Grüne Handlungsverweigerung im Fall der A49

Bild: Leonhard Lenz/CC0

Eine politisch-juristische Analyse

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Was macht ein Beamter wenn er eine große Mappe mit viel Arbeit vorgelegt bekommt? - Er prüft, ob er zuständig ist." Der Sachverhalt hinter diesem Witz ist nicht aus der Luft gegriffen und er gilt leider nicht nur für Beamte sondern auch für Politiker.

Dies zeigt sich besonders beim Autobahnbau. Dabei fällt vor allem der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) dieser Tage auf: Man würde ja gerne den Bau der A49 stoppen, könne aber nicht, sagte Al-Wazir des öfteren dieser Tage. Das ist auch grundsätzlicher Standpunkt der Grünen Hessens aber auch der Bundes-Grünen. Man sei schlicht nicht zuständig, nur der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer könne einen Stopp einleiten, das müsse dieser aber unbedingt. Man selbst sei nicht zuständig. Schade. Ende.

Der Lückenschluss der A49 in Nordhessen ist ein Bauprojekt, welches aus vielerlei Hinsicht äußerst fragwürdig ist. Nicht nur, dass man etwa 80 ha (ca. 100 Fußballfelder / halb Helgoland) gut erhaltenen, sehr alten, gesunden Wald abholzen möchte, der Bau ist auch äußert problematisch für die Trinkwasserversorgung in Mittelhessen. Falls Sie sich also schon mal gefragt haben, was diese verrückten Hippies im Wald gegen diese schöne Autobahn haben: Die haben zu viel über die Probleme, die damit einhergehen, gelesen (und auch selbst recherchiert).

Die Grünen scheinen das auch mittlerweile mitbekommen zu haben, möchten ihr Gesicht aber wahren. Man behauptet schon immer dagegen gewesen zu sein, was aber zumindest in Teilen unglaubhaft ist. Die zentrale Strategie ist aber seit einigen Wochen die genannte "Nicht-Zuständigkeits-Behauptung" zusätzlich untermauert mit einer Flucht nach vorn. So fordern die Bundes-Grünen sogar öffentlichkeitswirksam gleich den Stopp aller deutschen Autobahnbauprojekte. Eine Forderung, die zumindest dem Verfasser dieses Textes, in der Form ziellos und überzogen vorkommt. Schwarzer Peter an den Verkehrsminister und sich selbst als Engel geben, scheint hier der "grüne" Weg zu sein.

Bei der Übergabe einer Petition für den Erhalt des Dannenröder Waldes, welcher im Zuge des Autobahnbaus z.T. abgeholzt werden soll, am 4.11.2020 hat der Hessische Verkehrsminister sogar mit Aktivisten "angeregt diskutiert" und ließ mitteilen, man werde "den Appell unverzüglich an den Bundesverkehrsminister weiterleiten, der als Bauherr der Einzige ist, der das Projekt stoppen" könne.

Greenpeace wollte den Grünen auf die Sprünge helfen, mit einem Rechtsgutachten, das aufzeigt, dass man in Hessen sehr wohl Möglichkeiten habe. Die Grünen haben sich dann aber wieder erinnert, dass Sie ja nicht zuständig seien und so teilte das "grüne" Ministerium lediglich am 3.11.2020 mit, dass dieses Gutachten "unzureichend fundiert" sei. Fertig.

Das Bemerkenswerte an dieser Stelle ist, dass die Grünen mit diesem Spielchen scheinbar durchkommen. "Unzureichend fundiert" ist nämlich vor allem diese vorgeschobene scheinbare Handlungsunfähigkeit. Wenn die Grünen aus machtpolitischen Gründen diese problematische Autobahn unbedingt bauen wollen, inkl. dem ganzen Rattenschwanz an Risiken in den Bereichen Klima, Umwelt und Wasser, dann sollten Sie wenigstens dazu stehen und ehrlich sein.

Um ergänzend zu Greenpeace zu zeigen, dass die Grünen sich vor allem handlungsunfähig geben, aber nicht sind, ist ein mittelgroßer Ausflug in das deutsche Straßenbaurecht erforderlich.

Wer baut hier was?

Die Situation beim Autobahnbau ist zugegebenermaßen nicht ganz offensichtlich aber auch kein Staatsgeheimnis. Ganz prinzipiell ist der Autobahnbau wie folgt geregelt: Die Länder kümmern sich um die Autobahnen in Bundesauftragsverwaltung (Art. 143e Abs. 1 S. 1 GG; führt dazu, dass Art. 90 a.F. GG vorerst weiter gilt), d.h. Planung, Bau, Instandsetzung übernehmen die Länder, zahlen muss der Bund (Art. 104a Abs. 2 GG). Bevor wir darauf eingehen, was das genau heißt, müssen im konkreten Fall noch ein paar zusätzliche Punkte angesprochen werden:

a) Weitervergabe des Bauauftrages an die DEGES durch das Land Hessen.

Die DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -Bau GmbH) ist eine privatrechtliche Gesellschaft, gehört allerdings der öffentlichen Hand (verschiedene Bundesländer, als auch der Bund sind Gesellschafter). Die DEGES wurde nach der Wende gegründet, um den Bedarf an Fernstraßenplanung und -bau abzufedern. Die Planungen macht die DEGES im Gegensatz zu (vielen) Bundesländern so gut wie gar nicht selbst, sondern überlässt diese privaten Planungsbüros. Dazu später noch mehr.

b) Der Bau in Form einer ÖPP

Nicht genug mit der Abgabe an die DEGES, die betreffenden Abschnitte (VKE 30 und 40) der A49 werden in Form einer sogenannten ÖPP gebaut. Das heißt in lang "Öffentlich Private Partnerschaft" und in kurz Privatisierung. Damit einhergehen vor allem Nachteile, auf die wir hier aber leider nicht im Detail eingehen können. Im Prinzip zahlt der Staat einer privaten Firma viel Geld, die dann für i.d.R. 30 Jahre Bau, Instandhaltung etc. übernimmt.

Zu viel Geld übrigens, wie der Bundesrechnungshof bereits mehrfach grundsätzlich, aber auch schon direkt in Bezug auf das hier relevante Teilstück der A49 festgestellt hat. Konkreter spricht der Bundesrechnungshof davon, dass die Vergabe an die Privatwirtschaft (im Fall der A49) schönrechnet wurde und dass man das Vorgehen als "grobe Missachtung des Parlaments" sehen müsse.

Diese Bauform war bisher nur in engem Rahmen auf relativ wenigen Pilotstrecken möglich, deswegen hat die Bundesregierung mit deutlichem Druck eine "Autobahn-Reform" durchgeboxt, was uns zum nächsten Punkt führt.

c) Die zeitliche Nähe zur "Autobahn-Reform".

Kurz vor der Bundestagswahl 2017 wurde noch schnell, eine erhebliche Verfassungsänderung beschlossen, womit die Autobahnen in Bundesverwaltung genommen wurden und das Ende der Auftragsverwaltung eingeleitet wurde. Klingt erst einmal nicht so unvernünftig, aber diese "Autobahn-Reform" ist ein riesiger Türöffner für Privatisierungen (insbesondere in Form von ÖPPs), trotz gegenteiliger Beteuerungen der GroKo. Ein eigenes sehr problematisches Thema, aber für den vorliegenden Fall nicht direkt relevant, weil dies erst zum 01.01.2021 in Kraft tritt (Art. 143e Abs. 1 S. 1 GG). Bis dahin liegt weiterhin die altbekannte Situation vor und die lässt sich im früheren Art. 90 GG nachlesen.

Die "Autobahn-Reform" spielt daher nur insofern nachfolgend eine Rolle, als dass Teile der in diesem Rahmen entstandenen Texte, durchaus nennenswerte Informationen zum hier diskutierten Thema enthalten und daher an späterer Stelle auf diese verwiesen wird.

Dadurch, dass der Bau der betreffenden Abschnitte bei der A49 privatisiert wurde, gibt es auch einen entsprechenden Vertrag mit dem privaten Dienstleister. Dieser ist in teilweise geschwärzter Form online zu finden. Aus dem Vertrag geht (zumindest theoretisch) hervor, wer hier alles beteiligt ist. Dort ist zu lesen, dass die "Bundesrepublik Deutschland (Bundesstraßenverwaltung) vertreten durch das Land Hessen, dieses vertreten durch die DEGES - Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -Bau GmbH" einen Projektvertrag mit der "A 49 Autobahngesellschaft mbH & Co. KG diese vertreten durch die A 49 Autobahn Verwaltungs GmbH" schließt. Die beiden letztgenannten Kapitalgesellschaften gehören übrigens zur österreichischen Strabag SE. (Für solche ÖPP Vorhaben gründet der Auftragnehmer i.d.R. eine Tochtergesellschaft und zwar nur für diesen Zweck. So kann dieser im Falle von größeren Schadensersatzansprüchen o.Ä. einfach besagte Tochter pleite gehen lassen und ist "fein raus".)

Das ist also die "Baukette", über die der Auftrag jeweils weiter geschoben wurde. Allerdings gilt für die Verantwortlichkeiten etwas ganz anderes, denn die Beziehungen unter den einzelnen Akteuren sind ziemlich unterschiedlich.

Das Land Hessen beauftragt zwar die DEGES, die Kompetenzen im Bereich des Autobahnbaus kann es aber nicht einfach abgeben. Fernstraßenplanung und -bau ist eine verfassungsmäßig geregelte hoheitliche Aufgabe die (bis 31.12.2020) in Hand der Länder liegt. Der Bundesrechnungshof stellt diesen Sachverhalt unmissverständlich klar. Demnach bedient sich hier Hessen "zur Erfüllung [seiner] Aufgaben der DEGES - als beauftragter Dritter -, ohne dieser dabei hoheitliche Aufgaben oder Befugnisse zu übertragen".

Insbesondere ändert dies "jedoch an der verfassungsrechtlichen Aufgabenwahrnehmung durch die Länder nichts".1 Es spielt also keine Rolle, dass die DEGES vermeintlich "über" dem Land Hessen angesiedelt zu sein scheint oder der Bund bei der DEGES beteiligt ist. Die Verantwortlichkeit liegt bei Hessen.

An der Stelle sei noch bemerkt, dass der Bundesrechnungshof ebenso darauf hinweist, dass schon allein die Beteiligung des Bundes an der DEGES verfassungsrechtlich problematisch ist, der Bund in dem Fall aber meint, dabei eine "verfassungsrechtlich zu rechtfertigende Ausnahme" zu sehen (Weiterführendes zum zugrunde liegenden Lastenteilungsprinzip / Mischverwaltung.2).

Was die DEGES (eine privatrechtliche GmbH) schon nicht vom Land Hessen abgetreten bekommt, kann diese folglich auch nicht in irgendeiner Form vertraglich weiter abtreten. In der "Baukette" muss man also nachfolgend "nur" die Beziehungen von Hessen zum Bund näher betrachten.