Bundesregierung hält an ihrem Präsidenten in Venezuela fest

Bei den Parlamentswahlen in Venezuela am 6. Dezember 2020.Bild: Minci.

Hardliner um selbsternannten Interimspräsidenten Guaidó nach Wahl eines neuen Parlaments geschwächt. Historisch niedrige Beteiligung. Deutliche Risse in der EU

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Die Parlamentswahl in Venezuela, aus der die regierenden Sozialisten dem offiziellen Ergebnis zufolge am Sonntag mit einem klaren Sieg hervorgingen, haben nicht nur im Land skurrile Folgen. Mit der Nationalversammlung verliert die US- und interventionsfreundliche Opposition schließlich ihre letzte und einzige institutionelle Bastion. Der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó steht nach dem Verlust des Parlaments – er hatte die Wahlen boykottiert – nun auch ohne Legitimation für seine ohnehin machtlose Gegenregierung dar.

Zugleich stützen einzelne Mitgliedsstaaten der EU, allen voran die deutsche Bundesregierung, Guaidó – und brechen damit nicht nur geltendes Völkerrecht. Sie positionieren sich auch offen gegen den designierten US-Präsidenten Joe Biden, der im Gegensatz zur noch amtierenden US-Regierung auf eine diplomatische Lösung des venezolanischen Konflikts setzt. Brüssel und das SPD-geführte deutsche Außenamt Seite an Seite mit Donald Trump? Die venezolanische Krise treibt dieser Tage diesseits und jenseits des Atlantiks seltsame Blüten.

Präsident Nicolás Maduro wertete das Ergebnis von 67,6 Prozent für seine Vereinte Sozialistische Partei (Psuv) und die im Bündnis Großer Patriotischer Pol versammelten Partnergruppierungen indes als politischen Sieg. "Wir können gewinnen und verlieren, heute aber haben wir gewonnen", sagte er am Montag im staatlichen Fernsehkanal VTV. Nun beginne ein neuer Abschnitt "der Arbeit, des Wiederaufbaus des Landes und der Wirtschaft – in Souveränität, Unabhängigkeit und Frieden".

Die demonstrativ selbstbewusste Einschätzung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dieser Wahl nicht nur die stets wenig relevante Opposition um Guaidó weiter an Bedeutung verloren hat. Auch für das Regierungslager ist eine Beteiligung von nur 31 Prozent ein herber Rückschlag; 2015 nahmen schließlich noch über 74 Prozent der gut 20 Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung teil. Einen politischen Sieg für die radikale Opposition bedeutet das aber nicht: Als sie 2005 schon einmal zum Wahlboykott aufrief, hatten nur 25 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben – deutlich weniger also als diesen Sonntag.

So oder so: Eine Lehre dieser Wahl ist, dass die parlamentarische Demokratie im Kampf um Venezuela, der längst Züge eines Stellvertreterkrieges angenommen hat, zerrieben wird.

Guaidó ohne jegliche Legitimation als "Interimspräsident"

Guaidó sprach erneut von einer Manipulation, ohne dafür Belege anzuführen. "Die Ablehnung des Regimes und des Wahlbetrugs vereint uns", schrieb er auf Twitter: "Jetzt müssen wir auf der Straße reagieren." Für den 12. Dezember rief er zu Demonstrationen gegen die Regierung Maduro auf. Allerdings waren den letzten Protestaufrufen immer weniger Oppositionelle gefolgt. Zudem hatten sich Mitstreiter von Guaidó losgesagt, dessen Handeln seit seiner Selbstproklamation vor knapp zwei Jahren von Skandalen und Misserfolgen geprägt war.

Zuetzt war es im oppositionellen Lager zum offenen Streit um eine Teilnahme an den Wahlen gekommen. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat von 2012 und 2013, Henrique Capriles, hatte sich zunächst gegen Guaidós Boykottaufruf positioniert. Offenbar unter Druck aus dem Ausland sah Capriles schließlich doch von einer Teilnahme ab. Allerdings sagten sich danach enge Wegbegleiter von Guaidó los, zuletzt seine "Botschafterin" in Großbritannien, Vanessa Neumann.

Der Grund für die politische Erosion im Lager der oppositionellen Hardliner – die vor versuchten Präsidentenmord, Putsch und Interventionen nicht zurückschrecken – ist die inzwischen vollständig verlorengegangene Legitimation des selbsternannten Interimspräsidenten.

Als sich Guaidó am 23. Januar 2019 ohne Absprache mit anderen Oppositionsparteien und offenbar in Kenntnis der US-Regierung zum Staatschef ausrief, stützte er sein Anrecht auf seinen Posten als Präsident der oppositionellen Nationalversammlung und eine behauptete "dauerhafte Abwesenheit" des Präsidenten. Dieser sei politisch sozusagen nicht präsent, weil die Opposition seine Wahl nicht anerkenne. So zurechtgebogen das alles war, so fragwürdig war seine eigenmächtige Amtszeitverlängerung als Parlamentspräsident Anfang dieses Jahres.

Dass Juan Guaidó nun ganz ohne Parlament weiter ein König ohne Thron sein will, macht die Absurdität seiner Gegenregierung perfekt.

Was Venezuela mit Rumänien zu tun hat

Entsprechend halsstarrig waren die Unterstützungsbekundungen für Guaidó aus dem Ausland, wo er deutlich mehr Fans hat als in der Heimat. Das "illegitime Maduro-Regime in Venezuela" habe "eine politische Farce" organisiert, ließ der scheidende US-Außenminister Mike Pompeo erklären: "Die Vereinigten Staaten und zahlreiche andere Demokratien auf der ganzen Welt verurteilen diese Farce, die keinem Mindestmaß an Glaubwürdigkeit genügt."

Auch die Europäische Union erkannte das Ergebnis nicht an. "Der Mangel an Respekt für politischen Pluralismus sowie der Ausschluss und die Verfolgung von Oppositionsführern erlauben es der EU nicht, diese Wahl als glaubwürdig, inklusiv und transparent und ihr Ergebnis als repräsentativ für den Willen des venezolanischen Volkes anzuerkennen", hieß es aus Brüssel.

Die Lima-Gruppe, ein Zusammenschluss meist rechtsgerichteter lateinamerikanischer Regierungen und Kanadas, verwies darauf, dass die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen von vornherein nicht gegeben gewesen seien.

Dem entgegen gratulierten Staaten wie Nicaragua und Kuba dem Regierungslager zum Wahlsieg. Zudem waren rund 200 internationale Wahlbeobachter aus über 30 Ländern in Venezuela, um den Abstimmungsprozess zu begleiten.

Die spanische Linkspartei Izquierda Unida forderte die EU auf, "den Weg des Dialogs, der Verhandlungen und des Friedens zur Lösung politischer Konflikte" in Venezuela zu beschreiten. Sie lehnte "die von den Vereinigten Staaten praktizierte Politik der Sanktionen und Wirtschaftsblockaden ab, die ungerecht und völkerrechtswidrig ist, da sie ohne die Billigung der UNO beschlossen wird".

Während der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf die niedrige Wahlbeteiligung in Venezuela als Grund für die Nicht-Anerkennung verwies, merkte der deutsche Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko an, dass die Wahlbeteiligung in Venezuela trotz eines Boykotts von Teilen der Opposition bei 31 Prozent lag und "(bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen in) in Rumänien (bei) 31,8 Prozent ohne Boykott". In Venezuela sei dies ein Argument, die Wahlen nicht anzuerkennen, so Hunko, der seinem Tweet den Hashtag "#Doppelstandard" anfügte.

Deutschland mit Venezuela-Linie in EU zunehmend isoliert

Tatsächlich bewegen sich das Auswärtige Amt und Unionspolitiker mit ihrem Venezuela-Kurs auf dünnem Eis. Etwa wenn Unions-Außenpolitiker Jürgen Hardt von der Unterstützung für den "verfassungsmäßigen Interimspräsidenten Juan Guaidó" schrieb. Oder wenn der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Miguel Berger, nach der Wahl bekanntgab, dem "Interimspräsidenten Juan Guaidó unsere andauernde Unterstützung zugesagt" zu haben.

Solche Statements wurden offenbar nicht nur in Unkenntnis der rechtlichen Lage in Venezuela gemacht. Hardt und Berger missachten geflissentlich, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags die Anerkennung Guaidós durch die Bundesregierung und andere meist westliche Staaten bereits im Februar 2019 als völkerrechtswidrig bezeichnete.

Das bedeutet: Die Bundesregierung und ihre Parteien stehen mit dieser Venezuela-Politik nicht nur an der Seite Donald Trumps. Sie agieren vor allem auch als Koalition des völkerrechtlichen Unfriedens.

Diese Erkenntnis setzt sich auch in der Europäischen Union durch. Die Außenpolitikerin der Linkspartei, Heike Hänsel, verwies in einem Tweet auf Unmut bei Belgien, Spanien, Italien und Frankreich über das Festhalten an Guaidó, "da die Rechtsgrundlage völlig fehlt".

Ein Vertreter des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) bestätigte indes, dass es bei Beratungen zuletzt keinen Konsens unter den EU-Mitgliedsstaaten gegeben hat. Die Mehrheit der EU-Staaten habe sich nicht auf ein bestimmtes Vorgehen festlegen wollen, hieß es aus Brüssel. Der EAD werde das weitere Vorgehen mit mehreren Akteuren beraten, darunter auch mit Russland und China.

Solche Erklärungen erwecken den Anschein, dass demnächst nicht nur Juan Guaidó in Venezuela alleine dasteht, sondern auch der deutsche Außenminister Heiko Maas und die Leiterin seiner Lateinamerika-Abteilung, Marian Schuegraf.