Wie Politik Vertrauen verspielt

Bild: Rama/CC BY-SA 2.0 FR

Frankreich: Die vier großen Parteien kommen zusammen nicht einmal auf 50 Prozent. Und der Präsident ist mit dem Corona-Virus infiziert.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Turbulente Zeiten in Frankreich. Der Präsident beteuert ein ums andere Mal, dass ihm das Vertrauen der Franzosen so wichtig ist, besonders in der Corona-Krise mit ihren extra harten Maßnahmen, und bittet die lieben Mitbürger darum, dass sie diese vernünftig befolgen. Dann stellt sich heraus, dass seine Sars-CoV-2-Infektion damit zu tun hat, dass er selbst - wie auch andere Politiker - sich nicht an die Maßnahmen gehalten hat. Deren Einhaltung im Land wird mit einem außergewöhnlichen Polizeieinsatz kontrolliert. Und man setzt mit Nachdruck darauf, wie jüngst Premierminister Castex noch einmal betonte.

Mehr als 2,9 Millionen Kontrollen gab es seit dem zweiten Lockdown, Ende Oktober, und 285.000 verhängte Bußgelder. Der Präsident agiere verliebt in seine Macht, hält ihm ein bekannter Kulturkommentator entgegen, der selbst nicht gerade im Ruf steht, uneitel zu sein.

Zum Vorweihnachtstheater passt auch, dass der Regierung vorgehalten wird, sie gehe, was ihre Haltung zur Laizität, einem Schlüsselwort beim Kampf gegen den Islamismus, betrifft, ignorant oder doppeldeutig vor. Denn die Besonderheit des Weihnachtsfestes, mit der Ausnahmen bei den Ausgangsbeschränkungen begründet werden, sei ja schließlich christlich. Die Regierung würde diese nicht-laizistische Privilegierung ausblenden, so der Vorwurf. Der Hintergrund ist die Diskussion über das Gesetz gegen den Separatismus (Parallelgesellschaften). Mit der Härte der daraus folgenden Maßnahmen sind nicht alle einverstanden. Macron wird ein Rechtsdruck vorgeworfen

Die Aufsplitterung der politischen Landschaft zeigt sich sehr anschaulich an der Augenblicksaufnahme einer Umfrage: 14 Prozent für die Partei Le Pens, dem Rassemblement national, 12,5 Prozent für Macrons La République en Marche, 11 Prozent für die konservativen Les Républicains, 9 Prozent für die linke La France insoumise und 7,5 für die sozialdemokratische PS.

Die vier großen Parteien zusammen würden keine Mehrheit über 50 Prozent schaffen. Das gibt, was das Vertrauen der Franzosen zu den Parteien angeht, zu denken. Das ist kein neuer Befund, aber die Verstörung oder der Überdruss, die Ablehnung - je nach Blickwinkel - zeigen sich nun besonders deutlich.

Die Aussichten auf Besserung müssen noch warten, erstmal gibt es schlechte Nachrichten: "Wir werden herauskommen, ja wir werden aus der Krise herauskommen", beschwört auch der Präsident der Arbeitgeber-Vereinigung Medef, Geoffroy Roux de Bézieux. Er pocht auf Reformen im Sinn der Unternehmen, damit man aus der Wirtschaftskrise, die in Frankreich "schlimmer sei als im Rest Europas wieder herauskomme".

Der Protest der Polizisten

Ein lautes Konzert von Polizeisirenen mitten in der Nacht vor dem Haus des Bürgermeisters in Rennes soll auf die Nöte der Polizei aufmerksam machen. Wie hier mehrmals berichtet, ist die französische Polizei in den letzten Wochen mit ihrem brutalen Vorgehen in die Schlagzeilen gekommen, weit über die Grenzen des Landes hinaus. Auch EU-Institutionen überprüfen nun das neue Sicherheitsgesetz, von dem nur die Regierung in Paris und die Polizei der Überzeugung ist, dass es ganz korrekt ist.

Wie unkorrekt die Polizei vorgeht, wird an vielen Stellen dokumentiert. Dennoch und trotz eklatanter Berichte von brutalen Misshandlungen durch die Polizei (Frankreich: Sicherheitsstaat Nummer 1) hält die Regierung an ihrer Darstellung fest, dass es sich hier um Einzelfälle handelt, dass "Polizeigewalt" nicht der richtige Ausdruck ist und dass Demonstrationen gegen die Polizeigewalt ihrerseits von Randalierern und Gewalttätern geprägt werden. Auch dazu gibt es viele Fotos, die dann auch von den großen Medien in Deutschland oder anderen europäischen Ländern übernommen werden, samt den Zahlen der festgenommenen Gewalttäter, die, so wird häufig suggeriert, aus dem "schwarzen Block" stammen sollen.

Die spätere Aufarbeitung dieser Fälle vor Gericht ist dann meist keine Nachricht mehr, weil ohne News-Wert. Außer für französische Medien wie z.B. Médiapart, wo davon berichtet wird, dass die große Mehrheit der 105, die nach der jüngsten Demonstration in Paris in Polizeigewahrsam kamen und die von der Regierung und manchen Medien unter "ultragewalttätig" und "Randalierer" summiert wurden, von den Richtern anders beurteilt wurden. 40 kamen ohne irgendeine Folge davon, für 41 gab es eine Ermahnung, von den 24 Fällen, die übrig blieben, sei einer an den Ermittlungsrichter weiter gereicht worden.

Nun ist auch das nur ein Ausschnitt, wie auch Fotomaterial von Reportern aus sozialen Medien, die als Gelbwesten verkleidete Polizisten zeigen, die Beurteilung der Vorgänge bei Demonstrationen in Frankreich ist kein einfaches Feld; Gewaltausschreitungen werden als politisches Material verwendet. Einseitige Perspektiven zeigen sich da auch bei den Protestierern.

Allerdings fällt auch Polizisten auf, dass der Vorgehensweise ihrer Kollegen ein Muster unterliegt, das nicht mit Einzelfällen zu erklären ist, wie Le Monde berichtet. Erwähnt wird im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen auch, dass es eine außergewöhnlich hohe Selbstmordrate bei den Polizeikräften gibt, angeblich ist sie um 36 Prozent höher als bei der Bevölkerung.

Die Überlastung durch die Anti-Terroreinsätze, bei den Demonstrationen und nun auch bei der Überwachung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie hinterlässt Spuren der Erschöpfung, das Klima hat sich durch die Gesetzesreform erneut hochgefahrene Diskussion über Polizeigewalt noch einmal aufgeladen. Wer sich Videos über die Einsätze der Polizei bei den Demos anschaut, sieht die Nervosität, die Bereitschaft gleich loszugehen, da wird nicht lange gefackelt, sondern martialisch vorgegangen.

Auch hier gibt es ein Vertrauensproblem. Innenminister Darmanin empfängt heute Polizeivertreter und Vertreter von Gewerkschaften, nachdem es zuletzt auch einigen Protest von Polizisten gegeben hat, die sich falsch dargestellt sehen. Die Fronten werden erstmal bleiben. Darmanin setzt auf Autorität und unterstützt die Polizei, Kritik gibt es nur in "Einzelfällen".