis aufgenommen." Die Zahl der Jugendlichen unter 18 Jahren, die Cannabis konsumieren, ist in Colorado also zurückgegangen. Gleichzeitig soll der "Cannabisrauschkonsum" an Schulen zugenommen haben?

Die Bundesregierung zitiert sogar einen Satz aus der Pressemitteilung zum Report, der des Rätsels Lösung bereits in sich trägt: "Marijuana was the most common single reason for school expulsions (22 %) and law enforcement referrals (24 %) in the 2016-17 school year, the first full year where marijuana was reported separately as a reason for disciplinary action."

Im Bericht findet sich dann die Aufklärung. Daten zu Cannabiskonsum an Schulen gibt es für Colorado schon länger, es handelt sich dabei aber um Befragungen. Demnach stagniert der Konsum an Highschools seit der Legalisierung bzw. ist minimal zurückgegangen. Im Vergleich zum Rest der USA liegt Colorado sowohl beim Konsum innerhalb der letzten 30 Tage als auch bei der Lebenszeitprävalenz unter Highschoolschülern minimal unter dem Durchschnitt. Allerdings sind diese Unterschiede nicht statistisch signifikant. Eine andere Studie, die im Report zitiert wird, zeigt bei Highschoolschülern eine Reduktion beim Cannabiskonsum innerhalb der letzten 30 Tage von 22% im Jahr 2011 auf 19,4% im Jahr 2017. Aber auch diese Zahlen sind Schwankungen unterworfen und nicht signifikant. Was jedoch definitiv nicht passiert, ist ein Anstieg. Eine deutliche Reduktion gab es beim täglichen oder mehrfach täglichen Konsum. Der Anteil derjenigen Highschoolschüler in Colorado, die mehr als 40 Mal im Monat Cannabis konsumieren, ist von 5,3% im Jahr 2011 auf 3,0% im Jahr 2017 abgesunken.

Gerade der problematische Konsum unter Jugendlichen ist seit der Legalisierung zurückgegangen.

Hinweise für einen gestiegenen "Cannabisrauschkonsum" an Schulen in Colorado finden sich also nicht. Richtig ist hingegen, dass in Colorado erst seit dem Schuljahr 2016/17 Cannabiskonsum ein separat ausgewiesener Grund für einen Schulverweis in der Statistik ist. Vorher wurden solche Fälle mit anderen Drogen in einen Topf geworfen. Da der Report von 2018 ist, gibt es dazu auch nur zwei Datenpunkte und die Autoren des Berichts schreiben selbst, dass man daran keinen Trend ablesen könne.

An Schulen in Colorado ist der Konsum von Cannabis verboten. Daher werden die Daten zu Verstößen gegen das Verbot als Indikator für die allgemeine Prävalenz genommen. Cannabis ist demnach an Schulen in Colorado die mit Abstand am meisten genommene Droge, die weder Alkohol, Nikotin oder Koffein ist. Aus den zwei vorhanden Datenpunkten für die Schuljahre 2016-2017 und 2017-2018 lässt sich aber kein Trend ableiten.

Grund für die Änderung war nicht wie die Bundesregierung vermutet ein gestiegener Konsum, sondern ein Gesetz von 2015 welches vorsah, dass Cannabiskonsum in der Statistik zu Schulverweisen etc. ebenso separat ausgewiesen werden soll wie bisher die Statistiken zu Alkohol und Tabak. In den Jahren zuvor wurden wie oben schon erwähnt die Schulverweise für Cannabiskonsum noch unter den Verweisen für den Konsum illegaler Drogen subsumiert, was seit 2012 ja nicht mehr so ganz korrekt war und daher die Gesetzesänderung nötig machte.

Laut den Autoren des Reports kann man jedoch für die Vergangenheit aus den allgemeinen Drogenverstößen an den Schulen auf die Anzahl der Cannabisverstöße rückschließen, da Cannabis die große Mehrzahl darstellt (wobei wieder zu beachten ist, das Alkohol und Tabak separat gezählt werden). Schaut man in die Vergangenheit, so schwankt die Rate der Schulverweise aufgrund von Drogenkonsum seit der Legalisierung bei ca. 500 pro Schuljahr und 100.000 Schülern, während die Rate der Schüler, die aufgrund von Drogenkonsum von der Schule ausgeschlossen wurden, seit 2012 rückläufig ist, was aber auch auf Änderungen in der Schulpolitik zurückgeführt werden könne. Der Report weist sogar an verschiedenen Stellen darauf hin, dass es keinen Anstieg schulischer Disziplinarmaßnahmen aufgrund von Drogen- oder Cannabiskonsum gab seit der Legalisierung.

Es wird in dem Report vielmehr noch darauf hingewiesen, dass es Befürchtungen unter Gegnern der Legalisierung gab, dass die Rate der Schulabbrecher ansteigen und die Rate derjenigen, die erfolgreich einen Abschluss erhalten, sinken würde. Laut der Statistik war aber das Gegenteil der Fall, der Anteil der Abbrecher sank von 2,9% auf 2,3% und der Anteil der Absolventen stieg von 75,4% auf 79,9%:

Die Anzahl der Highschoolabsolventen ist seit der Legalisierung gestiegen, die Zahl der Abbrecher gefallen. Es gab allerdings schon zuvor ensprechende Trends, vielleicht hatte die Legalisierung auch gar keinen Einfluss.

Der Report ist eigentlich nicht geeignet, die aktuelle Cannabispolitik der Bundesregierung zu rechtfertigen. Man versucht aber, das Gegenteil hineinzuinterpretieren, indem man einen einzelnen Aspekt herauspickt und darüber Vermutungen anstellt, die sich im Report nicht wiederfinden.

Die Bundesregierung kann aber noch mit einer zweiten Studie aufwarten. Diese bezieht sich auf die gesamten Vereinigten Staaten und hat daher keinen Bezug zur Frage, die explizit die beiden legalisierten Staaten Colorado und Washington nannte. Denn zum Zeitpunkt der kleinen Anfrage hatten gerade einmal 11 von 50 Bundesstaaten Cannabis zum Freizeitgebrauch legalisiert. Auch wird dort die Altersgruppe der 19-22-Jährigen behandelt, die zwar strenggenommen noch jugendlich sind, aber nicht mehr "Hochrisikogruppe". Damit lässt sich die Studie nicht einmal mehr zum Vergleich mit den Daten aus Colorado zu Rate ziehen, da eine andere Kohorte betrachtet wird. Die Bundesregierung nennt diesen Sachverhalt "widersprüchlich".

Laut der Studie befindet sich der Cannabiskonsum unter den 19-22-Jährigen in den gesamten Vereinigten Staaten auf einem Allzeithoch. Die Bundesregierung stellt aber zusätzlich noch heraus, dass es "dramatische" Anstiege beim Vaporisieren von Cannabis gebe. Diese Konsumform habe sich bei der betrachteten Altersgruppe zwischen 2017 und 2019 mehr als verdoppelt. Dabei handelt es sich aber nur um eine von vielen Möglichkeiten, wie man Cannabis zu sich nehmen kann. Dass immer mehr junge Erwachsene auf das gegenüber Rauchen weniger gesundheitsschädliche Vaporisieren zurückgreifen, womit sich auch der Mischkonsum mit Tabak reduziert, und damit eine aktive Schadensreduktion betreiben, ist doch eigentlich eine gute Nachricht. Hierzulande ist Vaporisieren die empfohlene Einnahmeform für medizinisches Cannabis. Für die Bundesregierung ist es aber ein Beweis für …. ja für was eigentlich?

Insgesamt zeigt die Antwort, dass man sich bei der Bundesregierung mit der Brechstange darum bemüht, Erkenntnisse aus der realen Welt in die eigene Ideologie einzufügen, nach dem Motto "Was nicht passt, wird passend gemacht". Man kann nur hoffen, dass sie sich bei anderen Themen nicht ebenso fahrlässig verhält.

Das Positionspapier der SPD ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist

Fragen 27-29 beziehen sich auf das Positionspapier der SPD "Cannabis-Verbotspolitik verändern - Regulierte Abgabe durch Modellprojekte" vom 11.02.2020, in dem von der Partei die Entkriminalisierung des Besitzes von kleinen Mengen durch Herabstufung auf eine Ordnungswidrigkeit ebenso gefordert wird, wie die Durchführung von Modellprojekten. In der Pressemitteilung dazu heißt es "Die SPD-Fraktion erkennt damit die gesellschaftlichen Realitäten an und betont erneut ausdrücklich das Scheitern einer einseitigen Kriminalisierung von Cannabisendkonsumentinnen und -konsumenten."

In der Antwort auf die kleine Anfrage heißt es dazu: "Die Bundesregierung hat das Positionspapier der SPD-Fraktion zur Kenntnis genommen. Es wurde in der SPD-Fraktion beschlossen und wird dort derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung nicht weiter verfolgt. In offiziellen Besprechungsrunden der Koalition im Bundesministerium für Gesundheit, beispielsweise bei Koordinierungsgesprächen, wurde das Positionspapier nicht thematisiert."

Die SPD hat das Papier zwar verabschiedet und nach außen hin hat es der Partei auch einiges an Publicity gebracht. Nach innen wurde aber nicht die geringste Anstrengung gemacht, es auch nur zu thematisieren. Sprich, der Einsatz für die Thematik innerhalb der Koalition ist gleich Null.

Es bleibt dann allerdings die Frage, warum die SPD am 29. Oktober nicht nur das Cannabiskontrollgesetz der Grünen abgelehnt hat, sondern auch den Antrag für die Schaffung von Modellprojekten der FDP und selbst den Antrag auf Entkriminalisierung der Partei Die Linke. Von Koalitionszwang kann keine Rede sein, wenn das Thema noch nicht einmal auf dem Tisch war. Möglicherweise eher vorauseilender Gehorsam?

Warum ist Cannabis kein Brokkoli?

Zu guter Letzt noch die Antwort auf die Frage, die uns alle wahrscheinlich am meisten beschäftigt. Warum ist Cannabis kein Brokkoli?

Als die Bundesdrogenbeauftrage Daniela Ludwig in einer Bundespressekonferenz die These aufstellte, Cannabis sei kein Brokkoli, erhielt sie dafür viel Häme und Spott aus der Netzgemeinde. Der Deutsche Hanfverband hat die Aussage sogar zu einem Motiv für seine Plakate zur Kampagne "Mehrheit 2020" gemacht.

Die Bundesregierung selbst untermauert diese These nun aber mit harten botanischen Fakten. Auf die Frage 5 "Warum ist Cannabis kein Brokkoli" lautet ihre Antwort:

Cannabis (Cannabis sativa) ist eine Pflanzenart der Gattung Hanf (Cannabis), aus der Familie der Hanfgewächse (Cannabaceae).
Brokkoli (Brassica oleracea) ist eine Pflanzenart der Gattung Kohl (Brassica) aus der Familie der Kreuzblütengewächse (Brassicaceae).

Bundesregierung

Fazit

Die Antworten auf die kleine Anfrage zeigen, dass die Bundesregierung mit ihrer aktuellen Politik der Repression beim Thema Cannabis mit dem Rücken zur Wand steht. Die 32 Fragen lesen sich teilweise wie ein Verhör und die Antworten der Bundesregierung reichen von ausweichend bis hin zu absurd. Auf Abschaffung oder auch nur leichte Abschwächung der Cannabisprohibition kann man in dieser Legislaturperiode also nicht hoffen.

Mit der kleinen Anfrage wurde aber auch der Juniorpartner SPD enttarnt, der sich das Thema der kontrollierten Abgabe und Entkriminalisierung von Cannabis zwar in einem Positionspapier auf die Fahnen geschrieben hat, aber noch nicht einmal den geringsten Aufwand betrieben hat, für diese Position auch einzustehen bzw. sie innerhalb der Regierung überhaupt zur Debatte zu stellen.