PKK und deutsche Justiz: Ganz im Sinne Erdogans

Terroristen oder Befreier? Kämpferinnen der PKK. Bild: Kurdishstruggle, CC BY 2.0

In Deutschland ist die Empörung über den repressiven "Anti-Terror-Kampf" in der Türkei groß. Dabei geraten Parallelen zur eigenen Rechtsprechung außer Acht

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Am 16. Juli 2020 wurde der Journalist Denis Yücel von einem Gericht in Istanbul zu zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen Haft verurteilt. Der Vorwurf, er habe im Juli 2015 ein Interview mit Cemil Bayik, der Nummer Zwei in der Führung der PKK nach Abdullah Öcalan, in der Zeitung "Die Welt" veröffentlicht. Yücel hatte dieses Interview in den irakischen Kandil-Bergen geführt, in die sich Bayik mit einem großen Teil der Guerilla zurückgezogen hatte. Das genügte offensichtlich, Yücel wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen. Das Urteil löste in der Bundesrepublik in Medien und Politik zu Recht empörte Kritik aus.

Die deutsche Rechtsprechung

Ganz anders jedoch die Reaktion, wenn es um Urteile deutscher Gerichte geht. Am 2. Juli 2020 wurde vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg ein Strafverfahren gegen einen kurdischen Bürger wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach §§ 129 a/b StGB eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, als "hochrangiger Führungskader" das "PKK-Gebiet Bremen" geleitet zu haben und für organisatorische, propagandistische, finanzielle und personelle Angelegenheiten verantwortlich gewesen zu sein.

Er habe z.B. an Demonstrationen gegen den Besuch Erdogans in Deutschland, gegen die Isolationsbedingungen von Abdullah Öcalan und zum Gedenken der drei von türkischen MIT-Agenten in Paris 2013 ermordeten kurdischen Frauen teilgenommen. Er habe sich zudem um eine erkrankte "PKK-Aktivistin" gekümmert, die in Deutschland Asylbeantragt hat.

Schließlich wurden ihm seine Gesprächskontakte zur Partei "DIE LINKE" vorgeworfen, die die Anklage als "Einflussnahme für die PKK" wertete. Eine strafbare Handlung konnte ihm nicht vorgeworfen werden, dennoch wurde er jetzt zu 2 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Das Hanseatische Oberlandesgericht hatte bereits am 13. Februar 2013 einen Kurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 b StGB zu 2 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.1 Sein Vergehen bestand in den Augen des Senats darin, dass er zwischen 2007 und 2008 in Norddeutschland die kurdische Arbeiterpartei PKK geleitet habe. Konkrete Straftaten wurden auch ihm nicht vorgeworfen.

Derzeit stehen weitere Kurden in Berlin, Celle, Düsseldorf und Koblenz vor Gericht. Allen wird die Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der PKK, vorgeworfen.Bisher ist in Deutschland keine Empörung, kein Wort der Kritik in den Medien oder der Politik gegen diese Verfahren laut geworden, die auf den Straftatbeständen §§ 129 a/b StGB beruhen, die noch aus der Zeit des Kampfes gegen die RAF datieren.

Möglich werden diese Verfahren überhaupt erst auf Grund einer Ermächtigung des Justizministeriums vom 6. September 2011, nach der bereits begangene oder künftige Taten der Europaführung, des Deutschlandverantwortlichen sowie der Regionalverantwortlichen der PKK strafrechtlich zu ahnden sind.2 Initiativen, diese Ermächtigung zurückzunehmen, sind bisher gescheitert.

Präsident Erdogan mahnt auf seinen Deutschlandbesuchen die Strafverfolgung immer wieder an. Grundlage ist die in den europäischen Ländern weitgehend einhellige Ansicht, dass die PKK eine terroristische Organisation sei. Die EU hat sie wie die meisten Staaten als terroristische Vereinigung gelistet,3 nur die Schweiz macht in Europa eine Ausnahme.4

Deutsche Gerichte lehnen entlastende Beweisanträge ab

Damit haben sie der Justiz ihrer Länder weitgehend einen entscheidenden Teil ihrer Rechtsfindung abgenommen, die auf die Listung der PKK verweisen und sich eigene Untersuchungen ersparen kann. Die Gerichte lehnen zumindest in Deutschland bisher alle Beweisanträge der Verteidigungen ab, die den Terrorcharakter der PKK ablehnen oder in Frage stellen. Selbst das Rufen der Parole "PKK" auf Demonstrationen, das Zeigen ihrer in Deutschland kaum bekannten Flagge oder Plakate mit dem Bildnis von Abdullah Öcalan werden strafrechtlich verfolgt.

Die Rechtsprechung in Deutschland ist für die Einordnung der PKK und ihrer Handlungen weitgehend der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 13. Februar 2013 gefolgt, die am 6. Mai 2014 durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofs5 bestätigt worden ist. Danach können sich die Mitglieder der PKK nicht auf das sog. Kombattantenprivileg berufen, das ihre Handlungen völkerrechtlich rechtfertigen würde.

Dieses Privileg stehe nach Art. 43 des Ersten Zusatzprotokolls von 1977 (ZP I)6 nur den Kämpfern in internationalen Konflikten zu. Die Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der PKK seien aber ein nicht internationaler Konflikt, in dem die nichtstaatlichen Kämpfer keinen Kombattantenstatus hätten.

Da die PKK sich auch nicht darauf berufen könne, dass sie einen Befreiungskampf gegen "Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes" i.S. des Art. 1 Abs. 4 ZP I führe, fehle ihr auch diese Rechtfertigung für ihr Handeln, welches deswegen nach der nationalen Strafrechtsordnung beurteilt werden müsse.

Der BGH bezieht sich dabei ausdrücklich auf die "Überzeugung der Staatengemeinschaft", bei der er sich allerdings wohl nur bei der westlich atlantischen Staatengemeinschaft sicher sein kann. Die Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas dürften das auf Grund ihrer Erfahrungen mit den Kämpfen der Dekolonisation auch anders sehen. Der BGH ist sich allerdings sicher: "Im Übrigen besteht im hier konkret zu beurteilenden Fall gerade keine Überzeugung der Staatengemeinschaft dahin, der bewaffnete Kampf der PKK und ihrer Unterorganisationen und die damit verbundene Begehung von Straftaten sei gerechtfertigt.
Die PKK wird vielmehr international weitgehend als terroristische Organisation eingeordnet."7 Diese Rechtsprechung hat der BGH auch in der Folge gegenüber den islamistischen Gruppen, die gegen die Regierung in Damaskus kämpfen, bestätigt.8

Bundestagsgutachten: PKK-Kämpfer ohne Privileg der Straffreiheit

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestag haben sich ebenfalls mit dem völkerrechtlichen Status der PKK beschäftigt.9 Sie werten die türkisch - kurdischen Auseinandersetzungen und Kämpfe ebenfalls als nichtinternationalen bewaffneten Konflikt und sprechen den Kämpfern der PKK wie die Rechtsprechung den Status von Kombattanten mit dem Privileg der Straffreiheit ab. Sie beziehen sich dabei auf verschiedene War Manuals z.B. der USA und der Schweiz10, und zitieren die Zentrale Dienstvorschrift "Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten" des Bundesministeriums der Verteidigung:

Im Gegensatz zum internationalen bewaffneten Konflikt kennt das Recht des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts den Status des Kombattanten und Kriegsgefangenen nicht. Die der Staatsgewalt gegenüberstehenden Kräfte haben keine Befugnis zur Gewaltanwendung. Denn es obliegt dem Staat, über diese Befugnis zu entscheiden und die Personen, die gekämpft haben, gerichtlich, insbesondere strafrechtlich, für die Teilnahme an Feindseligkeiten zu verfolgen. Dementsprechend kann der Staat Personen, die auf Seiten der nichtstaatlichen Konfliktpartei unmittelbar an den Feindseligkeiten teilgenommen haben, auch dann nach seinem Strafrecht ahnden, wenn diese nicht gegen das völkerrechtliche Kampfführungsrecht des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts verstoßen haben.

Die Wissenschaftlichen Dienste räumen zwar durchaus ein, dass diese rigide staatszentrierte Sicht in neuerer Zeit in verschiedenen Beiträgen in Frage gestellt wird,11 setzen sich aber nicht mit den kritischen Argumenten auseinander. So nehmen sie auch nicht Stellung zu dem Verbot der PKK im Jahr 1993 und der Aufnahme in die Terrorliste des Europarats, die sie lediglich referieren.