Rasse: Wird der bunte Hund in neuem Gewand wieder salonfähig?

Kommen Menschenrassen durch die Hintertür eines angeblichen Antirassismus zurück?

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Die Universität Hamburg hatte ein Problem. Vor den Augen der Presse wurde das Namensschild des "Instituts für Humanbiologie" gegen eines ausgetauscht, auf dem "Institut für Rassenkunde, Soziobiologie und Eugenik" zu lesen war. Eine Maßnahme, die sich gut in die Wissenschaftspolitik des Nazireichs einfüge, könnte man meinen. Zumindest, wenn die Aktion beispielsweise 1936 stattgefunden hätte - tatsächlich fand sie aber 1996 statt, ganze vier Jahre vor der Jahrtausendwende, in einer Zeit, in der die Frage nach der Existenz von "Menschenrassen" längst abgehandelt zu sein schien.

Dem Institut war diese "Umbenennung" auch keineswegs recht. Vielmehr war es eine öffentlichkeitswirksame Protestaktion der jungen "AG gegen Rassenkunde", die damit auf Lehr- und Forschungsinhalte des Instituts aufmerksam machen wollte.

Gute zehn Jahre zuvor hatte es Proteste und eine Besetzungsaktion gegeben, als das Institut eine Studie zu Unterschieden zwischen heterosexuellen und homosexuellen Männern durchführte. Zur Ringvorlesung "Rassenkunde des Menschen", die in zweijährigem Turnus abgehalten wurde, wurde    noch 1995 auch rassenkundliche Literatur aus dem Jahr 1934 in der Literaturliste aufgeführt. Daraufhin gründete sich die "AG gegen Rassenkunde", die ein Jahr später das Institut "umbenannte". Hamburg war nicht die einzige Universität, die sich dieser Art der Kritik stellen musste.

Dass Rassenkunde noch Mitte der 90er Jahre an Universitäten Thema war, mag selbst Zeitgenossen überrascht haben, galt doch das Rassekonzept schon zu dieser Zeit als weitgehend überholt. Bereits 1978 hatte die UNESCO in der "Declaration on Race and Racial Prejudice" die Gleichheit der Menschen unabhängig von ihrer Herkunft festgestellt, die Gesellschaft für Anthropologie veröffentlichte später eine Stellungnahme "Wider den Rassebegriff", die Deutsche Zoologische Gesellschaft erklärte jüngst in ihrer "Jenaer Erklärung" Menschenrasse als Ergebnis von Rassismus. Im deutschen Sprachgebrauch war der Verweis auf die "Rasse" eines Menschen schon damals im Allgemeinen die Domäne rechtsextremer Ideologen.

Auch in jüngerer Zeit sind zahlreiche Untersuchungen zur Wissenschaftsgeschichte der Rassenkunde erschienen. Erkenntnisse aus der Genetik haben das bereits seit langem Postulierte ebenfalls untermauert, namentlich, dass, trotz augenfälliger Unterschiede zwischen Menschen aus unterschiedlichen Regionen der Welt, die genetischen Unterschiede zwischen ihnen sehr gering sind - gerade auch im Vergleich zu den genetischen Unterschieden innerhalb der gleichen Gruppe. Klare Trennlinien, die als "Rassemerkmale" herhalten könnten, finden sich nicht. Eine nicht-beliebige Einteilung der Menschheit in "Rassen" ist jenseits von Wunderglaube und Vorurteil in jeder Hinsicht unhaltbar.

"Rasse": Von Anfang an ein Bedeutungswirrwarr

Die unterschiedliche Bedeutung von "Race" im US-amerikanischen Sprachraum und "Rasse" im deutschen kann bereits zu Missverständnissen führen. So schrieb die Neue Züricher Zeitung im September 2020 in einem Beitrag zu den USA "von sieben gemischtrassigen Kindern". Selbst im Standardwerk für Physiotherapeuten ist noch in der aktuellen 4. Auflage von "Rassen" im Zusammenhang mit Krankheitsdispositionen zu lesen.

Dabei ist es keineswegs so, dass es eine eindeutige Definition im Deutschen gäbe. Auch international wurde in früheren Zeiten "Rasse" beliebig auf verschiedene Eigenschaften angewandt: In der Neuzeit war von einer "adeligen" und "bürgerlichen Rasse" die Rede. "Rasse" diente vielfach als mehr oder minder beliebig besetztes Ordnungselement in einer chaotischen Welt. Mit sozialem und geschichtlichem Bezug wurde der Begriff vor allem im angloamerikanischen und französischen Sprachraum verwendet. Für die Anthropologie legte einer ihrer Väter, Blumenbach, den Grundstein des Rassegedankens durch die Weiterentwicklung von Linnés Einteilung der Menschheit.

Aber erst im späten 19. Jahrhundert wurde "Rasse" auch zu einem beliebteren Thema in Deutschland. Dabei gab es eine wissenschaftliche und eine populäre Strömung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von naturwissenschaftlichen Laien ausführlich auf sozialer, biologischer und gesellschaftlicher Ebene über das Thema "Menschenrasse" spekuliert. Nicht untypisch für seine Zeit phantasierte der Schwärmer Lanz zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinen populären pseudowissenschaftlichen Heften über eine "arioheroische Rasse", die im Kampf gegen die "Äfflinge" stünde.

Auf anerkannter wissenschaftlicher Ebene wurde ebenfalls damit begonnen, Rassenforschung mit steigendem Ehrgeiz zu betreiben, aber allen Bemühungen zum Trotz ließ sich der Begriff der "Rasse" einfach nicht greifen. Schon damals gab es Akademiker, die den Rassebegriff als nur für Haustierrassen geeignet erklärten; die überwiegende Mehrheit sprach sich jedoch für die Existenz von Menschenrassen aus.

Nur meinten sie damit keineswegs alle das gleiche. Verzweifelt beklagte Egon von Eickstedt, einer der führenden Rassenkundler der NS-Zeit und von massiv rassistischer Gesinnung, den "Wirrwarr um den Rassebegriff" und schrieb, es gäbe "keine keltische Rasse" und ebenso wenig eine "deutsche Rasse". Ausgerechnet das Lieblingskind des Dritten Reichs, die Rasse der "Arier" nämlich, wurde von der akademischen Welt fast einhellig abgelehnt; ein Umstand, der hinsichtlich der Herkunft des Begriffs aus dem persischen Raum auch wenig verwunderlich ist.

Hingegen postulierten viele Anthropologen, also jene Wissenschaftler, die sich mit der Stammeskunde des Menschen auf biologischer Ebene auseinandersetzten, die Existenz einer "nordischen Rasse". Selbst dies wurde von namhaften Kollegen heftig bestritten und schon in den zwanziger Jahren als "sportsmäßige Germanenbegeisterung" verspottet. Dennoch handelte es sich eben nicht um "Pseudowissenschaft", wie es heutzutage gern kolportiert wird, sondern um international anerkannte Forschung, und das machte sie umso gefährlicher.

"Rasse" als Ordnungseinheit der Biologie

Nun ließe sich argumentieren, dass "Rasse" ein fester Bestandteil der zoologischen Systematik sei und dass, was für Tiere gilt, ebenso auf den Menschen angewendet werden kann. Und tatsächlich findet sich der Begriff schon in der Eselsbrücke für Biologiestudierende "SKOFGAR"; die letzten beiden Kürzel bedeuten "A" für "Art" und "R" für "Rasse".

Als "Unterart" präsentiert sich die Rasse in der lateinischen Bezeichnung von Lebewesen. Beispielsweise würde sie beim Wanderfalken Falco peregrinus ssp. hinter der Gattung (Falco) und Art (peregrinus) genannt werden (ssp., Subspecies). Bezeichnenderweise sind Rassebenennungen in der Zoologie nicht gerade beliebt, vielmehr schließt sich ein vom Entdecker verliehener Name an (hier: Falco peregrinus TUNSTALL, 1771).

Unter anderem liegt die Ursache darin, dass es im Tierreich gelegentlich schon schwer genug sein kann, zwei unterschiedliche Arten auseinanderzuhalten, ist dies bei nicht strikt voneinander isolierten Gruppen nur schwer möglich: Alle Vertreter verschiedener Rassen, aber gleicher Art sind miteinander fortpflanzungsfähig. Eine Ausnahme bildet der bereits angesprochene Bereich, in dem "Rasse" auch weiterhin ein regulärer Alltagsbegriff ist: in der Züchtung. Denn hier werden die einzelnen Rassen eben auch strikt voneinander getrennt.

Daher verwundert es kaum, dass "Menschenrasse" sich aus als eine Art leeres und eigentlich nichtwissenschaftliches Gefäß darstellt, das je nach Zeitgeist und Absicht nahezu mit beliebigem Inhalt gefüllt werden kann. Von der "Rasse der Adeligen" im 17. Jahrhundert über Lanzens "Arioheroiker" bis hin zur "arischen Rasse" wohnt dem Begriff stets vor allem das eine inne: die Selbstüberhöhung der einen gegenüber der anderen Gruppe von Menschen. Das verbreitete Missverständnis über Darwins Evolutionstheorie, dass sich der "Stärkste" durchsetze, wurde zur Untermauerung genutzt. Vergessen wurde und wird dabei der Kern der Evolutionstheorie: Dass es gerade die Vielfalt ist, die das Überleben begünstigt, und nicht etwa der "Stärkste", also eine statische Idealform.

Die Zuschreibungen von Eigenschaften je nach "Rassenzugehörigkeit" erfolgte zunächst faktisch - durch das Privileg des Adels -, dann und bis heute gefühlsmäßig - "es weiß doch jeder, das die alle Betrüger sind" - und schließlich wissenschaftlich - und eben diese Wissenschaft stellte das Gefäß letzten Endes beiseite, weil es sich nicht ausreichend präzise befüllen lässt: Dies läuft den Grundsätzen systematischer Forschung zuwider.

Diesem Umstand Rechnung getragen wird durch die Benennung der gesamten Menschheit als Homo sapiens sapiens. Stets wurde der Rassebegriff dazu genutzt, jenseits persönlicher Qualitäten die Privilegien der einen Gruppe zu begründen oder die Benachteiligung der anderen zu rechtfertigen.

Ist der vermeintliche Antirassismus Wegbereiter für die Wiederkehr von Menschenrassen?

Auch wenn Anthropologen in der Vergangenheit an die Existenz von Rassen glaubten und ihn zu fassen suchten, in einem stimmten sie mit den heutigen Erkenntnissen der Biologie überein: Dass die Hautfarbe eines Menschen nicht der Zeiger für die Rasse ist. Schon 1911 lehnte ausgerechnet der Schöpfer einer "Hautfarbentafel", der Ethnologe Felix von Luschan, eine Einteilung anhand dieses Merkmals als "rassistisch" ab.

Selbst in der Blütezeit der Rassenkunde war sie vielleicht ein Faktor, aber nur ein verschwindend geringer im Vergleich zu Augenfarbe, Kopfform, Körperproportionen und all den anderen Merkmalen, die mit Akribie erfasst und verglichen wurden. Wenn von einer "weißen Rasse" die Rede war, dann als schnelle und skizzenhafte Umschreibung, nicht aber als Resultat einer akademischen Menschheitseinteilung. Selbst der Phantast Lanz führte als Kernmerkmal seiner "Arioheroiker" nicht etwa eine "weiße" Hautfarbe an, sondern dass sie "blond" seien.

Ausgerechnet dieses Merkmal der Hautfarbe zeigt nun, dass die Idee von "Menschenrassen" keineswegs vergessen ist. Aber diese Idee kommt aus einer völlig unvermuteten Richtung: Nicht etwa aus der rechten Ecke, die sich nie von ihrem Lieblingsthema freigemacht hat. Sondern ausgerechnet aus der Gegenrichtung.

Insbesondere in letzter Zeit tritt die Rasse in der öffentlichen Diskussion auch in Deutschland wieder in den Vordergrund, und zwar auch jenseits der Frage, ob "Rasse" als Begriff im Grundgesetz geführt werden sollte: Nicht nur in den sozialen Medien, auch in zahlreichen Artikeln wird ein ganzer Strauß an Begrifflichkeiten verwendet, um die Herkunft der Angesprochenen zu betonen: "People of Color" für Menschen mit dunklerer Hautfarbe ist einer davon, in seiner Steigerung "BIPoC", "Black and Indigenous People of Color". In letzterem offenbart sich bereits ein Grundproblem. Denn "Indigenous", also "Eingeborene", gibt es in Deutschland nicht - selbst auf Volksgruppen wie die Sorben lässt sich der Begriff nicht unwidersprochen anwenden. Keine koloniale Besetzung hat in jüngerer Zeit eine "Urbevölkerung" unterdrückt. Daher offenbart die Verwendung des Kürzels "BIPoC" in Deutschland allenfalls Unwissen. Ebenso wenig ist das simple Übernehmen das Rassebegriffs aus dem Amerikanischen möglich; denn dort besitzt "Race" eine andere Konnotation als im deutschen Sprachraum, so wie auch der US-amerikanische Rassismus eine grundlegend andere Ausprägung hat als hier.

Es soll hierbei keineswegs kleingeredet werden, dass es Rassismus in Deutschland gibt. Vor knapp dreißig Jahren brannten Asylbewerberunterkünfte, die "Aktion Courage" für mehr Zivilcourage wurde gegründet. Antirassistische Initiativen kämpften bereits in den 80ern des letzten Jahrhunderts für Gleichberechtigung und setzten sich für Gemeinsinn und Menschlichkeit ein. Die Initiative "Mach meinen Kumpel nicht an" war nicht ohne Grund 1986 von der DGB-Jugend gegründet worden. Hautfarbe, Herkunft, Akzent oder auch nur ein fremdartig klingender Name können auch heute noch im Alltag zu Benachteiligungen oder gar zu Erniedrigungen, schlimmstenfalls zu tätlichen Angriffen führen, nicht nur in "national befreiten Zonen". Dagegen muss die Gesellschaft stets wachsam bleiben und auch dringend entschlossener handeln.

Aber: Wir dürfen den Rechten nicht auf den Leim gehen. Nur weil Rassisten Hautfarbe als augenfälligstes Ausgrenzungsmerkmal nutzen, bedeutet dies nicht, dass Hautfarbe zum Kriterium in einer aufgeklärten Gesellschaft werden darf. Es nutzt bekanntermaßen wenig, Feuer mit Öl bekämpfen zu wollen. Mediale Aufrüstung darf nicht populärwissenschaftliche Aufklärung ersetzen, Schuldzuweisung nicht Aufarbeitung. So leisten Beiträge der Sache einen Bärendienst, wenn sendungsbewusste Personen immer wieder die Behauptung in Rundfunk und Onlinepresse aufstellen, Weiße seien Rassisten oder doch wenigstens eher zum Rassismus veranlagt (auf die zusätzlich alters- und geschlechtsdiskriminierende Aussage "alte weiße Männer" braucht an dieser Stelle gar nicht erst eingegangen zu werden).

Derlei forsche Behauptungen provozieren einige Fragen: Kann eine Filipina dank ihrer Hautfarbe einfach keine Rassistin sein, selbst wenn sie sich, wohl um vom kulturellen Nimbus zu profitieren, mindestens implizit als "Indianerin" ausgibt? Oder die Schwarze, die Weiße oder der "Farbige", der Schwarze verachtet? Sind farbige Rassisten dann auch "weiß"? Bis wann ist eine Person eigentlich "weiß" und entspricht dem "Täterprofil", ab wann gehört sie den "colored" an, ab wann ist sie "black"? Ist die Pigmentierung entscheidend? Der Anteil an Pigmentierten im Elternhaus? Oder ist es die Herkunft? Der soziale Status? Aber warum wäre in einem solchen Falle von Hautfarbe die Rede?

Diese Fragen deuten schon darauf hin, auf welch dünnes Eis sich die Verfechter des, ja, Schwarzweißdenkens begeben. Zugleich müssten aber genau diese Fragen beantwortet werden, wenn sie zu mehr als billiger ideologisch-populistischer Munition taugen sollen. Erst recht dann, wenn Ideen aufkommen, die eine "paritätische Besetzung" von Stellen nach diesem Kriterium verlangen - eine solche vielfältigere Besetzung muss auf anderem Wege erreicht werden.     

"Weiß" ist eine rassistische Einordnung, ganz gleich, für welchen Zweck sie verwendet wird. Deshalb müssten diese Fragen mit nichts geringerem als einer neuen Rassenkunde beantwortet werden: der krasse Widerspruch zum Antirassismus, letztlich zur aufgeklärten Gesellschaft an sich. Es bedeutet nichts anderes, als das Gefäß der "Rasse" mit einem beliebigen neuen Inhalt zu befüllen, unabhängig davon, wie moralisch hochwertig dieser auch sein mag.

Ruben Wickenhäuser studierte Geschichte und physische Anthropologie, arbeitet als Publizist und veröffentlichte unter anderem das Buch "Rassenforschung - Rassenkunde - Rassenideologie. Die Anthropologie im Spannungsfeld von Rassenideologie und Nationalsozialismus" zur Wissenschaftsgeschichte der physischen Anthropologie. Lokal engagierte er sich in der "Aktion Courage" zu deren Gründungszeit. Gegenwärtig arbeitet er an einem Buch zu "Rasse im Rassismus".

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