Machtkampf im Amri-Ausschuss: "...vorher kommen Sie hier nicht raus!"

Bild: DBT/Simone M. Neumann

Sowohl im Bundestag als auch im Abgeordnetenhaus von Berlin drängt sich in den Untersuchungsausschüssen zum Anschlag vom Breitscheidplatz die geheime Operation namens "Opalgrün" immer mehr in der Vordergrund

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Die Befragung war als "nichtöffentliche Zeugenvernehmung" angekündigt - und so steht es auch immer noch auf der Webseite des Bundestags. Doch dann beschloss der Untersuchungsausschuss am Nachmittag des Vortags, die Vernehmung öffentlich durchzuführen.

Besagter Zeuge war der Leiter des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Müller. Was folgte, war eine turbulente Sitzung, bei der es um nichts Geringeres ging als die Frage: Was darf die Öffentlichkeit über mögliche Hintergründe des Terroranschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin 2016 erfahren? Und was darf ein Geheimdienst geheim halten?

Vielleicht ist die Heftigkeit des Streits Ausdruck der Brisanz, um die es geht: Ein arabisch-stämmiger Clan aus Berlin soll in den Anschlag verwickelt sein und dem angeblichen Täter Anis Amri geholfen haben, aus Berlin zu entkommen. Das soll ein geheimer Informant des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern (M-V) im Januar oder Februar 2017 erfahren und weitergemeldet haben. Doch in dem Dienst wurde entschieden, die Hinweise nicht an die zentralen Ermittlungsinstanzen zum Anschlag vom Breitscheidplatz, Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt, weiterzugeben. Diese Unterschlagung wiederum beichtete im Oktober 2019 ein Verfassungsschutzbeamter aus M-V der Bundesanwaltschaft (BAW).

Verbindung von gewaltbereitem Islamismus mit der organisierten Kriminalität

Erst seit Frühjahr 2020 weiß die Öffentlichkeit und der Untersuchungsausschuss des Bundestags von der Sache, die sich immer mehr auswächst. Bereits seit Juni 2016, also ein halbes Jahr vor dem Anschlag, waren mindestens drei Verfassungsschutzämter - BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz), LfV Mecklenburg-Vorpommern und LfV Berlin - mit einer eigenen Operation namens "Opalgrün" damit befasst. Kurz gesagt geht es um die Verbindung von gewaltbereitem Islamismus mit der organisierten Kriminalität. [https://www.heise.de/tp/features/Was-hat-die-Verfassungsschutzoperation-Opalgruen-mit-dem-Anschlag-vom-Breitscheidplatz-zu-tun-4951373.html]

Seit Anfang November befragt der Bundestagsausschuss Zeugen aus dem Verfassungsschutz (VS) zu dem Komplex, bisher allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit, außerdem versehen mit Alias- oder abgekürzten Namen. Beim Leiter des Schweriner Amtes wollten die Abgeordneten das nicht akzeptieren und erklärten die Sitzung für öffentlich. Das Drama begann um 19:40 Uhr.

Reinhard Müller erschien mit seinem Rechtsbeistand Butz Peters, der bereits in mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zum NSU-Skandal Verfassungsschutzzeugen begleitet hat. Außerdem hatte das Land Mecklenburg-Vorpommern extra eine Vertreterin in die Sitzung geschickt, Yvonne M.

Müller gab zunächst eine Erklärung ab: Der Vorwurf, sein Amt habe wichtige Informationen nicht weitergegeben, sei nicht zutreffend. Alle Erkenntnisse seien erst nach der Tat gewonnen worden. Die Informationen würden sich aber widersprechen, seien nicht schlüssig und stimmten nicht mit dem Anschlagsgeschehen überein. 2020 seien die Behörden zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Man habe dem Generalbundesanwalt alle Unterlagen zur Verfügung gestellt. Man müsse auf den Schutz von Quellen achten und sie nicht einer Gefahr für Leib und Leben aussetzen, Islamisten seien gefährlich. Er habe seine Aussagegenehmigung zu beachten und werde weitere Aussagen nur in einer als geheim eingestuften Sitzung machen.

Seine widersprüchliche Botschaft also: Nichts dran - aber trotzdem geheim. Doch zugleich lieferte er die Gründe mit, sich öffentlich stellen zu müssen. Mehrere Ausschussmitglieder kritisierten, öffentlich kund zu tun, da sei nichts dran, öffentlich andere VS-Zeugen zu diskreditieren, öffentlich das "Anschlagsgeschehen" zu bewerten - und sich dann öffentlich keine Fragen stellen zu lassen, das gehe nicht.

Nach zweieinhalbjähriger Arbeit weiß der Ausschuss, dass das "Anschlagsgeschehen" alles andere als eindeutig ist

Das Gremium wollte vom Schweriner VS-Chef unter anderem beantwortet haben, ab wann er dienstlich mit Anis Amri zu tun hatte; wann er von den Hinweisen der Quelle erfahren habe, dass Amri Helfer gehabt haben soll; warum diese Hinweise nicht schlüssig und nicht weitergabefähig gewesen seien; ob er es gewesen sei, der die Entscheidung traf, die Hinweise nicht weiterzugeben oder jemand anderes; auf welcher Rechtsgrundlage die Entscheidung getroffen worden sei; ob er sich an sein Gespräch mit dem Quellenführer T.S. erinnere und ob der Mitarbeiter glaubwürdig sei; ob der Beamte für den Bereich Islamismus zuständig gewesen sei; ob er vor seinem Gespräch mit T.S. mit dem vorgesetzten Referatsleiter P.G. gesprochen habe; was er noch unternommen habe; ob er seine persönliche Bewertung der Hinweise dem BKA mitgeteilt habe; mit welchen Behörden er die Informationen und Bewertungen geteilt habe.

Der Zeuge verweigerte wiederholt die Auskunft und erklärte, Antworten nur in "eingestufter" Sitzung geben zu wollen. Unterstützt von seinem Rechtsbeistand, der meinte, Müller dürfe nicht gegen seine Aussagegenehmigung verstoßen. Etwa 20-mal intervenierte auch die Vertreterin des Landes Mecklenburg-Vorpommern (M-V), gegen Fragen der Abgeordneten und machte innerdienstliche Angelegenheiten, Methoden- und Quellenschutz geltend. Mehrmals verließen die drei minutenlang den Sitzungssaal, um sich zu besprechen oder damit Müller mit dem Innenministerium telefonieren konnte, unter anderem mit dem Staatssekretär Thomas Lenz. Auch der Ausschuss unterbrach wiederholt die Sitzung, um sich zu beraten.

Als geheim eingestufte Vernehmungen sind für den Ausschuss verhängnisvoll, weil ihr Inhalt nicht einmal im Abschlussbericht erwähnt werden darf. Die Abgeordneten können mit dadurch gewonnenen Erkenntnissen also nicht arbeiten.

Sie verlangten bei jeder Beanstandung einer Frage durch die M-V-Abgesandte eine "abstrakte sowie konkrete" Begründung dafür. Das gelang ihr nicht. Einmal versuchte sie Quellenschutz geltend zu machen und argumentierte mit dem Oktoberfestattentat von München im Jahr 1980. Als die Abgeordneten erstaunt nachfragten, wo der Zusammenhang sei, soufflierte ihr der daneben sitzende Vertreter des Bundesinnenministeriums die Worte: "Entscheidung Bundesverfassungsgericht", worauf sie erklärte: "Richtig, ich beziehe mich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 2017." Einschub: Das oberste Gericht hatte damals Quellenoperationen von Nachrichtendiensten für schutzwürdig erklärt.

Das Staatswohl sei gefährdet, so die M-V-Vertreterin Yvonne M. Weil aber der Ausschussvorsitzende, an diesem Tag Mahmut Özdemir (SPD), auf einer konkreten Begründung beharrte, was das mit dem vorliegenden Fall zu tun habe, musste sie schließlich kapitulieren: "Hier vielleicht nicht, es ist aber logisch, dass wir bei der nächsten Frage da wären." Özdemir: "Konkret?" - Yvonne M.: "Gut, dann machen wir erst mal weiter und ich interveniere dann bei der nächsten Frage." - Özdemir: "Was zeigt, eine zu frühe Intervention ist nicht gut."

"Kein Zeuge hat so ein Theater gemacht wie Sie"

Im Verlauf der Auseinandersetzung, die mehr als vier Stunden dauerte, erklärte der Abgeordnete Benjamin Strasser (FDP), nach dem Verfassungsschutzgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern habe das LfV die "Pflicht", Informationen zu Staatsschutzdelikten weiterzugeben. Das sei keine Ermessensfrage, vor allem weil ein konkretes Ermittlungsverfahren der BAO City zu dem Terroranschlag existiere.

Er wolle wissen, so Strasser, wer entschieden habe, die Hinweise der Quelle nicht weiterzugeben. Zeuge Müller: "Die Antwort wäre von der Aussagegenehmigung nicht gedeckt." - Strasser: "Dann wäre sie auch in eingestufter Sitzung nicht gedeckt." Und dann fügte er an: "Kein Zeuge hat so ein Theater gemacht wie Sie. Sie sind Chef der Behörde und ich will wissen, wer es entschieden hat. Vorher kommen Sie hier nicht raus!"

Das wiederholte Verlangen des Beamten, in nicht-öffentlicher Sitzung antworten zu wollen, beschied der Ausschussvorsitzende Özdemir mit den Worten: "Wie lange die Sitzung öffentlich ist, entscheiden wir." Der Ausschuss war einhellig, ohne Gegenstimme und ohne Enthaltung, der Auffassung, die Vernehmung vor den Augen und Ohren des Publikums durchzuführen.

Immerhin rangen die Abgeordneten dem Verfassungsschutz-Chef ein paar neue Erkenntnisse ab: Den Namen "Opalgrün" kannte er ("natürlich"). Über die Sitzung des Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrums (GTAZ) von Anfang Juni 2016 war er informiert. In der Sitzung war unter anderem festgelegt worden, dass das LfV Mecklenburg-Vorpommern Quellen befrage, Informationen weitersteuere und bilaterale Abstimmungen mit anderen Behörden vornehme.

Die Hinweise auf mögliche Hintermänner Amris im Februar 2017 hätten ihn in schriftlicher Form erreicht, so Müller. Nachdem sich der VS-Mitarbeiter T.S. an den Generalbundesanwalt (GBA) gewandt hatte, will Müller mit dem GBA telefoniert haben. Er sei aber nicht von der Karlsruher Behörde vernommen worden. An der Entscheidung, die Hinweise des Informanten nicht weiterzugeben seien mehrere Personen beteiligt gewesen, auch welche außerhalb des LfV. Die Informationen seien mit anderen Behörden geteilt worden.

Müllers Befragung ergab außerdem, dass in der Vergangenheit auch Informationen des LKA Berlin über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ans mecklenburg-vorpommersche Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) geflossen sein müssen.

Ein Verdacht kommt auf: Ist die Opalgrün-Spur nicht nur bei verschiedenen Verfassungsschutzämtern bekannt, sondern seit längerem etwa auch bei Kriminalämtern, etwa den Landeskriminalämtern von M-V und Berlin sowie dem Bundeskriminalamt (BKA)? Das hieße, dass die fraglichen Hinweise auch bei der zentralen Ermittlungsbehörde zum Anschlag seit längerem vorliegen könnten.

Der Untersuchungsausschuss brach die Vernehmung Müllers um Mitternacht ab. In einem einstimmig gefassten Beschluss bekräftigte das Gremium, sein Fragen seien zulässig gewesen, auch im Rahmen der Öffentlichkeit. Es missbilligte die Haltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern und verlangte eine Neubescheidung der Aussagegenehmigung für den VS-Chef. Der habe die Beantwortung der Fragen zu Unrecht verweigert. Der Ausschuss bereite außerdem einen Ordnungsgeldbeschluss gegen den Zeugen vor.

Reinhard Müller ist für nächste Sitzung am 10. Dezember erneut als Zeuge geladen. Außerdem ein weiterer Vertreter des Verfassungsschutzes, der Staatssekretär im Innenministerium, Thomas Lenz, sowie der kürzlich zurückgetretene Innenminister Lorenz Caffier.

Das Innenministerium des Bundeslandes reagierte am Tag nach der Ausschusssitzung mit einer Pressemitteilung zum Konflikt im Bundestag, die allerdings halbherzig daherkommt. Zitiert wird vor allem Verfassungsschutz-Chef Reinhard Müller. Er wiederholt im Wesentlichen die Gründe für seine Auskunftsverweigerung, die er bereits in der Sitzung vorbrachte. Am Ende heißt es lediglich noch, dass Staatssekretär Lenz bei der nächsten Ausschusssitzung Stellung nehmen werde. Eine demonstrative Rückendeckung für den VS-Verantwortlichen Müller ist diese Presseerklärung nicht, eher das Gegenteil, die Landesregierung lässt ihren Beamten allein.

"Den spannendsten Teil des Untersuchungsausschusses haben wir noch vor uns"

Der Komplex "Opalgrün" und der Machtkampf im Bundestag waren am nächsten Vormittag bereits Thema im Abgeordnetenhaus von Berlin, wo der dortige Amri-Untersuchungsausschuss nach über zwei Monaten noch einmal einen Zeugen befragte. Die letzte öffentliche Befragung von Zeugen lag gar drei Monate zurück. Der Ausschuss ist vor einiger Zeit bereits zur Beratung seines Abschlussberichtes übergegangen, hatte sich aber vorbehalten, weiter Zeugen zu hören.

Geladen war nun der Staatssekretär beim Innensenator, Torsten Akmann. Seine Frage zum Komplex "Opalgrün" leitete der Abgeordnete Benedikt Lux (Bündnis 90/Die Grünen) mit einem Hinweis auf die Ausschusssitzung im Bundestag vom Abend davor ein und bezeichnete das Antwortverhalten des Schweriner Verfassungsschutzpräsidenten "beschämend". Dann wollte er vom Zeugen Akmann wissen, ob der darüber unterrichtet war, dass Mecklenburg-Vorpommern in Berlin eine V-Person eingesetzt hatte. Antwort Akmann: Dazu werde er sich in öffentlicher Sitzung nicht äußern.

Er verhielt sich so, wie kurz zuvor im Bundestag der Zeuge Müller. Aber weder Ausschussmitglied Lux noch sonst wer im Gremium kritisierte das in diesem Falle. Das galt für alle Fragen, die Akmann nur in nichtöffentlicher Runde beantworten wollte. Zum Beispiel die nach möglichen Erkenntnissen der Behörden, ob Amri mit Hilfe eines Clans aus der Stadt gebracht wurde. Oder die, wann er erfahren habe, dass das BfV eine Quelle in der Berliner Fussilet-Moschee hatte.

Im Rahmen der Pressekonferenz erfuhr man hinterher zumindest, dass der Untersuchungsausschuss inzwischen auch über Verfassungsschutzakten zum Komplex "Opalgrün" verfügt. Ausschussmitglied Lux, der einen Teil der Akten eingesehen haben will, erklärte, das bisher entstandene Bild scheine sich zu bestätigen. Alles habe in Berlin stattgefunden, aber die Informationen liefen über ein anderes Bundesland. Wörtlich sagte er: "Den spannendsten Teil des Untersuchungsausschusses haben wir noch vor uns." Der Ausschussvorsitzende Stephan Lenz (CDU) sagte auf Nachfrage, die Unterlagen seien ihnen "nicht öffentlich" zugegangen, deshalb werde er sich auch öffentlich nicht äußern.

Auch im Bundesinnenministerium (BMI) weiß man seit über einem Jahr von der Causa "Opalgrün". Das ergab die Vernehmung von zwei hochrangigen Beamten aus dem Ministerium im Untersuchungsausschuss des Bundestags, die vor der bewegten Runde mit dem Schweriner Verfassungsschutz-Chef stattfand: Jens Koch und Stefan Kaller aus der BMI-Abteilung "Öffentliche Sicherheit" (ÖS).

Sie bestätigten beide, dass im Herbst 2019 im Haus ein Schreiben eines Mitarbeiters des LfV Mecklenburg-Vorpommern (M-V) eingegangen sei, das anonym gehalten gewesen sei. Koch sprach von Oktober 2019, Kaller von November oder Dezember. Inhalt des Schreibens: Ein V-Mann aus dem Bundesland habe eine Verbindung ins Berliner Clan-Milieu gehabt. Doch seine Informationen zu dem Ermittlungsvorgang, bei dem es um einen möglichen Anschlag zum Ramadan-Fest 2016 gegangen sei, seien nicht an die zuständigen Behörden weitergegeben worden.

Koch erinnerte sich, dass ihm auch der Vorgangsname "Opalgrün" berichtet worden sei. Das Schreiben war zeitgleich auch ans Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und den Generalbundesanwalt (GBA) gegangen. Das BMI habe es ebenfalls an den GBA weitergeleitet, weil man nicht gewusst habe, dass es auch dorthin gesandt wurde. Die Nachfrage des BMI beim BfV, ob es zu dem Vorgang Akten gebe, ergab einen Treffer, "ein Stück Akte", so Koch. Allerdings soll darin nichts von Anis Amri und einer möglichen Unterstützung gestanden haben.

Laut Kaller soll das anonyme Schreiben aus M-V als Schriftstück in seiner Umlaufmappe gelegen haben. Er kann sich jedenfalls an keine Unterschrift oder einen Verfassernamen erinnern. Der Ausschuss hat das Dokument inzwischen vorliegen, wie man in der Sitzung erfuhr, es sei jedoch nicht anonym gehalten. Wurde es etwa im Ministerium anonymisiert?

VP 01: BKA und Innenministerium gegen LKA

Geladen waren die beiden BMI-Vertreter auch, weil der Ausschuss noch Fragen zu dem vor einem Jahr aufgekommenen Konflikt zwischen dem LKA Nordrhein-Westfalen und dem BKA um den Informanten "Murat", auch bekannt als V-Person 01, hatte. Im November 2019 hatte der LKA-Mann Rasmus M. im Ausschuss ausgesagt, der BKA-Mann Philipp K. habe ihm im Februar 2016 unter vier Augen erklärt, ihr wichtigster Informant solle auf Anweisung von ganz oben aus dem Spiel genommen werden. K. bestreitet das.

Die Affäre schwebt seit einem Jahr über dem Komplex, weil sie dokumentiert, dass ganz offiziell Falschaussagen gemacht wurden - die Frage ist nur, auf welcher Seite?

Unbestritten ist, dass das BKA etwas gegen den LKA-Informanten hatte. Der jedoch wurde zum wichtigsten Belastungszeugen im Staatsschutzverfahren gegen die Abu-Walaa-Gruppe, der Kontakte zum IS (Islamischer Staat) vorgeworfen werden. Seit über drei Jahren läuft dazu der Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle. Der Punkt: Wäre die VP 01 tatsächlich aus dem Spiel genommen worden, wäre das Verfahren geplatzt - und das wusste das BKA genau.

Im Untersuchungsausschuss erfuhr man nun Folgendes: Jens Koch hatte noch am Abend nach der Zeugenaussage von LKA-Mann M. mit BKA-Mann K. telefoniert. Stefan Kaller beraumte für den nächsten Morgen eine größere Besprechungsrunde an, zu der BKA-Verantwortliche zugeschaltet waren. Ergebnis: BMI und BKA wollen gegenüber der Öffentlichkeit "hart dementieren" - an den Vorwürfen sei nichts dran. Diese Sprachregelung nahm Kaller auf seine Kappe.

Gleichzeitig gab BKA-Mann K. damals eine dienstliche Erklärung mit demselben Inhalt ab. Die will Kaller aber nicht verantwortet haben. Wer es war, ist nicht ganz klar, möglicherweise der Sitzungsvertreter des BMI im Untersuchungsausschuss. Bevor das Innenministerium in der Bundespressekonferenz an die Öffentlichkeit ging, legte Kaller die vorbereitete Erklärung dem Ex-Innenminister Thomas de Maizière vor, der einverstanden gewesen sein soll.

Auch jetzt, ein Jahr später, stellen sich die beiden BMI-Verantwortlichen uneingeschränkt auf die Seite des BKA. Und das, obwohl in dem Konflikt unverändert Aussage gegen Aussage steht, mit einem Glaubwürdigkeitsplus zugunsten des LKA-Mannes M., weil dessen Auskünfte in sich konsistenter sind.

Das schert die politischen Beamten im Hause Seehofer nicht. Obwohl sie nicht dabei waren, diskreditieren sie M. Koch gibt sich überzeugt, der habe gelogen. Kaller spricht von einer "Räuberpistole", die der LKA-Mann M. verbreitet habe.

Wenn BKA und Innenministerium der Konflikt bis heute so viel Wert ist, muss eine Wahrheit in ihm stecken.

Noch einmal zum Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus und zu Innenstaatssekretär Torsten Akmann. Wie sein Chef kam er im Dezember 2016 ins Amt und hatte dienstlich nicht mit der Vorgeschichte des Anschlags vom 19. Dezember zu tun, sondern mit der Aufarbeitung danach. Und die stand ausgerechnet unter dem Vorzeichen von Aktenfälschungen durch Beamte des LKA zum einstigen Gefährder Anis Amri. Vorgenommen im Januar 2017, entdeckt im Mai 2017.

Er könne sich das bis heute nicht richtig erklären, so Akmann. Bis heute bestimmt dieses Vorzeichen die gesamte Aufklärungsarbeit des Anschlags vom Breitscheidplatz. Dass parlamentarische Untersuchungsausschüsse erst mit Jahren Verspätung vom "spannendsten Teil" der Materie erfahren, sprich dem Vorgang "Opalgrün", belegt das.

Im Gegensatz zur mühevollen Aufklärung des Anschlags stellten sich die sicherheitspolitischen Konsequenzen ganz leicht und nahezu automatisch ein. Bessere Ausrüstung und Aufrüstung der Polizei: Fahrzeuge, Waffen, Schutzkleidung, Technik. Daneben erfolgte in Berlin ein massiver Ausbau des Staatsschutzes. Im LKA wurde eine eigene Islamismusabteilung geschaffen.

Aber vor allem: Der Staatsschutz sitzt nun nicht mehr nur im LKA, sondern auch in der sogenannten Schutzpolizei, die auf der Straße tätig ist. Diese Staatsschutz-Polizei kommt inzwischen auch bei den Corona-Demonstrationen zum Einsatz.

Was hier geschieht, ist eine Politisierung des Staatsschutzes und damit zugleich eine Politisierung der gesamten Polizei.